Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 8. November 2004, Heft 23

Heimatlicher Eigensinn

von Ulrike Köpp

Es gibt ein Paradoxon: Die Funktionäre der SED verfolgten das Treiben der organisierten Natur- und Heimatfreunde meist mit Mißtrauen und zerbrachen sich in den fünfziger Jahren auch schon mal die Köpfe über ihre Auflösung. Nach dem Untergang der DDR dann aber kamen, gewissermaßen von der Gegenseite, Vorhaltungen, die Natur- und Heimatfreunde hätten nicht »gegen die Diktatur« opponiert.
Willi Oberkrome weiß die schöne Formulierung vom »heimatlichen Eigensinn«. Der nämlich wehrt sich mit seinem Bedürfnis nach Geborgenheit in einer Gemeinschaft gegen die Zumutungen und die allzugroße Vereinnahmung durch die einen Ideologien und Politiker – um sich dann von wieder anderen mißbrauchen zu lassen.
Oberkrome wählt in seinem Buch einen geschickten Einstieg, um die politische Brisanz seines Gegenstandes zu umreißen und den Leser durch das Dickicht des historischen Materials zu führen. Er exponiert die »Allgemeine Anordnung Nr. 20/VI/42«, die Heinrich Himmler im Dezember 1942 zwecks »Gestaltung der Landschaft in den eingegliederten Ostgebieten« erließ. Deutsche Landschaftsgestalter hatten sie im Auftrag des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums ausgearbeitet. Sie erhofften sich durch die deutsche Besiedlung zudem eine Rückwirkung auf das »Altreich« und glaubten, nach der »völkischen Flurbereinigung« würde das deutsche Volk eine »Verwurzelung im Boden des heimatlichen Landes durch naturgemäßes Leben« erlangen. Dies schließlich sei grundlegend »für die Erfassung des Sinnes dieses Krieges«.
Nach diesem Krieg dann, gleich 1946, tagte in Thüringen die Erste Interzonentagung der deutschen Landesplaner, um die Voraussetzungen für den Wiederaufbau zu sondieren. Nicht nur die Probleme waren in Ost und West die gleichen – die Zerstörung der Infrastruktur, die Masse der Flüchtlinge und Vertriebenen bei bedrückendem Mangel an Wohnraum und Lebensmitteln und so weiter. Auch in ihren Leitbildern zur Beseitigung der Nöte waren die Planer sich eins. Sie gingen auf die »volkstumspolitisch« unterlegten Regionalplanifikationen der späten zwanziger und dreißiger Jahre zurück, wenn sie nicht überhaupt schon der Reformbewegung um 1900 verpflichtet waren. Freilich im Vokabular war umzulernen. Die zu gestaltende »integrale Landschaft« wurde nicht mehr ethnisch begründet, sondern in ihrer gesellschaftlichen Funktion. Raumordnung »bedeutete« nicht mehr »Volksordnung«. Die »Gestaltung des Raumes« sollte nicht mehr den »Lebensgesetzen unseres Volkes« folgen. Die Lösungen sah man in Ost wie West in einer Bodenreform und in »bäuerlichen Kleinsiedlungen«. Im Interesse einer »gesunden Landeskultur« sollte die »natürliche Landschaft« mit »naturverträglichen Wirtschaftsweisen« verbunden, die Neubauten in den neuen Siedlungsarealen »der Landschaft und dem Dorfbild« angepaßt werden.
Unter den Konferenzteilnehmern befand sich übrigens auch der wendige Hermann Henselmann, der noch Anfang der vierziger Jahre Dorfsiedlungen im »Warthegau« geplant und sich als Rektor der Bauhochschule Weimar gerade mit der Herausgabe einer einschlägigen Broschüre empfohlen hatte, die Wege zur »Gesundung des deutschen Bauerntums« und der »Verbesserung unserer Ernährungslage« aufzeigte. Während sich Henselmann bald dem mehr oder weniger genialen Architekturentwurf zuwandte, engagierten sich die Landschaftsgestalter und Hitlers Autobahnbauer beim Aufbau der sozialistischen Industriegesellschaft und bei der sozialistischen Dorfgestaltung. Und fanden sich im Konflikt mit den Natur- und Heimatfreunden im Kulturbund wieder, die mehrheitlich einem denkmalpflegerischen Konzept von Naturschutz verbunden waren.
Die einen wie die anderen wurden von der SED auf die »sozialistische Heimat« verpflichtet. Der Widerstreit zwischen den Verfechtern eines konservativen Naturschutzes und den Streitern für eine eingreifende Gestaltung der Landschaft zum Zwecke ihrer ökonomischen Verwertung allerdings ist so alt wie die Heimatschutzbewegung. Oberkrome verfolgt in seiner profunden Abhandlung den Wandel dieser Naturschutzparadigmen über fünf verschiedene Gesellschaftssysteme hinweg. Er untersucht die Diskurse im nationalen Maßstab, die regionalen Aneignungen und Umsetzungen sowie die nahräumlichen Konsequenzen der staatlichen und regionalen Landschaftsplanung. Seine Beschreibung der Leitbilder und Praktiken, die die Menschen in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt entwickelten, erhellt allenthalben, daß ein Diktaturenvergleich hierbei immer nur zu kurz greifen kann.

Willi Oberkrome: »Deutsche Heimat«. Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900-1960), Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn München Wien Zürich 2004, 54,00 Euro.