Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 6. Dezember 2004, Heft 25

Das »Dritte Reich« und die Musik

von Jan Bonin, Paris

Im Musikmuseum von Paris ist eine ambitionierte und lehrreiche Ausstellung zu sehen, die es in dieser Form in Deutschland noch nicht gegeben hat. Sie spürt der Rolle der Musik im »Dritten Reich« in vielen ihrer Schichten nach. Empfangen wird man von den Kraft-und-Freude-Mädchen der Maler Müller und Schmutzler, die gleich neben einem Kandinsky hängen. Das Prinzip Kontrast dieser Ausstellung, die in Tradition, Kreation, Widerstand und Propaganda geteilt ist, geht auf.
Neben »entarteter Kunst« hatte die Kulturpolitik der Nazis auch »entartete Musik« verfolgt, die in einer Ausstellung 1938 herabgewürdigt wurde. Eine ganze Tradition warf sie über den Haufen und ließ »das Jüdische« in der Musik wissenschaftlich in einem Schrifttum herausarbeiten, von dem einige Exemplare in Paris ausgestellt sind. Die Komponisten Bach, Beethoven und Wagner wurden für ihr Deutschtum gepriesen. Und an die Stelle des Mendelssohn-Denkmals in Leipzig rückte eines von Bruckner. Daß dennoch auch qualifiziert musiziert wurde, ist nicht zu überhören. Knappertsbusch und Furtwängler lieferten sich die Schlacht der Giganten um die Macht am Dirigentenpult und um die gewaltigere Ode an die Freude. Bühnenbildentwürfe geben eine Ahnung davon, um wieviel Lichtjahre die Aufführungen ästhetisch gegenüber denen der Krolloper aus den zwanziger Jahren zurückfielen: original germanisches Mittelalter steht originellen formal anspruchsvollen Entwürfen gegenüber.
Der besondere Kult galt Wagner, der hier in Gestalt von Arno Brekers monumentaler Büste dräut. Die Originalpartitur der Meistersinger ist an der Stelle aufgeschlagen, in der von »wälschem Tand« und »deutscher Kunst« die Rede ist. Die Umbauarbeiten während einer Aufführung 1935 in Bayreuth wirken technisiert wie Kriegsvorbereitungen und vermitteln zugleich die angebliche Unbeschwertheit, welche noch die Anfangsjahre des Nationalsozialismus begleitete.
Der Ausstellungsteil zur création umfaßt geförderte und verfolgte Musik. Erstere ist mit Strauss, Egk und Orff vertreten, wobei die ambivalente Position eines Strauss’ nur gestreift, die eines Hindemith aber gut dargestellt wird. Auch hier werden auf der spannenderen Seite Ausschnitte aus Ernst Kreneks Jazz-Oper Johnny spielt und aus Kompositionen Weills sowie Pfitzners, von Zemlinskys und Schönbergs präsentiert. Ein Gemälde von Max Oppenheimer zeigt das Rosé-Quartett, das den Namen einer emblematischen Musikerfamilie der Zeit trägt, bei versunkenem Spielen.
Die Widerstand überschriebene Abteilung eröffnet eine Bilderserie des Expressionisten Ernst Nolde, dessen drei Sänger in Erstarrung verstummt sind. Neben den Exilschicksalen Brechts und Eislers geht es um Arnold Schönberg, dessen Briefentwurf an Göring sein Unverständnis angesichts der Amtsenthebung zeigt. Ein in Paris geschriebenes Zertifikat über seine erneutes Bekenntnis zum jüdischen Glauben ist auch ein politisches Manifest. Bilder von Konzerten zeugen von den Aktivitäten des Jüdischen Kulturbundes in Deutschland, der bis 1943 Bestand hatte. Gezeigt werden Photos und Zeichnungen aus Theresienstadt. Viktor Ullmann hat hier die Oper Der Kaiser von Atlantis komponiert, in der der Tod in den Streik tritt. Geprobt wurde bis zur Deportation der Darsteller nach Auschwitz. Auf dem Weg dorthin starb auch der Komponist Gideon Klein, dessen packendes Porträt zu sehen ist.
Problematisch ist der abgetrennte Propaganda-Raum, weil hier einiges wiederholt wird, was zuvor schon deutlich durchschien. Beispiele sowohl aus der Unterhaltungsabteilung als auch Wagner Betreffendes hätten ebensogut in den thematischen Räumen ihren Platz gefunden. In Filmen sieht man die Bayreuther Festspiele als Hitlerfestspiele, auf denen die KdF das Volk an den Meister heranführt. Die Auslandsgastspiele mit Wagner im Gepäck können auch Zugeständnisse an die Wagnerrezeption in Frankreich sein und stießen im besetzten Paris auf entsprechende Gegenliebe. Propaganda im Handgepäck war Bestandteil einer ausgeklügelten »auswärtigen Kulturpolitik«, für die Musik ein Exportprodukt war, immer dabei. Man sieht kurz, wie Winifred Wagner in Paris empfangen und hofiert wurde. Daneben wurde zum Boykott der Veranstaltungen aufgerufen. Diese aufschlußreichen Episoden hätten sicher mehr Beachtung verdient, wie auch die Biographien einzelner Komponisten und Musiker leider nur angedeutet werden.
In der Mehrzahl hört das deutsche Volk jedoch nicht Wagner, sondern Durchhalteschlager aus dem Volksempfänger wie auf einem Großgemälde Der Führer spricht. Beispielhaft werden die Erkennungsmelodien und die Ankündigung von Hitlers Tod mit Schuberts Unvollendeter gespielt. Strauss’ Olympia-Hymne ist zu hören, und es erklingt eine ergreifende Lili-Marleen-Parodie. Nur selten erscheint die Auswahl der Exponate etwas willkürlich. Als Symbol des Widerstands gilt die Zither des Hitler-Attentäters Georg Elser, für Propaganda steht die Trommel eines SA-Soldaten in der Vitrine. Nun gut, Trommel gegen Zither. Dennoch: Die Ausstellung leistet einen hervorragenden Überblick und schafft durch die Musikausschnitte unerhörte Eindrücke.

Cité de la musique, 221, avenue Jean-Jaurès, Parc de la Villette (Metro-Linie 5 bis »Porte de Pantin«), 75019 Paris, noch bis 9. Januar 2005