17. Jahrgang | Nummer 12 | 9. Juni 2014

Die Benjamins. Eine deutsche Familie

von Volker Kirchner

Hier soll ein Buch wegen seines Ansatzes und erst in zweiter Linie wegen seines interessanten und aufschlussreichen Inhalts gewürdigt und empfohlen werden. Die Rede ist von „Die Benjamins. Eine deutsche Familie“, verfasst vom einstigen Redenschreiber Willy Brandts und späteren Regierungssprecher des Schröder-Kabinetts Uwe-Karsten Heye.
Die Rangfolge, die dieses Buch jedenfalls für mich so bemerkenswert macht, ist das faire und um wirkliches Verständnis statt pauschaler Vor- oder Nachverurteilung bemühtes Herangehen Heyes an eine Familiengeschichte, die weitgehend die von Kommunisten ist. Das ist in der politliterarischen Landschaft eher unüblich, seit an den Leichnamen von Kommunismus en masse und DDR en detail – sehr oft berechtigt – munter gefleddert wird; Grobschlächtigkeit hat da seit 1989 allemal Vorfahrt.
Auf der Basis auch einer ganzen Reihe von neu erschlossenen Informationen zeichnet Heye das Bild einer deutsch-jüdischen Familie, deren Geschichte gewissermaßen das gesamte 20. Jahrhundert spiegelt. Walter Benjamin, der große Philosoph und Publizist (und kein Kommunist), ist gewiss das auch heute noch berühmteste Mitglied dieser deutschen Familie. Er nahm sich auf der Flucht vor den Nazis nach seinem beschwerlichen Weg über die Pyrenäen im spanischen Grenzort Portbou das Leben (Heye erwähnt bestimmte Zweifel daran), nachdem ihm der Rücktransport ins Vichy-Frankreich drohte, das dem Hitlerregime die „Auslieferung auf Verlangen“ zugestanden hatte. Sein Bruder, Georg Benjamin, in Mauthausen umgebracht, ist vermutlich nur noch in DDR-Breiten bekannt, wo der Arzt, Kommunist und Antifaschist geehrt wurde. Georgs Ehefrau Hilde Benjamin, ebenfalls Kommunistin und Antifaschistin, wiederum ist im Nachkriegsdeutschland auch westlich der Elbe zu einem Begriff geworden – oder gemacht worden. Als Vizepräsidentin des Obersten Gerichtes der DDR und spätere Justizministerin wurde ihr im Westen der Ruf der „blutigen Hilde“ angehängt, nicht zuletzt ausgerechnet auch von jenen Kräften in Justiz wie Publizistik der Bonner Republik, die ungeschoren ihr Nazidasein überstehen durften und neuerlich in Amt und Würden waren.
Heye schönt gerade an der Biografie Hilde Benjamins nichts, zu der ganz gewiss Urteile gehörten, die der sozialistischen Justiz alles andere als zum Ruhme gerieten und auch heute noch nicht verteidigungswert sind. Er stellt dem Unrecht in der DDR bei der Aufarbeitung der Nazivergangenheit auch seiner Bevölkerung allerdings jenes der BRD bis Ende der 1960er Jahre gegenüber, wo zumindest die mittlere Nazielite fröhliche Urständ feierte und wo es bis heute dauern musste, dass sich staatliche Organe wie etwa das Auswärtige Amt, der Verfassungsschutz, BKA und BND mit ihrer braunen Personalpolitik überhaupt befasst haben. Der Abgleich der justiziablen „Verfehlungen“ beider Seiten fällt für die Bundesrepublik verheerend aus.
Heyes Buch ist also mehr als eine Familiengeschichte, so sehr die Benjamins ihr vordergründiger Gegenstand sind. Es ist auch ein Buch über ein deutsches Geschichtskapitel, an dessen Bild bis heute Ideologen und Demagogen ihre Messer wetzen. Wer dabei die Lufthoheit hat, ist bekannt. Uwe-Karsten Heye aber schert aus. Das ist, fast 70 Jahre nach dem Ende der Hitlerherrschaft und 25 Jahre nach dem Mauerfall, noch immer bemerkenswert.

Uwe-Karsten Heye: Die Benjamins. Eine deutsche Familie, Aufbau Verlag 2014, 361 Seiten, 22,99 Euro.