19. Jahrgang | Nummer 3 | 1. Februar 2016

100 Jahre Dada

von Manfred Orlick

Am 5. Februar 1916, während in Flandern die Soldaten in den Schützengräben starben, eröffnete der Dichter Hugo Ball mit seiner Freundin Emmy Hennings keine 300 Kilometer entfernt, im neutralen Zürich, das „Cabaret Voltaire“ – eine Mischung aus Nachtclub und Kunstsalon. Schon der erste Abend war ein Erfolg. Bald schlossen sich weitere Künstler an: der rumänische Dichter Tristan Tzara, der Maler und Dichter Hans Arp, der Schriftsteller und Arzt Richard Huelsenbeck. In täglich neuen Programmen provozierten sie gezielt mit schrägen Verkleidungen, schrillen Happenings und provokantem Nonsens. „Dada, Dada, Dada“ – eine neue künstlerische Bewegung war geboren und infizierte von Zürich aus die Welt (zum Beispiel Berlin, Köln, Hannover, Paris und New York).
Der Dadaismus war Avantgardekunst der radikalsten Art – nach dem Prinzip „Kaputt ist eh alles, also ist auch die Kunst kaputt – nun kann man NEUES aufbauen“. Angeekelt von den „Schlächtereien des Weltkrieges“, war es ein kreativer Protest gegen die Verlogenheit und die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft. Ebenso sagten die Dadaisten mit „Mut zum Blödsinn“ der etablierten Kunst den Kampf an. „Während in der Ferne der Donner der Geschütze grollte, sangen, klebten, dichteten wir aus Leibeskräften. Wir suchten eine elementare Kunst, die den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen, und eine neue Ordnung, die das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle, herstellen sollte“, so Hans Arp.
Dabei verwendeten die Dadaisten den Begriff „Dadaismus“ kaum, sie waren der Meinung, dass Dadaismus als Antikunst nicht definierbar sei. Bezeichnend war die angebliche Namensfindung, so soll Hugo Ball mit einem Messer in ein Deutsch-Französisches Wörterbuch gestochen und dabei das Wort „dada“ (deutsch „Holzpferdchen“) getroffen haben.
Die Dadaisten hatten kein formuliertes Programm. Experimentiert wurde in alle Richtungen. So entstanden neue Gedichtformen, die häufig nur aus der Verknüpfung von Silben oder Wortfetzen bestanden. Bekannt ist die Anleitung „Um ein dadaistisches Gedicht zu machen“ von Tristan Tzara: aus einer Zeitung einfach Worte ausschneiden, die Schnipsel in einer Tüte durchschütteln und anschließend daraus ein Gedicht zusammensetzen.
Neben dem Medium Sprache drückte sich der Dadaismus auch in der Bildenden Kunst aus und ging hier neue Wege. Es entstanden die Collagetechnik und die Photomontage, wobei beliebige Materialien und Fundstücke aus ihrem alltäglichen Zusammenhang gelöst und ironisch verfremdet wurden.
Obwohl sich der Dadaismus nach wenigen Jahren auflöste, hat er bis heute – natürlich in abgewandelten Formen – mit seinem gesellschaftskritischen Ansatz nicht an Aktualität und Faszination verloren.
Zum 100-jährigen Jubiläum sind einige Publikationen erschienen. Während die Neuerscheinungen des Reclam und Manesse Verlages sich gänzlich auf die Wiedergabe von historischen Dokumenten (Manifesten), Texten und Bildern des Dadaismus beschränken (wobei das Manesse-„Dada-Almanach“ durch sein größeres Format typografisch aussagekräftiger ist), beleuchtet der Autor und Lektor Martin Mittelmeier die Dada-Bewegung genauer. Er zeigt, wie die Dadaisten auf eine unübersichtlich gewordenen Welt antworteten und wie Dada immer noch die Kultur der Gegenwart beeinflusst.

Andreas Puff-Trojan / H.M. Compagnon (Herausgeber): Dada-Almanach. Vom Aberwitz ästhetischer Contradiction. Textbilder, Lautgedichte, Manifeste, Manesse Verlag, Zürich 2016, 176 Seiten, 39,95 Euro.
Karl Riha und Jörgen Schäfer: DADA total. Manifeste, Aktionen, Texte, Bilder, Verlag Philipp Reclam jun,. Stuttgart 2015, 384 Seiten, 19,95 Euro.
Martin Mittelmeier: DADA. Eine Jahrhundertgeschichte“, Siedler Verlag, München 2016, 272 Seiten, 22,99 Euro.