20. Jahrgang | Nummer 26 | 18. Dezember 2017

Bürgerlied

von Adalbert Harnisch

Ob wir rothe, gelbe Kragen,
Hüte oder Helme tragen,
Stiefeln oder Schuh’;
Oder, ob wir Röcke nähen,
Und zu Schuh’n die Fäden drehen –
Das thut nichts dazu.

Ob wir können decretiren,
Oder müssen Bogen schmieren
Ohne Rast und Ruh;
Ob wir just Collegia lesen,
Oder ob wir binden Besen –
Das thut nichts dazu.

Ob wir stolz zu Rosse reiten,
Ob zu Fuß wir fürbaß schreiten
Unsrem Ziele zu;
Ob uns vorne Kreuze schmücken,
Oder Kreuze hinten drücken –
Das thut nichts dazu.

Aber, ob wir Neues bauen,
Oder’s Alte nur verdauen
Wie das Gras die Kuh –
Ob wir für die Welt was schaffen,
Oder nur die Welt begaffen –
Das thut was dazu.

Ob im Kopf ist etwas Grütze
Und im Herzen Licht und Hitze,
Daß es brennt im Nu;
Oder, ob wir friedlich kauern,
Und versauern und verbauern –
Das thut was dazu.

Ob wir, wo es gilt, geschäftig
Großes, Edles wirken, kräftig
Immer greifen zu;
Oder ob wir schläfrig denken:
Gott wird’s schon im Schlafe schenken –
Das thut was dazu.

Drum ihr Bürger, drum ihr Brüder,
Alle eines Bundes Glieder,
Was auch jeder thu’ –
Alle, die dies Lied gesungen
So die Alten wie die Jungen –
Thun wir denn dazu.

(1845)

Dieses Lied sang Hannes Wader vor Kurzem auf dem Berliner Konzert seiner Abschiedstournee im ausverkauften Tempodrom vor etwa 4000 Zuhörern.
Waders Erkennungslied ist zwar „Heute hier, morgen dort“, mit dem seit einem halben Menschenleben – seit 1972 – jedes seiner Konzerte beginnt, aber auch Harnischs Text wider Standeszugehörigkeit, für Engagement und Sich-Einmischen hätte zweifelsfrei dafür getaugt. Denn der Barde lebt eine solche Haltung, seit er als Künstler präsent ist. Durchaus mit unterschiedlicher Tönung, aber immer als Charakterzug erkennbar, nie als bloße Attitüde.
Wader startete als antibourgeoiser Rebell und Bürgerschreck, allerdings ohne jeden attentäterischen Anarchismus. Ihm schmeckte das Bier in seiner Kneipe nicht mehr, ihn ödete die Langeweile in der Stadt an, er zeigte Arschkriechern seine unverhohlene Verachtung, besang eine Sau namens Monika und ein Teufelszeug namens Kokain, war mit den den Ausgestoßenen und Zusammengetretenen: „Steh doch auf, du armer Hund“. Musikalisch waren viele Lieder dieser Waderschen Schaffensperiode nicht zuletzt grandioser Talking Blues.
Später bewegte Wader sich konsequent nach links – bis zur Mitgliedschaft in der DKP – und pflegte Arbeiter- (Brüder, seht die rote Fahne) und anderes klassenkämpferisches Liedgut (Spaniens Himmel).
Seit ihm die sozialistisch-kommunistische Vision in Gestalt einer zu diktatorischer Exekution neigenden Einparteienherrschaft abhandengekommen ist, bewegt sich Waders gesellschaftliche Einmischung eher auf Harnischschen Bahnen, mit – hin und wieder – leicht resignativem Touch.
Vor wenigen Monaten gratulierten wir zum 75. Geburtstag.
Nun lassen wir ein lauthalses Chapeau für ein Lebenswerk folgen!
Und die Hoffnung, dass Abschiedstournee noch lange nicht meint: letzter Auftritt, unwiderruflich!

Die Redaktion