von Frank Burkhard
Ein Blick in die Filmgeschichte kann heitere Erinnerung sein, aber auch das Geschichtsbild des 20. Jahrhunderts erweitern. Gern erinnert man sich beispielsweise an die unzählige Male wiederholte Filmklamotte „Sieben Jahre Pech“, in der Hans Moser und Theo Lingen die absurdesten Slapstick-Abenteuer erlebten. Einen Höhepunkt gab es, als Wolf Albach-Retty einen zerbrochenen Spiegel nicht bemerkte, weil Theo Lingen im Spiegelrahmen Albach-Rettys Bewegungen imitierte. Kaum ein Zuschauer wird jedoch wissen, dass dies ein alter Standard-Sketch der Varietés und Vaudevilles des späten 19. Jahrhunderts war. Nach Erfindung des Films kam diese Szene immer wieder zu Ehren, und auch der große Franzose Max Linder, erster Weltstar als Filmkomiker, hat sie in einer seiner Grotesken, die er ab 1905 drehte, gezeigt. Chaplins berühmte Charlie-Figur war ursprünglich eine Parodie auf Max Linder, während Stan Laurel in seinen frühen Filmen auch Charlie parodierte. Viele dieser Zusammenhänge vergegenwärtigt Günter Krenn in einer neuen Edition, die dem österreichischen Stummfilmpaar „Cocl und Seff“ gewidmet ist. Ab 1912 trat der böhmische Komiker (und eigentliche Kunstmaler) Rudolf Walter als Cocl in kurzen in Wien hergestellten Groteskstreifen auf, bevor er ab 1913 in Reichenberg in Josef „Seff“ Holub (eigentlich ein Verwaltungsangestellter) seinen Partner fand. Die beiden bildeten figürlich ein ähnliches Paar, wie später Pat & Patachon in Dänemark und Laurel & Hardy in Amerika. Für anderthalb Jahrzehnte, bis in die letzten Jahre der Stummfilmzeit, drehten sie ihre meist kurzen Grotesken, und wurden in ihren Rollennamen in der ganzen Welt bekannt. Piotr Niemiec gibt das Beispiel für Polen, wo die „Cocl und Seff“-Filme als amerikanische Produktionen angesehen wurden, Seff mit der typischen Brille gar mit Harold Lloyd verwechselt wurde. Tatsächlich war die Ähnlichkeit groß, und die Sujets waren austauschbar. Spielte der beleibte Cocl 1912 einen Säugling, so war Hans Moser in seinem ersten bekannten Film 1918 ein ausgewachsenes Baby. Cocl & Seff machten sich in ihrer Parodie auf einen bekannten Aufklärungsfilm später ebenso auf den „Weg zu Kraft und Schönheit“ wie Pat & Patachon. Viele Filme der Österreicher, die völlig vergessen waren, sind endlich in Archiven der Welt zusammengetragen und restauriert worden. Zwei DVDs, die auch andere österreichische Grotesk-Komiker vorstellt, sind Bestandteil der Edition. (Günter Krenn, Nikolaus Wostry (Hg.): Cocl & Seff, Verlag Filmarchiv Austria, Wien 2010, 190 S. + 2 DVDs, 28,90 Euro)
In die Kinozeit zwischen 1905 und 1955 führt ein bibliophiler Band, der jetzt in Ratzeburg erschien. Hier war der Alterssitz von Stummfilmstar Henny Porten und ihrem Mann Wilhelm von Kaufmann. Weil sie sich von ihrem jüdischen Mann nicht scheiden lassen wollte, hatte Henny Porten als beliebtester deutscher Filmstar der Stummfilmzeit bei den Nazis viele Restriktionen zu überstehen und durfte nur wenige Filmauftritte wahrnehmen. In den fünfziger Jahren sprach sie ihre Erinnerungen auf Tonband, wovon damals nur ein kleiner Teil in einer Illustrierten veröffentlicht wurde. Die Schauspielerin Viola Livera und der Buchdrucker Jürgen Jacobsen haben nun erstmals große Teile dieser Erinnerungen herausgegeben, in denen die Berlinerin Henny Porten (in guter Erinnerung in ihrer Glanzrolle als Mutter Buchholz) so erzählt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Das Nebeneinander von Anekdoten und biografischen Details sowie Bekenntnissen zum künstlerischen Ethos ist ein Zeugnis aus berufenem Munde ohne wissenschaftliche Ansprüche. Bemerkenswert die Schilderung des ersten Kontakts des Alt-Stars zur DEFA. Ausgerechnet am berüchtigten 17. Juni 1953 und auf der Straße, die heute nach diesem Datum heißt, trippelte die Porten mit Koffern über die Sektorengrenze, um ihren DEFA-Vertrag zu unterzeichnen. Schade, dass ihre Erinnerungen an die DEFA-Filme „Carola Lamberti“ und „Das Fräulein von Scuderi“ kein Bestandteil ihrer Memoiren sind. (Henny Porten: Der Film meines Lebens, Rote Reihe Ratzeburg , Ratzeburg 2011, 96 S., 15,- Euro; Bestellung über rotereiherz@aol.com)
DEFA-Regisseur Siegfried Kühn hat viele gute Filme gedreht, darunter „Zeit der Störche“, „Der Traum vom Elch“ und „Die Schauspielerin“, aber einen legendären Ruf errang nur einer. „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ war ebenso skurril wie sein Titel. Er erzählte von einem Schrankenwärter, der wenige Jahre vor der Rente vorgibt, sein eigener Sohn zu sein, und an dessen Stelle in einem Qualifizierungslehrgang seine Genialität unter Beweis stellt. Autor Helmut Baierl schrieb den Stoff ursprünglich für Erwin Geschonneck, aber Kühn setzte durch, daß der im Film unerfahrene Theaterregisseur Fritz Marquardt die Figur mit seiner Persönlichkeit füllte, was dem Film mehr Schärfe gab. Das Publikum verstand doppelbödig-ironische Sätze, wie „Du bist so gut. Bist du in der Partei?“ Formal wie inhaltlich betrat der Film Neuland und war dabei höchst vergnüglich. Baierl und Kühn gelang eine dialektische Satire, die die sozialistische Realität in Beziehung zu Karl Valentin und Bertolt Brecht setzte. Von der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte dieses Films erzählt Kühn in einem lesenswerten Buch. Man erfährt nicht nur von den Vorwürfen, die dem Film gemacht wurden, etwa, daß er ein verzerrtes Bild der Arbeiterklasse darstelle. Auch die Spannungen hinter den Kulissen werden vermittelt, die es speziell zwischen Autor und Regisseur gab. Als die Schwierigkeiten wuchsen, erwies sich Baierl als ein glühender Anhänger des Staates und seiner Sicherheit, bis er sich von seinem Film distanzierte. Doch Kühn gelingt es bis zu einem gewissen Grade, ihn zu verstehen. „Platow“ erhielt Exportverbot und wurde im Lande in drei Kopien gestartet. Nach Ablauf der Zulassung hatte in den achtziger Jahren das Staatliche Filmarchiv der DDR den Mut, den Film in seinen Verleih aufzunehmen. Seine Brisanz und seine künstlerische Kraft (Kameramann Roland Dressel hatte einen großen Anteil daran) machten den Film im Laufe der Jahre zu einem Geheimtipp, und er sollte heute zu den großen Klassikern der DEFA gezählt werden. (Siegfried Kühn: Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow. Die Entstehungsgeschichte eines DEFA-Films, DEFA-Stiftung, Berlin 2009, 108 S., 12,50 Euro)
Die Filmlandschaft in der DDR war bei genauem Hinsehen nicht so einseitig, wie es gern dargestellt wird. Es gab produktiven (und unproduktiven) Meinungsstreit um die Entstehung von Filmen, unterschiedliche Wege der Distribution (so den o.g. Verleih des Staatlichen Filmarchivs) und auch neben dem staatlichen DEFA-Filmkombinat und dem Fernsehfunk andere Produzenten, die Filme herstellten. Ralf Forster und Volker Petzold, die schon mehrfach die „andere“ Filmgeschichte der DDR betrachtet haben, schildern in dem neuen Buch „Im Schatten der DEFA“ die Arbeitsmöglichkeiten privater Filmproduzenten in der DDR (und der SBZ) von 1945-90. Für die Filmhersteller, von denen die jüngeren fast alle die Schule der DEFA-Betriebe oder des DEWAG-Filmstudios (Werbefilm) durchlaufen hatten, war 1971 ein wichtiges Jahr. Endlich erfuhren sie öffentliche Erwähnung, wurden zugleich aber zumindest formal auf einen DEFA-Kurs eingeschworen, als sie sich einer „Kooperationsgemeinschaft DEFA“ anschließen mussten. Hiermit wurde ein vorläufiger Schlussstrich unter einem Konflikt gezogen, „dem Wunsche nämlich, diesen mehr oder weniger im Verborgenen werkelnden ‚kleinen Krautern’ endlich den Garaus zu machen und der Unfähigkeit, auf dieses für Wirtschaft und Gesellschaft nicht geringe Potential an kreativen und effektiven Kapazitäten letztlich verzichten zu können.“ Forster und Petzold schildern sehr umfassend die Arbeit kleiner Filmproduzenten, die sich auf dem Werbefilm- und Ratgebersektor betätigten, Industriefilme und Vortragsfilme herstellten, ihre Materialsorgen, Konkurrenzsituationen (auch zu staatlichen Produzenten) und kleinen Erfolge. Unter den mehr als 25 Kleinproduzenten waren in der Branche bekannte Namen, wie Jan Hempel, Hans-Günter Kaden, Gottfried Stejskal oder Moser & Rosié. (Ralf Forster, Volker Petzold: Im Schatten der DEFA, Konstanz 2010, 424 S., 23Euro)
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