18. Jahrgang | Nummer 26 | 21. Dezember 2015

Das erste Abendmahl

von Annette Riemer

Ein kühler Winterabend in Jerusalem. Wir schreiben das Jahr 30 nach Jesu Geburt. Jesus selbst sitzt im Kreis seiner Jünger in einem kleinen Gasthaus, das Matthäus preiswert gemietet hat.

I.

Bartholomäus: Kommt noch wer?
Johannes: Hat jemand meinen großen Bruder gesehen?
Philippus: Der wollte noch mal kurz eine rauchen gehen, bevor es hier losgeht.
Jesus sieht sich um: Wir sind komplett. Mehr sind nicht eingeladen.
Maria geht umher: Hat noch jemand keinen Wein?
Jakobus: Ich. Maria schenkt ihm ein. Danke, Jungfrau.
Maria errötet: Ach, du Charmeur!
Thomas: Wie alt wirst du überhaupt, Jesus?
Maria: Mein Junge wird heute dreißig. Plötzlich rührselig. Ach, wie lange das wieder her ist! Damals war er keine 50 Zentimeter groß und hatte ganz schlimm Schorf auf dem Kopf. Ich musste ihn immer mit Myrrhe und Weihrauch einreiben. Und Plattfüße hatte er auch, gleich von Geburt an.
Jesus verlegen: Mama …!
Magdalena: Lass sie doch, ich find das süß.
Maria zu ihnen: Hoffentlich haben eure Kinder mal keine Plattfüße! Was Josef jahrelang an den Einlagen geschnitzt hat, damit der Junge ordentlich laufen konnte. Wahrlich, du kannst von Glück reden, dass dein Vater Tischler war.

II.

Die Jünger speisen und frönen dem Wein. Allmählich wird das Essen knapp, der Tisch leert sich zusehends.
Matthäus: Ist noch Brot da?
Andreas: Ja, Jesus, brich mal das Brot da für uns und reich es durch.
Jesus hält es fest: Dies ist mein Laib.
Maria gibt ihm eine Ohrfeige. Augenblicklich ist es still am Tisch.
Maria streng: Du sollst nicht immer alles alleine essen! Erst sagst du, es kommen nur ein paar Freunde zu deinem Geburtstag …
Jesus betreten: Jünger, Mama, das sind meine Jünger.
Maria: … und sagst, ich brauch nicht noch mal einkaufen gehen. Und jetzt ist die Hütte voll und das Brot reicht nicht.
Petrus: Das geht schon. Wenn wir uns reinteilen, werden von dem Brot und Fisch Tausende satt.
Thomas ungläubig: Jetzt übertreibst du aber!
Petrus lügt: Ganz ehrlich.
Philippus: Und da wollte Judas noch ein paar Kumpels mitbringen. Das wär erst was geworden!
Andreas: Was denn für Kumpels?
Thaddäus: Na, der kennt doch jede Menge Leute. Judas ist doch von hier, aus Judäa.
Judas trotzig: Nur weil ihr alle Galiläer seid! Und meine Jungs aus der Kaserne …
Simon ereifert: Römer? Sag mir jetzt nicht, dass du Römer mitbringen wolltest!
Jesus: Diesmal wäre es wirklich ein bisschen eng geworden. Aber beim nächsten Mal, ja? Das hier ist ja noch lange nicht unser letztes Abendmahl!

III.

Inzwischen hat der Wein ordentlich die Runde gemacht. Den Jüngern schlägt der Alkohol auf den beinah leeren Magen und steigt ihnen zu Kopf. Draußen dämmert es bereits.
Johannes lallend: Hat jemand meinen großen Bruder gesehen?
Bartholomäus ebenso: Der ist mal austreten gegangen. Ich glaub, der hat den Wein nicht vertragen. Wie auf Kommando ertönen Würgegeräusche.
Magdalena lehnt sich vertraulich zu Jesus hinüber. Sie nimmt all ihren Mut zusammen.
Magdalena leise: Du, ich muss dir was sagen. Ich bin schwanger.
Jesus: Von wem?
Magdalena erregt: Ja, glaubst du denn, ich bin eine Hure!
Jesus zögert erst. Dann aber legt er stolz seine Hand auf ihren Bauch.
Jesus: Das ist mein Blut!
Magdalena verlegen: Ach, du wirst immer so unappetitlich, wenn du pathetisch bist.
Thomas kommt auf Jesus zu getorkelt und hält sich an dessen Schulter fest.
Thomas: Jesus, ist ja echt eine super Geburtstagsparty, aber wir haben eindeutig zu wenig Frauen in unserer Urgemeinde!
Maria kräht besoffen: Das fehlte mir noch! Die eine stellt ja jetzt schon den ganzen Laden auf den Kopf!
Petrus verdattert: Hört ihr auch den Hahn krähen? Ist schon Morgen?
Jakobus ächzt: Ich muss morgen auf eine Dienstreise. An den Arsch der Welt, nach Santiago de Compostela. Ausgrabungen.
Petrus wirr: Da war doch ganz deutlich ein Hahn!
Matthäus fasst Jakobus vertraulich bei der Hand.
Matthäus: Hast du es gut! Ich hab morgen Spätschicht an der Zollstation. Du glaubst gar nicht, was diese Philister alles von Palästina hierher nach Judäa schmuggeln! Die reinsten Terroristen sind das!
Er streichelt nun verträumt die Hand des Jakobus. Thaddäus, der das bemerkt, rutscht davon ermutigt etwas näher an Simon heran.
Thaddäus mutig: Lass uns nach hinten gehen!
Simon schüchtern: Ich weiß nicht …
Thaddäus: Komm schon … Mit dir könnte ich sterben! Trotzig: Jesus macht das auch. Über den Tisch hinweg: Los, Judas, zeig es ihm mal.
Judas schwankt auf Jesus zu und küsst ihn heftig. Allgemeiner Applaus.
Jesus angetan: Du bist und bleibst halt mein Lieblingsjünger!
Magdalena schmollt: Und was ist mit mir?
Maria völlig besoffen: Hab dich nicht so. Diese ganze Sekten-Sache ist ja doch im Grunde nur so ein Männerding für seine Freunde.
Jesus kleinlaut: Jünger, Mama. Das sind meine Jünger.
Allgemeines Gejohle.
Matthäus lallt: Auf uns kannst du zählen!
Petrus lallt: Auf uns kannst du bauen!
Simon lallt: Wir stehen zu dir wie ein Baum im stärksten Wind!
Philippus lallt: Wie ein Feuer bei Nacht!
Petrus lallt: Wie ein Fels in der Brandung! Er kippt besoffen nach hinten über.
Judas erhebt sich.
Judas ruft: Auf das Geburtstagskind! Es lebe …
Alle außer Petrus erheben sich.
Alle rufen: hoch, hoch, hoch!
Magdalena blickt abwechselnd ihr Weinglas und ihren Bauch an, zögert.
Magdalena plötzlich: Ach, scheiß drauf. Ist ja nicht der Messias oder so. Sie leert das Glas in einem Zug.
Vorhang.