17. Jahrgang | Nummer 26 | 22. Dezember 2014

Bis(s) zum letzten Abendmahl

von Annette Riemer

An einem stillen Abend in der Vorweihnachtszeit treffen sich die Minister der Großen Koalition im Bundeskanzleramt zur feierlichen Andacht. Auf Wunsch des Faktotums Peter Altmaier soll das Krippenspiel inszeniert werden, um die Genossen der SPD noch mehr auf christdemokratischen Kurs zu bringen. Da sich für die Bundeskanzlerin allerdings keine geeignete Krippe auftreiben ließ, wurde kurzfristig umdisponiert: Man spielt nun das letzte Abendmahl nach. Und sobald sich Angela Merkel in das Jesusgewand gehüllt hat, erscheinen
Sigmar Gabriel als Petrus
Frank-Walter Steinmeier als Jakobus der Ältere (mit Pilgerstab)
Thomas de Maizère als Johannes, der Lieblingsjünger des Herrn
Wolfgang Schäuble als Matthäus der Zöllner
Alexander Dobrindt als Thomas der Zweifler
Ursula von der Leyen als Simon der Eiferer
Manuela Schwesig als Jakobus der Jüngere
Christian Schmidt als Thaddäus
Gerd Müller als Bartholomäus
Johanna Wanka als Philippus
Hermann Gröhe als Andreas
Andre Nahles als Judas
Etwas abseits bleiben zunächst
Barbara Hendricks im Kostüm eines römischen Legionärs
Heiko Maas als Pontius Pilatus

I. Szene

Schäuble sieht sich, kaum dass alle Platz genommen haben, unruhig in der Runde um.
Schäuble: Sind auch alle da? Haben alle ihren Beitrag bezahlt? Ich habe für dreizehn Mann Essen bestellt! Er zählt die Runde ab.
Schwesig: Dreizehn Mann! Die Frauenquote heute Abend ist ja echt unter aller Sau!
von der Leyen: Und familienfreundlich sieht auch anders aus. Ich meine, was sind das für Konferenzzeiten? Und wo bleiben die Angehörigen? Nichts außer einer jungfräulichen Mutter und einer Hure. Und nicht mal die sind heute da.
Gabriel: Ruhe, Simon! Wir sind hier zusammengekommen, um…
Dobrindt: Apropos, wer erstattet uns eigentlich die Reisekosten? Die Wegzölle heutzutage…
Gabriel: Halt die Klappe, Thomas! Wir sind hier also zusammengekommen, um gemeinsam…
Gröhe grinst breit: Wie es im Koalitionsvertrag schon geschrieben steht…
Gabriel entnervt: Schnauze, Hermann!
Im Hintergrund räuspert sich Altmaier scharf, Gabriel zuckt zusammen, lächelt unverbindlich.
Gabriel: Ich meine: Schnauze, Andreas.
Er blickt unsicher zu Altmaier, der zustimmend nickt.
Gabriel: Was ich also sagen wollte: Wir haben uns hier versammelt, um gemeinsam das Brot zu brechen…
Schäuble: Ich komme immer nur auf zwölf. Wer von euch hat seine Portion Brot noch nicht bezahlt? Verdammt, ich will wegen euch Pappnasen nicht noch Schulden machen am Ende des Jahres!

II.Szene

Die Kanzlerin im vertraulichen Gespräch mit de Maizère.
Merkel: Für die anderen bin ich heute Jesus. Aber du darfst mich ruhig Messias nennen.
Maizère: Oh, was für eine Ehre – Messias… Ich werde dir immer treu sein.
Merkel blickt bissig in die Runde.
Merkel laut: Und doch wird mich einer hier verraten, ich weiß es genau. Ihr zum Beispiel! Sie deutet auf Müller und Schmidt. Wer seid ihr eigentlich?
Müller entrüstet: Bartholomäus und Thaddäus.
Merkel: Kenn ich nicht.
Schmidt entsetzt: Müller und Schmidt.
Merkel: Kenn ich nicht.
Wanka: Die kennt kein Mensch!
Nahles: Die kamen mir gleich so verdächtig vor.
Gröhe grinsend: Was machen wir hier eigentlich?
Altmaier drückt von der Leyen ein Schwert in die Hand.
Altmaier flüstert: Denk dran, Ursula, du bist laut biblischem Protokoll Simon der Eiferer, also los!
von der Leyen springt auf und schreit: Federn und Teeren, die beiden Unbekannten! Kurzen Prozess mit den Fremden! Mehr Einsätze im Ausland!
Sie schlägt mit dem Schwert drohend auf den Tisch, das Schwert zerbricht, von der Leyen fällt auf ihren Stuhl zurück und weint.
Merkel: Nimm es dir nicht so zu Herzen, Simon. Das kann doch jedem mal passieren, so ein kleines Rüstungsproblem. Wir schweigen einfach darüber und dann ist das vergessen, ja? Haben wir bei Johannes doch auch so gemacht.
von der Leyen maulig: Den hast du ja auch viel lieber als mich. Das ist dein Lieblingsjünger.
Merkel: Stimmt doch gar nicht! Ich habe euch beide gleich lieb.
Maizère schreckt zusammen, kriegt feuchte Augen und wimmert.
Steinmeier diplomatisch: Vielleicht können wir einfach mal mit dem Abendmahl anfangen?
Gabriel: Genau, ich komme schon um vor Hunger!
Schäuble: Na toll! Jetzt muss ich auch noch ein neues Schwert in den Haushalt einkalkulieren. Und die dreizehnte Portion hat auch noch keiner bezahlt. Das war echt das letzte Abendmahl, das ich mit einer Kasse des Vertrauens finanziere.

III. Szene

Merkel bricht das Brot und teilt es aus. Man isst. Gabriel wendet sich an Steinmeier.
Gabriel: Das muss so eine östliche Sitte sein, das Essen ohne Besteck.
Steinmeier lacht, worauf Altmaier ihm einen Klaps auf den Hinterkopf gibt. Dann geht er zu Nahles.
Altmaier flüstert: Denk daran, du musst laut Protokoll gleich den Judaskuss geben. Ich hoffe, du hast daran gedacht, dass der Messias Pfefferminzmundwasser bevorzugt.
Nahles: Nee, das mach ich nicht. Ich wollte eh viel lieber die Maria Magdalena sein. Schon allein wegen der Quote.
Schwesig: Ja genau, wenigstens eine Frau hättest du einplanen können, Peter!
Altmaier: Am Tisch des Herrn saß aber keine Frau! Nur Jünger. Und einer davon hat den Herrn geküsst und verraten.
Nahles: Ich küss aber nicht die Angela!
Altmaier räuspert sich.
Nahles: Meinetwegen den Jesus, ist mir gleich. Den küsse ich auch nicht. Da kannst du dich noch so sehr räuspern.
Steinmeier diplomatisch: Wollen wir nicht erst einmal aufessen? So auf nüchternen Magen…
Schwesig: Keine Frau? Und wer hat das Brot fürs letzte Abendmahl gebacken?
Maas: Sollten nicht erst wir Römer zu euch kommen, bevor sich geküsst wird?
von der Leyen besserwisserisch: Wenn schon, dann nur der Legionär, nicht auch noch Pontius Pilatus, der kommt erst später dran!
Nahles schreit: Ich küsse hier keinen!
Altmaier brüllt: Aber irgendjemand muss den Messias küssen! So will es das Protokoll!
Maizère für sich: Das ist meine Chance!
Er streckt von der Leyen die Zunge raus, dann beugt er sich zu Merkel und küsst sie. Entsetztes Schweigen ringsherum.
Merkel macht sich frei: Aua, du beißt ja!
von der Leyen eifersüchtig: Ich bringe dich um!
Sie versucht, mit ihrem Schwertstumpf auf de Maizère einzustechen, doch Steinmeier, Maas und Gabriel halten sie zurück. Gröhe grinst.
Maizère jammert: Das macht man doch jetzt so, hab ich in „Fifty shades of Grey“ gelesen.
Maas: Mann, bist du blöd, Thomas!
Dobrindt empört: Ich bin doch Thomas! Der Thomas ist doch Johannes!
Gabriel: Und wer hätte jetzt wen küssen sollen?
Nahles: Ich küsse hier keinen!
von der Leyen: Der Heiko ist schuld, der hat alles durcheinander gebracht.
Altmaier: Pilatus, Pontius Pilatus bitte!
von der Leyen nörgelt: Ist doch wahr!
Schäuble sieht verzweifelt in die Runde.
Schäuble: Und ist es jetzt aus, das Abendmahl, ja? Ach herrje, und nicht mal aufgegessen. Alles umsonst bezahlt, alle dreizehn Portionen.

IV. Szene

Man sitzt deprimiert am Tisch, nun auch mit Maas und der als Legionär verkleideten Hendricks. Merkel spielt mit ihrem Heiligenkranz.
Merkel murmelt: Mein Reich komme, in Ewigkeit, Amen.
von der Leyen: Ich hätte dich tausendmal besser geküsst als dieser Hilfs-Johannes.
Merkel in Gedanken: Aber dann wärst du zum Judas geworden und hättest mich verraten.
von der Leyen entsetzt: Ich, dich verraten? Niemals!
Sie will sich den Schwertstumpf in die Brust rammen, doch dieser klägliche Rest der Waffe zerbricht an ihr, worauf von der Leyen still vor sich hin weint. Merkel wendet sich von ihr ab und betrachtet mit Wohlwollen Gabriel, der als einziger vergnüglich isst.
Merkel: Du bist der einzige, der diesen Abend voll verstanden hat. Du bist der Fels in der Brandung, mein Stellvertreter. Auf dir will ich meine Kanzlerschaft aufbauen.
Gabriel: Gern. Flüstert zu Steinmeier: Kannst du dich als Thälmann in einem Arbeiterfestspiel vorstellen? Am besten übst du schon mal. Könnte sein, dass wir das demnächst brauchen können, wenn das hier so weitergeht.
Steinmeier diplomatisch: Aber nicht vor dem Nachtisch.

Die Autorin ist Publizistin und lebt in Halle/Saale.