Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 22. November 2004, Heft 24

Vom Unglück, recht zu behalten

von Horst Grunert

Diejenigen unter den Beobachtern, die Amerika kennen, haben schon früh vor Illusionen im Hinblick auf die Chancen gewarnt, George W. Bush abzuwählen. Auch der Autor dieser Zeilen hat in verschiedenen Publikationen, darunter in der Nr. 5/2004 des Blättchens, auf die großen Möglichkeiten verwiesen, die dem Amtsinhaber bleiben, um ein ihm genehmes Ergebnis zu erreichen. Wie gern hätte er sich geirrt!
Es sah auch eine Zeitlang ganz gut aus für Kerry. Eine beachtliche Protestbewegung gegen den Amtsinhaber war entstanden. Nahezu alles, was unter den Intellektuellen Rang und Namen hat, setzte sich leidenschaftlich für den Herausforderer ein. Aber der Präsident wird nicht von den Intellektuellen gewählt. Den Ausschlag geben die Millionen braver Wähler zwischen den Appalachen und den Rocky Mountains, die regelmäßig zur Kirche gehen, an die Auserwähltheit der Vereinigten Staaten glauben und jeden, der das bezweifelt, für einen Abgesandten des Teufels halten.
Gewiß, die Inhaber der großen Firmen können das Land manipulieren. Gewiß, mit Hilfe des großen Geldes kann man die Medien lenken. Gewiß, das amerikanische Wahlsystem ist undemokratisch. Das ist alles richtig. Aber George W. Bush hat die Wahl gewonnen, weil er der Typ ist, den die Mehrheit der Amerikaner will: Ein bißchen einfältig und beschränkt wie sie. So völlig unbedarft wie sie, ohne Kenntnis der Welt außerhalb der USA. So herrlich unbekümmert und naiv wie sie. Ein bißchen kumpelhaft und stets zu einem Witzchen aufgelegt, so wie sie es mögen. Vor allem voller Mißtrauen gegenüber Intelligenz und Sachwissen. Aber durchdrungen vom Glauben an Gott und seine Gnade. Wer kann schon von sich sagen, durch Gottes Eingreifen aus einem Womanizer und hochgradigen Alkoholiker in einen standhaften Tugendbold verwandelt worden zu sein, der seit seiner Erweckung nie wieder eine andere Frau noch eine Flasche in die Hand genommen hat! Kein Wunder, daß so viele Ehefrauen auf Bush schwören. Wenn es bei ihm geklappt hat, dann klappt es vielleicht auch beim eigenen Mann. Und den männlichen Wählern bleibt dann ohnehin nichts anderes übrig, als so zu tun, als sehnten sie sich danach, einer solchen Lichtgestalt zu folgen.
Das Weltbild der republikanischen Wähler ist klar und übersichtlich. Für sie ist Amerika das Zentrum der Welt, und sie können es nicht fassen, daß sich der Rest nicht danach sehnt, unter dem Schirm der USA Schutz zu suchen. Sie können auch nicht begreifen, daß es Landsleute gibt, sehr viele sogar, die ihrem Helden in den Arm fallen, gerade in dem Augenblick, da er dabei ist, alle Feinde Amerikas zu zerschmettern. Die Demokraten sind eben allesamt unzuverlässige Elemente, die Umgang mit Schwulen, Freimaurern, Gottlosen und Negern haben, vielleicht sogar verkappte Kommunisten sind. Auf jeden Fall anfällig für das Böse. Der Präsident wird ihnen einen Dämpfer versetzen. Zu viel Freiheit bekommt diesen Leuten nicht.
Die Verwerflichkeit dieser Leute zeigt sich für die Republikaner besonders in der Kritik am Krieg im Irak. Schließlich weiß doch jedermann, daß die Erdölvorkommen im eigenen Lande allmählich zur Neige gehen. Es ist gut, einen Präsidenten zu haben, der etwas vom Öl versteht. Schon sein Vater ist im Ölgeschäft zu Reichtum gekommen. Auch George W. ist in Gummistiefeln durch die schmutzige Brühe gewatet. Er tut recht daran, in die Zukunft zu schauen. Soll er warten, bis die Preise für Benzin so hoch klettern wie in Europa? Wie sollen die USA ihrer historischen Aufgabe, die Welt zur Demokratie zu führen, gerecht werden, wenn die Energieressourcen nicht ihrer Kontrolle unterliegen? Die Araber sollten dankbar sein, daß wir ihnen zeigen, wie die Demokratie funktioniert und daß es nur einen Weg gibt, der zu Wohlstand führt, daß ist unser Weg. Daß die Europäer beleidigt am Rande stehen und nicht mitmachen, sollte uns nicht stören. Das alte Europa hat sich eben noch nicht damit abgefunden, aus der Oberliga herausgeflogen zu sein. Früher war Amerika eine Kolonie der Europäer. Der Präsident zeigt ihnen, daß sich die Zeiten geändert haben. God bless the President!
God save America.