17. Jahrgang | Nummer 16 | 4. August 2014

„Türcken, Mohren und Tartaren“ – von Feinden zu Bürgern

von Stephan Theilig

In seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beginnt Theodor Fontane seine Beschreibung Wustraus mit den Worten: „Der Ruppiner See, der fast die Form eines halben Mondes hat, scheidet sich seinen Ufern nach in zwei sehr verschiedene Hälften.“ Sinngebend stehen diese Worte für die aktuelle Sonderausstellung des Brandenburg-Preußen Museums, die noch bis zum 5. Oktober 2014 im alten „Zieten-Dorf“ Wustrau präsentiert wird.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die vielfältigen Beziehungs- und Entwicklungsgeschichten einer Minderheit und ihrer Kultur(en) vom 15. Jahrhundert an bis in die Anfänge der Weimarer Republik. Mehr als 135, zum Teil einzigartige Exponate illustrieren den Wandel des Menschenbildes in der Vorstellung von „Türcken, Mohren und Tartaren“ als gefürchteten Feinden über exotische Freunde bis hin zu anerkannten preußischen Staatsbürgern.
Kaum beachtet und von tagesaktuellen Diskussionen verdeckt, reichen die ersten Kontakte zwischen Brandenburg-Preußen und dem islamischen Orient bis in das Spätmittelalter zurück. Einer Legende zufolge wurde der erste brandenburgische Kurfürst Friedrich I. von Kaiser Sigismund mit dem Kurfürstentum Brandenburg belehnt, weil dieser ihm in den Kämpfen gegen die „Türcken“ in Ungarn das Leben gerettet haben soll.
Die ersten Muslime, die nach Brandenburg-Preußen kamen und hier ihre neue Lebenswelt fanden, waren zumeist Kriegsgefangene und wurden häufig zwangsgetauft. Die sogenannten Türkentaufen waren im Zeitalter des Barock, also im 17. und 18. Jahrhundert, gesellschaftliche Großereignisse. Die Sieger brachten ihre „Kriegsbeute“ mit. Durch deren Taufe wollte man nochmals den „Sieg über die Ungläubigen“ in aller Öffentlichkeit demonstrieren. Das Paradox ist, das dabei die Religion eigentlich kaum eine Rolle spielte.
Bisher galten Türkentaufen besonders in Kreisen von Genealogen, Volks- und Heimatkundlern als sammelbare Kuriositäten. Nur wenige Historiker haben sich mit diesem Thema beschäftigt. Ein Grund dafür liegt in der Schwierigkeit, sie zu finden. Denn dokumentiert sind diese Taufen meist nur als kurze Notate in Kirchenbüchern und noch seltener in darüber hinausgehenden Quellenbeständen. Schwierig ist auch die Weiterverfolgung des Lebens der betreffenden Personen, die, nun einen christlichen Namen tragend, in den Quellen nur noch schwer auszumachen sind. Aus Hassan wurde Christian, aus Suleika Susanne, aus Aly wurde Friedrich.
Meist kamen sie als Kriegsgefangene oder „menschliche Beute“ aus den Kriegen gegen das Osmanische Reich. Ihrer Heimat und gewohnten Umgebung entrissen, mussten sie sich schnell dem ungewohnten Umfeld anpassen. Ihre neuen Lebensumstände in der Kriegsgefangenschaft unterschieden sich nicht viel von denen ihrer christlichen Leidensgenossen im Osmanischen Reich. Nach islamischem Recht wandelten sich christliche Kriegsgefangene im Moment ihrer Gefangenschaft zu Sklaven. Dies galt ebenso im römischen Recht, allerdings hieß hier der juristische Terminus für den Gefangenenstatus „Leibeigener“.
Eine wirkliche Hilfestellung im eigentlichen Integrationsprozess waren Pfarrer und Hauslehrer, die ihnen Deutsch und gewisse Umgangsformen beibrachten. Doch sie bereiteten die meist noch jungen Kinder, Jugendlichen, Frauen und Männer auch auf die Taufe vor. Dies sollte aber nicht als Zwangsmissionierung per se verstanden werden! Es zeigt sich, dass es die Sprache war, welche den Schlüssel in die Gesellschaft darstellte. Denn in einer Welt, die noch keine nationalen Grenzen kannte, in der unterschiedliche Konfessionen, aber auch Religionen und kulturelle Herkünfte nebeneinander existierten, war die Sprache das verbindende Element. Das Schicksal dieser Menschen wurde also bestimmt durch die Notwendigkeit, sich einer neuen Umgebung, Sprache und Kultur anpassen zu müssen.
Bisher konnten für Brandenburg-Preußen 68 namentliche Taufen ermittelt werden. Diese Zahl erscheint im ersten Augenblick gering. Werden allerdings Vergleichszahlen aus anderen Gebieten herangezogen, die durch Soldatengestellungen wesentlich häufiger in die Türkenkriege involviert waren, so ist diese Zahl als „Ausschnitt“ einer vermutlich um einiges höher liegenden Gesamtzahl recht beachtlich. Besonders viele Türkentaufen datieren im Zeitraum des Entsatzes von Wien 1683, der Befreiung von Budapest 1686 sowie der folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen bis hin zum Frieden von Karlowitz 1699.
Während die Türkentaufen zur Mitte des 18. Jahrhunderts zahlenmäßig zurückgingen, verstärkte sich in Brandenburg-Preußen die Übernahme türkisierender Elemente in das militärische Zeremoniell. Bewusst wurden Exotismen als Element der Selbstinszenierung genutzt, so in Gestalt von Kammermohren und Kammertürken hochrangiger Offiziere. Auf der anderen Seite galt das orientalisch Fremde nicht mehr als Bedrohung apokalyptischen Ausmaßes. In Potsdam stellte Friedrich Wilhelm I. ein Janitscharenbataillon auf, das er, nach dem Vorbild des im Zeithainer Lager 1730 von August dem Starken aufgestellten, zu repräsentativen Anlässen aufmarschieren ließ. Muslimische Soldaten dienten in Potsdam, ohne zum Christentum übergetreten zu sein, auch in der „Riesengarde“. Dass dieser Umstand nicht allen gefiel, belegt der Missionseifer Johann Heinrich Callenbergs und seines, 1728 gegründeten Institutum Judaicum et Muhammedicum in Halle. Im Jahre 1739 ließ er eigens für die muslimischen Soldaten in Potsdam Bücher christlichen Inhalts ins Türkische und Arabische übersetzen, um die Konversion zum Christentum voranzutreiben. Mit Friedrich II. setzte sogar die Aufstellung muslimisch-christlicher Reiterabteilungen ab 1741 ein. Eine Steigerung erfuhr diese Entwicklung mit der Aufstellung eines preußischen Tatarenkorps im Jahre 1795 in Neuostpreußen, das rein muslimisch zusammengesetzt war.
Neugier, Angst, Unkenntnis, Fremdheit, Begeisterung, Toleranz … die Facetten der Geschichte von Muslimen in Brandenburg-Preußen sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielte die Epoche der Aufklärung, in der sich auch das Verhältnis von Christentum und Islam zueinander änderte. Die Religionen wurden nun nicht mehr allein als teilend, sondern auch als verbindend betrachtet. Ein Gott, aber verschiedene Arten des Zugangs zu ihm. In der Konsequenz wurden aus Feinden und Fremden preußische Staatsbürger.
Doch auch Preußen fanden ihren Weg in den Orient. So stammte der osmanische Feldmarschall Mehmed Ali Pascha aus Magdeburg, von wo er als Jugendlicher flüchtete und letztlich im Hafenbecken von Konstantinopel vom späteren Großwesir aus dem Wasser gezogen wurde. Aus Neuruppin stammte der gefeierte Orientmaler Wilhelm Gentz, der Kaiser Wilhelm II. auf dessen Orientreise begleitete. Letztlich begründeten auch die intensiven Beziehungen im 19. Jahrhundert die Allianz des Deutschen Kaiserreiches mit dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg.
Darüber hinaus präsentiert die Sonderausstellung in Wustrau eine Sammlung deutschsprachiger Korane des 17. bis 20. Jahrhunderts, darunter der erste deutschsprachige Koran von Salomon Schweigger (1616) sowie die seltene Ausgabe des ersten in Berlin gedruckten Korans von Andreas Acoluth (1701).

Türcken, Mohren und Tartaren. Muslime in Brandenburg-Preußen“ – Sonderausstellung im Brandenburg Preußen Museum Wustrau (Eichenallee 7a, 16818 Wustrau ); bis 5. Oktober 2014; Dienstag bis Sonntag geöffnet von 10:00 bis 18:00 Uhr.
Zahlreiche Veranstaltungen flankieren diese Ausstellung:
So wird vom 11. bis 12. September ein deutsch-türkisch-tatarisches Symposium in Wustrau stattfinden, zusammen mit dem Institut für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan Studien (Magdeburg), der Marmara Universität Istanbul, dem Yunus Emre Institut Berlin, unter der Schirmherrschaft des Generalkonsuls der Türkei in Berlin. Die Teilnahme ist kostenfrei, um eine Anmeldung wird gebeten.
Am 13. September wird erstmals und nur an diesem Tag das Berliner Kostümbuch aus dem Jahre 1764 präsentiert. Dieses ist sonst in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrt.
Am 3. Oktober öffnet das Museum zum „Türöffnertag“ der Sendung mit der Maus.
Die Ausstellung endet mit einer Konzertveranstaltung am 4. und 5. Oktober, bei der Stücke vom Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert vorgestellt werden, in denen der orientalische Einfluss auf die europäisch-abendländische Musik hörbar ist.
Weitere Informationen im
Internet.

Stephan Theilig, Jahrgang ’78, ist promovierter Historiker und Wissenschaftlicher Leiter des Brandenburg-Preußen Museums Wustrau. Theilig lebt in Berlin.