von Hubert Thielicke
Wie wohl jede griechische Insel ist Rhodos reich an Geschichte und Kultur, war seit jeher ein Kreuzweg der Kulturen. Von den alten Griechen und Römern über Byzantiner, Araber und Kreuzritter bis zu Türken und Italienern – jeder, der einst den östlichen Teil des Mittelmeeres beherrschte, hinterließ auf Rhodos seine Spuren. Über die gewaltigen Bastionen der Stadt Rhodos im Nordosten der Insel ragt der Palast des Großmeisters der Johanniter, welche die Insel mehr als 200 Jahre beherrschten. Nach einer langen, schweren Belagerung mussten die Kreuzritter schließlich im Dezember 1522 kapitulieren. Die Insel wurde für fast 400 Jahre Teil des Osmanischen Reiches.
Heute geht es auf Rhodos friedlicher zu. Etwa zwei bis drei Millionen Touristen besuchen jährlich die mit etwa 1.400 Quadratkilometer größte der 13 Inseln des Dodekanes im südöstlichen Teil der Ägäis. Im Herbst ist die Insel regelmäßig Ort eines besonderen politischen Ereignisses: Seit 2003 findet hier das Rhodos-Forum des World Public Forum (WPF) „Dialog der Zivilisationen“ statt. Mehr als 500 Politiker, Unternehmer, Geistliche, Wissenschaftler und NGO-Vertreter aus etwa 60 Ländern diskutieren ein breites Spektrum globaler und regionaler Fragen. Gründer und Präsident des WPF ist Wladimir Jakunin, russischer Politikwissenschaftler und Eisenbahnchef; Ko-Vorsitzende sind die Österreicher Alfred Gusenbauer (Bundeskanzler 2007-2008) und Walter Schwimmer (Generalsekretär des Europarates 1999-2004) sowie Fred Dallmayr (University of Notre Dame, USA). Erklärtes Ziel des WPF ist, Ideen für eine künftige multipolare Weltordnung zu entwickeln. Die Organisation hat seit 2013 Konsultativstatus beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat. Sie sieht sich als Diskussionsplattform analog zum Weltwirtschaftsforum und dem Weltsozialforum.
Aus Anlass des 100. Jahrestages des Ersten Weltkrieges stand das 12. Rhodos-Forum (25. bis 29. September) unter dem Motto „Weltkrieg verhindern durch globale Solidarität“. Themen von Plenartagungen waren die insbesondere von Mahatma Gandhi initiierte Kultur der Gewaltlosigkeit, Weltordnung und die Politik des Regimewechsels, Frieden und Sicherheit in Europa und Asien. Arbeitskreise beschäftigten sich mit der Rolle der Gewerkschaften, der Massenmedien und der Jugend sowie regionalen Projekten wie der „neuen Seidenstraße“ und der Altai-Initiative.
Trotz seiner Dialoginitiativen sehe sich Russland bedroht, insbesondere durch die Umsetzung der Doktrin des amerikanischen Exzeptionalismus, betonte Wladimir Jakunin. Sanktionen könnten ein Land nicht in die Knie zwingen, vielmehr eher sein System stärken, erklärte der tschechische Präsident Miloš Zeman, Ehrengast des Forums. Bereits die vor 50 Jahren gegen Kuba verhängten US-Sanktionen hätten das gezeigt. Die aktuellen Maßnahmen gegen Russland bergen die Gefahr einer Rückkehr zum Kalten Krieg. Sie müssten aufgehoben werden. Ähnlich äußerte sich auch Alfred Gusenbauer. Nicht zu verstehen sei, warum USA, EU und Russland wegen der Ukraine in Konflikt geraten, während die wirkliche Gefahr der islamistische Terror des IS sei. Die europäischen Mächte seien 1914 wie die „Schlafwandler“ in den Krieg gestolpert, meinte Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Diese Gefahr bestehe auch heute. Beide Seiten müssten die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Statt Brücken zur anderen Seite abzureißen müssten welche gebaut werden. Der Westen solle auf Versuche verzichten, Russland „bestrafen“ zu wollen. Aber auch für Russland sei Selbstkritik angebracht; es solle beispielsweise seine Zivilgesellschaft ernster nehmen.
Die nach dem Kalten Krieg entstandene unilaterale Machtstruktur habe das UN-System der kollektiven Sicherheit untergraben, die 1991 proklamierte „neue Weltordnung“ sei ein „globaler Albtraum“ geworden, so die Meinung von Wissenschaftlern und NGO-Vertretern aus den USA, Russland, Großbritannien, Schweden, der Türkei und anderen Ländern. Sie diskutierten die westliche Politik des Regimewechsels. Die USA würden für sich das Recht der „humanitären Intervention“, ökonomischer Sanktionen und der Delegitimierung von Regierungen in Anspruch nehmen. Diese Politik habe zu einem „geopolitischen Desaster“ geführt, schätzte der bekannte Experte Richard Falk (USA) ein. Ein „Regimewechsel von unten“, also ein demokratischer Umsturz, könne durchaus eine positive Entwicklung einleiten. Ein „Regimewechsel von oben“ durch ausländische Intervention sei jedoch eine Fortsetzung kolonialer Politik und führe zum Chaos, was Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und andere Fälle zeigten. Der auf Gleichheit basierenden Logik des souveränen Staates würde die auf Ungleichheit beruhende Logik der Geopolitik entgegengesetzt. In der Ukraine sei der Umsturz von außen inszeniert worden, werde aber der Welt als Regimewechsel von unten präsentiert. Russland würde als „Völkerrechtsverletzer“ dargestellt, wäre jedoch mit der NATO-Ausdehnung provoziert worden.
Die Ukraine-Krise und die Spannungen in Nordost- und Südostasien hätten Frieden und Sicherheit in Europa und Asien in den Fokus gerückt. Während die USA mit ihrem „Pivot to Asia“ die Situation verschärfen, gebe das Erstarken neuer Kräfte wie der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und der BRICS Grund zu Hoffnung, so Chandra Muzaffar (Malaysia). In jedem Land müsse darauf hingearbeitet werden, Kriege zu verhindern. Eine entsprechende Bewegung sei in Malaysia entstanden. Während die Welt angesichts der politischen und militärischen Stärke der USA noch weitgehend unipolar sei, wachse die Tendenz zur Multipolarität, merkte Tao Xie (China) an. So sinke der Anteil der USA am globalen Bruttosozialprodukt, der von China nehme zu. Demgegenüber bestehe noch ein großer Unterschied zwischen beiden Staaten im Hinblick auf „soft power“. Ein slowakischer Diplomat kritisierte, dass man sich in Brüssel, Washington und Moskau nur dafür interessiert habe, wem die Ukraine gehöre, jedoch nicht, wie sie werden solle. Statt Handelskrieg sei ein Dialog erforderlich.
Regionale Treffen des WPF haben sich in diesem Jahr mit Projekten im eurasischen Raum beschäftigt. So diskutierten zwei Foren in Shanghai beziehungsweise Lanzhou die chinesische Initiative „Neue Seidenstraße“ und das Projekt europäischer Wissenschaftler Transeurasischer Gürtel „Razvitie“ („Entwicklung“). Über das im Mai durchgeführte 1. Altai-Forum informierte Andrej Iwanow von der Russischen Altai-Universität. Die dort angenommene „Altai-Charta“ orientiere auf eine umweltgerechte ökonomische und soziale Entwicklung unter Berücksichtigung kultureller und nationaler Traditionen. Immerhin biete die im Herzen des eurasischen Kontinents gelegene Altai-Region ein großes Potenzial für die Zusammenarbeit, da hier die Grenzen von China, Kasachstan, Mongolei und Russland aufeinander treffen. Experten aus den USA und Russland verwiesen auf die amerikanischen Erfahrungen im Naturschutz; für eine „grüne Wirtschaft“ sei das deutsche Beispiel der Nutzung erneuerbarer Energien wichtig. Auch im nächsten Jahr soll es ein Altai-Forum geben. Mit Schulen des interkulturellen Dialogs, einem Think Tank für die Theorie des Dialogs und digitalen Kursen des Dialogs der Zivilisationen will das WPF seine Aktivitäten weiter ausbauen.
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