von Hubert Thielicke
Die Wogen schlagen in diesen Tagen hoch in Schottland – am 23. und 24. Juni wird des 700. Jahrestages der Schlacht von Bannockburn gedacht und am 18. September findet das Referendum über die Unabhängigkeit statt. Bannockburn – das ist für die Schotten das Fanal ihrer Unabhängigkeit vom südlichen Nachbarn, für die Engländer jedoch die größte Niederlage in den Jahrhunderte langen Auseinandersetzungen mit Schottland.
Die Vorgeschichte: Gegen Ende des 13. Jahrhunderts beanspruchte der englische König Edward I. die Oberherrschaft über Schottland und zwang seinen schottischen „Kollegen“ 1296 zum Rücktritt. Im folgenden Jahr wurde jedoch ein englisches Heer in der Schlacht bei Stirling durch die Schotten unter William Wallace geschlagen, der filmische Berühmtheit durch den Monumentalfilm „Braveheart“ von Mel Gibson erlangte, welcher wiederum 1996 immerhin fünf Oscars erhielt. Der historische William Wallace hatte allerdings weniger Glück; 1298 besiegten ihn die Engländer; von schottischen Adligen verraten, wurde er 1305 in London brutal hingerichtet.
Keine zehn Jahre später wendete sich das Blatt. Unter Führung ihres Thronanwärters Robert the Bruce erhoben sich die Schotten erneut. Als die Aufständischen im Juni 1314 die Festung Stirling belagerten, nahte ein englisches Entsatzheer unter König Eduard II. An der Furt von Bannockburn geriet es in die Falle der Schotten. Die zahlenmäßig weit unterlegenen Clan-Kämpfer – die Angaben schwanken zwischen 5.000 bis 10.000 – brachten dem fast doppelt so starken englischen Ritterheer eine vernichtende Niederlage bei. Die Kämpfe zogen sich noch mehrere Jahre hin, bis sich schließlich England und Schottland 1328 im Frieden von Edinburgh einigen konnten.
Heute kann man im modernen Besucherzentrum von Bannockburn die Schlacht in 3D „miterleben“. Jedes Jahr wird das Ereignis auf dem ehemaligen Schlachtfeld gefeiert. Ganz bunt und heftig wird es in diesem Jahr, wenn am letzten Juni-Wochenende hunderte Teilnehmer aus ganz Europa die Schlacht nachstellen. Eine ganz besondere Rolle bei diesen Events spielt die Scottish National Party (SNP), die unter ihrem Vorsitzenden Alex Salmond als „Erstem Minister“ die Regierung des autonomen Schottland stellt und das September-Referendum durchsetzte.
Auch hierzu ein kurzer historischer Exkurs: Als die englische Königin Elisabeth I. 1603 kinderlos starb, erbte der schottische Herrscher James VI. aufgrund alter verwandtschaftlicher Beziehungen den englischen Thron. Nach mehr als 100 Jahren wurde die Personalunion 1707 in eine politische Union umgewandelt. In ihr hatten jedoch die Schotten die schlechteren Karten, wurden von der englischen Elite regiert. Auch einige Aufstände in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts änderten daran nichts. Schottland wurde fest ins Königreich Großbritannien eingebunden. Die ursprünglich aufmüpfigen Highlander mutierten zu den besten Truppen Ihrer Majestät und schlugen sich wacker weltweit auf den diversen Schlachtfeldern des Empire.
Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Die 1934 gegründete SNP hatte sich das Ziel der Autonomie in inneren Angelegenheiten (Home Rule) auf die Fahnen geschrieben. Zunehmenden Einfluss gewann sie ab den 1960er Jahren. Eine wichtige Rolle spielten dabei zwei Kampagnen. Als die britische Regierung 1960 erklärte, die Polaris-Atom-U-Boote in Schottland zu stationieren, sprach sich die SNP als einzige Partei dagegen aus und arbeitete eng mit der Kampagne für Nukleare Abrüstung (CND) zusammen. Einige Jahre später beanspruchte sie die gerade in der benachbarten Nordsee erschlossenen Erdöllagerstätten: „It’s Scotland’s Oil“. Beide Aktionen fanden unter der Bevölkerung großen Anklang, wie auch die generelle Ausrichtung der SNP auf einen „sozial geprägten Nationalismus“.
Das von allen Parteien außer den Konservativen unterstützte Dezentralisierungsreferendum von 1997 führte zur Einsetzung eines Schottischen Parlaments, das eine Schottische Regierung wählt, geführt von einem „Ersten Minister“. Diese Autonomieorgane entscheiden über alle Angelegenheiten Schottlands außer solchen zentralen Fragen wie Steuern, soziale Sicherheit, Verteidigung, und internationale Angelegenheiten. Als stärkste Partei löste die SNP 2007 die Labour Party ab und bildete eine Minderheitsregierung unter Alex Salmond. Ihr Vorschlag für ein Unabhängigkeitsreferendum fand 2009 zunächst keine Zustimmung. Das änderte sich mit den Wahlen von 2011, in denen die SNP 69 der 129 Sitze des Schottischen Parlaments gewann.
Im Abkommen von Edinburgh vereinbarten die britische und die schottische Regierung 2012 die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums, das nur eine Frage enthalten sollte. Die Details legte das Schottische Parlament ein Jahr später im Gesetz „Scottish Independence Referendum Bill“ fest. Danach wird den Bürgern Schottlands die Frage gestellt: „Should Scotland be an independent country?“ Die Kampagne „Yes Scotland“ unterstützen neben der SNP die Schottischen Grünen und die Schottische Sozialistische Partei. Für die Beibehaltung der Union sprechen sich mit der Kampagne „Better Together“ die Labour Party, die Konservativen und die Liberaldemokraten aus.
Im November 2013 ging die Schottische Regierung in die Offensive und publizierte mit dem Weißbuch „Scotland’s Future“ ein mehr als 600 Seiten umfassendes Manifest zu allen mit einer Unabhängigkeit zusammenhängenden Fragen. Danach betrachte man England, Wales und Nordirland als „unsere Familie und engste Nachbarn“, die Queen solle Staatsoberhaupt bleiben, das Pfund beibehalten werden. Ziel sei ein moderner europäischer Staat, der über seine umfangreichen natürlichen Ressourcen selbst verfüge. Er werde Mitglied der EU und des westlichen Verteidigungsbündnisses bleiben. Die mit Kernwaffen bestückten Trident-U-Boote sollten jedoch abziehen. Im Falle der Zustimmung werde Schottland am 24. März 2016 unabhängig. In diesem Prozess soll auch die erste schriftliche schottische Verfassung angenommen werden. Am 16. Juni legte die Regierung bereits einen Verfassungsentwurf vor, der in Artikel 2 das schottische Volk als Souverän definiert. Artikel 23 sieht vor, dass die Regierung Verhandlungen über nukleare Abrüstung und den schnellen Abzug der Kernwaffen führt.
Die andere Seite stellt demgegenüber das Festhalten an der Union in den Vordergrund, bezeichnet die Ideen der Schottischen Regierung als „Phantasien“ und setzt ihnen ein striktes „Nein“ entgegen, verkörpert in ihrer jüngsten Kampagne „No thanks“. Argumentiert wird, dass hinsichtlich Wirtschaft, Währung, Staatsaufbau, Sozialem, Verteidigung und anderem Schottland nur im Rahmen des Vereinigten Königreiches die besten Möglichkeiten hätte. So würde der rasche Abzug der Kernwaffen zu Problemen mit der NATO führen. Auch eine Fortsetzung der EU-Mitgliedschaft durch ein unabhängiges Schottland sei unsicher. Unabhängige Experten machten allerdings darauf aufmerksam, dass eine solche strikte „Nein-Kampagne“ kontraproduktiv sein könnte.
Das scheint sich auch in jüngsten Meinungsumfragen zu bestätigen, wo sich ein Trend zugunsten der Unabhängigkeitsbefürworter bemerkbar macht. So brachte eine am 15. Juni veröffentlichte Umfrage von Panelbase folgende Ergebnisse: Ja: 43 Prozent, Nein: 46 Prozent, Weiß nicht: 12 Prozent. Knapp neunzig Tage vor dem Referendum ist der Ausgang also noch offen. Gewinnen wird wohl letztlich, wer die Bevölkerung mit seinen ökonomischen und sozialen Argumenten überzeugen kann. Siegen die Befürworter der Unabhängigkeit, wird das weit reichende Auswirkungen auf die Unabhängigkeitsbewegungen in anderen Ländern haben, wie beispielsweise Spanien (Katalonien, Baskenland), Belgien (Flandern), Italien („Padanien“, Venetien), Ukraine („Neurussland“).
Die Dokumente der schottischen Regierung zum Referendum finden sich unter www.scotreferendum.com
Schlagwörter: Hubert Thielicke, Referendum, Schottland, Vereinigtes Königreich