20. Jahrgang | Nummer 21 | 9. Oktober 2017

Antworten

ICAN, preiswürdig – Weil die „Gefahr eines Atomkrieges so groß ist wie schon lange nicht“, vergibt das Nobelkomitee in Oslo den Friedensnobelpreis 2017 an Sie, die Internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung. Im Unterschied zur Vergabe an den damaligen US-Präsidenten Obama im Jahre 2009 wird es an dieser Entscheidung wohl auch im Nachhinein nichts zu meckern geben.

Raimonds Vējonis, Staatspräsident Lettlands – Ihre Rede vor der UNO-Vollversammlung hat in Ihrer Heimat Aufsehen erregt. Allerdings wohl nur dort. Und nicht wegen ihres Inhalts, sondern wegen Ihrer offensichtlichen, besser wohl offen hörbaren, Schwierigkeiten mit der englischen Sprache. Während Ihnen das Blatt Neatkariga empfahl, mehr Geld in professionelle Präsidentenberater zu investieren, kommentierte die populäre Zeitung Latvijas Aviza: „Wenn unser Staatspräsident vor der UN-Generalversammlung etwas Wesentliches gesagt hätte, wäre seine englische Aussprache sekundär.“ Auweia! Da mangelte es Ihrer Ansprache doch nicht etwa am Primären?

Leonore Blievernicht, geschäftsführende Grafikerin aus Berlin – oder auch nicht, wir wissen es nicht, Sie sind schwer auffindbar. Unsere Suchmaschine zeigte bei der Eingabe der Netzadresse Ihres Grafikbüros LSD Berlin als erstes „Love sex dreams“ aus Schöneberg an. Nichts gegen das älteste Gewerbe, aber da wird wohl eher im Halbdunkeln gearbeitet. Sie verkündeten dagegen auf facebook: „… aber das Licht ist an und die Menschen sind da“. Damit meinten Sie die Volksbühnenbesetzer, die ja zweifelsfrei Menschen sind. Kreativ sind die zumal: „Die soziale Plastik ist gerade erst im Kommen“, teilte einer von ihnen der Berliner Zeitung mit. Nun hat der Lord Voldemort der Berliner Kulturszene – Harry Potter nacheifernd sprechen wir kühn seinen Namen aus: Chris Dercon! – das Licht böserweise ausknipsen und die Bude einfach mal von der Polizei räumen lassen. Übernehmen Sie jetzt die soziale Plastik? Irgendwer muss das Ding doch in Empfang nehmen!

Dietmar Bartsch, linker Lautsprecher – Sie haben dieser Tage CDU, CSU, FDP und Grüne als „Quartett infernale“ bezeichnet. Nun ist dies wohl ein Versuch, als nur noch zweitkleinste Partei im Bundestag antiproportional schon mal die Backen zu einer “knallharten” Opposition aufzublasen. Dass Sie mit solcherart Etikettverteilung allerdings wieder nur das betreiben, was so viele Wähler mittlerweile abschreckt, nämlich politische Gegner mit jener lautmalerischen Verächtlichkeit zu „bekämpfen“, die man hierzulande offenbar satt hat, hätte Ihnen ein leidlich nachdenklicher Berater eigentlich sagen können, wobei wir nicht wissen, ob Sie überhaupt Beratung zu benötigen meinen.

Peter Stein, Theaterregisseur – „General der Bühne“ hat man Sie genannt und „Magnetiseur“. Dabei hätten Sie auch ein mehr als nur leidlicher Mime werden können. Als Sie 2007 in einer ehemaligen Berliner Brauerei den gesamten „Wallenstein“ von Schiller ungekürzt auf die Bühne brachten – in einer Marathon-Inszenierung von etwas über zehn Stunden, mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle –, war an Karten nur schwer zu kommen. Und saß man dann doch erwartungsschwanger in der Spielstätte, dann konnte es passieren, dass noch vor Beginn wer an die Rampe trat und mitteilte, dem Wallenstein sei ein Kulissenteil auf den Fuß gekracht. Er habe danach zwar einige Vorstellungen im Rollstuhl absolviert, doch das ginge nun auch nicht mehr. An seiner statt würde heute der Regisseur die Rolle sprechen. Wer dies unakzeptabel finde, erhielte selbstverständlich seinen Eintrittsobolus zurück. Kaum jemand allerdings verließ den Saal, und es wurden Sternstunden. Denn rasch wurde klar, dass Sie – ohne Kostüm und mit dem Textbuch in der Hand, dessen Zurateziehung Sie im Übrigen kaum bedurften – nächst Brandauer auf jeden Fall die zweitbeste Besetzung gewesen wären.
Am 1. Oktober sind Sie nun 80 geworden. Wir ziehen den Hut, neigen das Haupt und wünschen alles Gute.

Martin Schulz, Gescheiterter – „Ich bin davon überzeugt, dass ich nach der Wahl eine Regierung bilden kann“, hatten Sie noch wenige Tage vor der Bundestagswahl die Öffentlichkeit via SPIEGEL wissen lassen. War das noch Pfeifen im dunklen Wald oder doch schon Realitätsverweigerung in einem Maße, an das man sich besser erinnerte, sollten Sie nochmals für ein bedeutendes Amt antreten?

Thomas Middelhoff, fraudulenter Knacki – Als „Schmerzensmann“ der deutschen Wirtschaft apostrophierte Sie jüngst DER SPIEGEL. Dabei sind Sie noch glimpflich davongekommen, denn wegen Untreue in 27 und Steuerhinterziehung in drei Fällen erhielten Sie lediglich drei Jahre. Ihre weit größere Schandtat, Ihr ruinöser Umgang mit Karstadt bis in die Insolvenz, der bis dato größten Pleite der deutschen Wirtschaftsgeschichte, die 56.000 Arbeitsplätze gefährdete und in der Konsequenz einen erheblichen Teil davon vernichtete, stand ja gar nicht zur Verhandlung. Trotzdem konzedieren wir, dass es jemanden, der mit seiner berüchtigten Mischung aus Größenwahn und Selbstgerechtigkeit, Freispruch erwartend, zur Urteilsverkündung anreist, auf dem falschen Fuß erwischt, wenn er, dann aber nicht nur ein „schuldig“ kassiert, sondern wegen Fluchtgefahr gleich noch im Gerichtssaal verhaftet wird, und dass den die Haftbedingungen härter ankommen als andere Berufskriminelle, die seit früher Jugend immer wieder eingefahren sind. Doch dafür, dass trotzdem kein Mitgefühl aufkommt, sorgen noch allemal Sie selbst. Gerade erst wieder durch Veröffentlichung eines Buches mit Ihrer Sicht der Dinge und in dem Sie einmal mehr durchblicken lassen, wie das oben genannte Magazin auflistete, dass Sie „im Grunde wegen nichts verhaftet“ wurden, „wegen einer Verschwörung, Hämebereitschaft der Gesellschaft, Neid, Dummheit“. Doch damit nicht genug: „Er vergleicht seine Situation allen Ernstes mit der des Theologen Dietrich Bonhoeffer in dessen Todeszelle in der Nazizeit, erkennt Parallelen zwischen dem NS-Justizsystem und dem im heutigen Deutschland. Das regelmäßige Anschalten des Lichts nachts in seiner Zelle erinnere ihn an die Foltermethoden von Guantanamo. Nein, schlimmer, selbst in einem anderen US-Gefängnis seien diese Methoden nach Beschwerden in der Öffentlichkeit sofort eingestellt worden. ‚Auf so viel Verständnis hoffen Vertreter der deutschen Wirtschaft indes vergeblich.‘“
Da fragen wir uns doch glatt: Warum haben Ihre Anwälte eigentlich nicht auf Freispruch wegen Schuldunfähigkeit infolge offenkundiger geistiger Defekte plädiert?

Heiner Geißler, Jesuitenschüler, Scharfmacher und späterer Altersweiser – Unvergessen geblieben ist Ihre Retourkutsche an den damaligen Grünen-Politiker Otto Schily, der in den Auseinandersetzungen der frühen 1980er Jahre um den NATO-Doppelbeschluss geäußert hatte: „Wenn Europa an den Rand eines Atomkrieges gebracht wird, bedroht uns ein atomares Auschwitz.“ Sie entgegneten: „Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“
Jetzt gaben Sie in Ihrem letzten Interview, wenige Tage vor Ihrem Tode am 12. September, ein sehr glaubenskritisches Statement ab. Auf Ihr Bekenntnis, niemals zu beten und auf die Nachfrage nach dem Warum erklärten Sie: „Mein Glaube hat riesige Löcher und Zweifel bekommen. Ich glaube auf jeden Fall nicht an den Gott der evangelischen oder katholischen Theologie. […] Ein Gott, der geliebt werden will und deswegen den Menschen den freien Willen gegeben hat. Und der dann in Kauf nimmt, dass es Auschwitz gibt? In diesem Moment, in dem wir reden, verhungern Zehntausende Leute, werden vergewaltigt, gefoltert, geschlagen. Und das nicht nur in dieser Sekunde, sondern seit Zehntausenden Jahren in jeder Sekunde. Da muss man sich doch fragen: Wo ist er? Sieht er noch, was hier los ist? Warum versteckt er sich? Seit Zehntausenden Jahren hat sich Gott nicht gezeigt und lässt uns allein. Das alles kann nicht stimmen.“
Ob Letzterem tatsächlich so ist, wissen Sie nun in jedem Fall genauer als wir.