von Edgar Benkwitz
Gute Nachrichten über das Verhältnis Indien – Pakistan sind äußerst rar. Die Beziehungen zwischen beiden Staaten waren seit ihrer Gründung eigentlich nie normal. Es dominierten die Tiefpunkte (deren „Höhepunkte“ drei Kriege waren), unterbrochen nur durch kurze Perioden der Entspannung, in denen die Hoffnung auf ein normales Verhältnis keimte. Letztmalig war das so vor anderthalb Jahren, als der neue Premierminister Indiens, Narendra Modi, überraschend die Partner aus den Nachbarstaaten zu seiner Amtseinführung nach Neu Delhi einlud. Diese Geste wurde von Pakistans Ministerpräsidenten Nawaz Sharif honoriert – beide Staatsmänner fuhren das Lob der Weltöffentlichkeit ein. Aber das war es auch schon, denn vorgesehene Gespräche wurden von beiden Seiten derart mit Vorbedingungen belastet, dass keines von ihnen stattfand. Statt Verhandlungen gab es an der gemeinsamen Grenze ständig Zwischenfälle, die zu kriegerischen Scharmützeln ausarteten und viele Opfer forderten. Der Ton zwischen beiden Staaten wurde immer rauer, Pakistan beschuldigte Indien terroristischer Aktionen in seiner Unruheprovinz Belutschistan, in Indien wurde die antipakistanische Stimmung angeheizt.
Und plötzlich ungewohnte Bilder. Fotos zeigen die beiden Regierungschefs am Rande des Weltklimagipfels in Paris gemeinsam auf einer Bank, vertieft in ein Gespräch. Nur wenige Tage später treffen sich fernab vom Subkontinent – in Bangkok – die nationalen Sicherheitsberater sowie die Staatssekretäre für Äußeres zu ausführlichen Gesprächen. Und danach reist die Außenministerin Indiens zu einer Konferenz nach Pakistan und trifft dort die maßgebenden Persönlichkeiten des Landes. Vereinbart wurde ein Treffen im Januar auf Staatssekretärsebene, das einen Fahrplan für umfassende Gespräche zwischen beiden Staaten festlegen soll. Das alles passierte in weniger als zwei Wochen.
Möglich wurde der nun angestoßene Dialog, weil beide Seiten sich bereit erklärten, alle Anliegen zu erörtern, und dies ohne Vorbedingungen. Pakistan will die Problematik Kaschmir auf die Tagesordnung setzen. Indiens vorrangiges Anliegen ist hingegen der grenzüberschreitende Terrorismus, vor allem im Lichte der verheerenden Terroranschläge in Mumbai am 26. November 2008, für den die pakistanische Terrororganisation Lashkar-e-Taiba (LeT) verantwortlich gemacht wird. Die indische Regierung hatte bisher stets versucht, die Sicherheitsfragen mit Pakistan separat zu lösen, und ließ eine Verknüpfung mit Kaschmir und anderen Fragen nicht zu. „Gespräche und Terror passen nicht zusammen“, hieß es in Neu Delhi. Dem widersetzte sich Pakistan, es verweigerte jegliche Zusammenarbeit in Sachen LeT. Jetzt will auch Pakistan Sicherheitsfragen und Terrorismus Priorität einräumen und sagte Unterstützung für einen weiteren Prozess gegen die Attentäter von Mumbai zu.
Beide Staaten vollzogen erst einmal eine Abkehr von bisherigen Positionen. Das ist nicht selbstverständlich, da sowohl Kaschmir als auch der Terrorismus in der sensibilisierten Öffentlichkeit beider Länder heiße Eisen sind. Es bedurfte also mutiger Schritte der politischen Führungen. Das betrifft vor allem Indien, wo sehr schnell Animositäten gegen Regierungsentscheidungen aufgebaut werden. Doch Premier Modi vertraute diesmal seiner absoluten Mehrheit im Unterhaus. Die einheimische Presse bezeichnete sein Vorgehen als eine angemessene Kurskorrektur der bisherigen Außenpolitik, wurde doch der konfrontative Kurs der letzten Jahre aufgegeben. Nur der abgewählten Kongresspartei, die im Moment verzweifelt nach ihrer Identität sucht, blieb es vorbehalten, der Regierung Betrug vorzuwerfen.
Was Pakistan betrifft, stärkte in letzter Zeit die Armeeführung ihre Entscheidungsbefugnis auch in außenpolitischen Fragen. Armeechef General Raheel Sharif, seit zwei Jahren im Amt, hat sich zum neuen starken Mann Pakistans profiliert. Er zog die Zügel vor allem gegen den Ministerpräsidenten an, dem in der Vergangenheit Indienfreundlichkeit vorgeworfen worden war. Im Oktober setzte er seinen Vertrauten, Generalleutnant Nasir Janjua, als neuen Sicherheitsberater des Landes ein, der damit die zivile Regierung kontrolliert. Nur über ihn laufen die Kontakte zum Sicherheitsberater Indiens, Ajit Doval, der direkt Premier Modi unterstellt ist. Beide, so wurde vereinbart, sollen in Zukunft die Sicherheitsproblematik einschließlich der Terrorismusbekämpfung beider Staaten erörtern und Lösungen erarbeiten.
Der nun angelaufene Prozess der Annäherung beider Staaten ist überreif und im Lichte der internationalen Lage zwingend erforderlich. Es sind die angehäuften Kernwaffen in beiden Staaten, der aktive Terrorismus in Afghanistan und Pakistan sowie länderübergreifende wirtschaftliche Großvorhaben, die ein friedliches Nebeneinander zwingend erforderlich machen. Auch die erfolgreichen Atomverhandlungen westlicher Staaten mit Iran und die Entschärfung dieses Konflikts in unmittelbarer Nachbarschaft haben stimulierend gewirkt. Nicht auszuschließen ist, dass auch dritte Mächte – vor allem die USA und China – ihren Einfluss geltend gemacht haben. Das dürfte vor allem hinsichtlich Pakistan der Fall gewesen sein. Die USA knüpfen ihre Hoffnungen auf den neuen pakistanischen Armeechef, der bei der Stabilisierung der Sicherheitslage, insbesondere der Bekämpfung der einheimischen Taliban, Erfolge aufweisen kann. Bei einem Besuch in den USA – zu dem er sich angeblich selbst eingeladen hat – wurde er kürzlich hoch gehandelt, das Gespräch mit Vizepräsident Joe Biden dauerte ganze zwei Stunden! Bezeichnenderweise geschah dies kurz nach dem offiziellen Besuch von Ministerpräsident Sharif in den USA. Es scheint, dass die Armeeführung letzte Absprachen mit den USA getroffen hatte, denn nur wenige Tage später fand die Begegnung der Regierungschefs Indiens und Pakistans in Paris statt. Auch für China dürfte General Sharif der Anlaufpunkt sein, denn er verspricht mit seinen militärischen Aktionen ein sicheres Umfeld für die chinesischen Milliardeninvestitionen in den Bau des sogenannten ökonomischen Korridors von Chinas Westprovinzen zum Indischen Ozean.
Die Meldungen aus Indien und Pakistan in den letzten Wochen kamen überraschend und trafen auf eine unvorbereitete Öffentlichkeit. Trotz großer Worte bleibt abzuwarten, ob sich wirklich Grundlegendes im Verhältnis beider Staaten ändert. Die Erfahrungen der Vergangenheit lehren Skepsis – die wird vor allem in Indien geäußert, wo Sorge besteht, dass ein Terrorakt den begonnenen Prozess wieder abrupt beenden könnte. Mittlerweile schlagen Politiker beider Seiten für die anvisierten Gespräche schon einmal ihre Pflöcke ein. Das wird am kontroversen Thema Kaschmir deutlich: Ministerpräsident Sharif warf erneut die Frage einer Volksabstimmung auf. Indien hingegen betonte, dass das Problem nur unter dem Aspekt der Bekämpfung des Terrorismus und der Festigung der Sicherheitslage zu erörtern sei. Keine Rede davon, dass es bei der ernsthaften Suche nach Lösung problematischer Themen unter gleichberechtigten Partnern immer einen Kompromiss geben muss. Was den beiden Staaten und ihren führenden Repräsentanten bisher fehlt, ist Vertrauen zueinander. Das muss erst erarbeitet werden und kann sich vielleicht im Laufe schwieriger und sicherlich langwieriger Verhandlungen herausbilden.
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