Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 27. September 2004, Heft 20

Heimatkunde

von Ulrike Köpp

Im Sommer 1990, wenige Wochen vor der deutschen Vereinigung, bemerkte die Volkskundlerin Marina Moritz gelegentlich einer Tagung, daß sich die Ostdeutschen zwar nicht mehrheitlich mit ihrem Staat, wohl aber mit dem Land DDR identifiziert hatten. Und sie prophezeite: »Die Verwurzelungen werden hier tiefer reichen, als viele es derzeit wahrhaben wollen.«
Inzwischen ist kein Zweifeln mehr an diesen Verwurzelungen, wenngleich nicht sichtbar ist, wie tief sie reichen und wie fein verzweigt sie sind. Nur die Symptome und die Blüten liegen vielfach offen zutage. Wer sich erinnert, wie Philosophen und Ideologen sich einst unsäglich quälten zu erklären, was Heimat sei und wie sich sozialistische Heimatgefühle zu unterscheiden hätten von reaktionären Heimatgefühlen – den überrascht schon, wie selbst Menschen, die nichts mit der DDR am Hut hatten, sich heute mit kaum verhohlener Wehmut eines Liedes aus ihren Kindertagen erinnern: »Die Heimat hat sich schön gemacht und Tau blitzt ihr im Haar«.
»Heimat«, so könnte man sagen, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, die rührte aus der Erfahrung des Verlustes einer geordneten und überschaubaren vorindustriellen Welt. So wie auch »Natur« ein ideologisches Konstrukt ist, ein Sehnsuchtsort, den wir erinnern als Hort einer heilen Welt, die nie war. Bis heute gleicht »Natur«, allzu gern auch als Idylle, einem Heilsversprechen, ist Metapher im industriekritischen Diskurs seit über hundert Jahren.
Blättern wir in zwei wissenschaftlichen Abhandlungen, die sich in den Gefilden von Natur und Heimat bewegen. Der eine Autor hat den Sächsischen Heimatschutz respektive die Heimatbewegung zum Gegenstand, wobei er an der Natur und dem deutschen Wald nicht vorbeikommt, der andere thematisiert die Geschichte des Naturschutzes und muß dabei doch immer auch von Heimat reden. So geraten beide Autoren schließlich, sobald sie sich historiographisch auf das Gebiet der DDR begeben, auf die Spuren der Natur- und Heimatfreunde im Kulturbund.
Thomas Schaarschmidt beschäftigt trotzdem weniger das Phänomen Heimat; er will einen Beitrag zum beliebten Diktaturenvergleich leisten. Dabei grenzt er sich zwar von dem vereinfachenden Täter-Opfer-Modell ab und versucht sich an einem gesellschaftlichen Bereich, für den nicht Zwang und Gewalt charakteristisch sind, sondern Freiwilligkeit und die Bereitschaft zum Aushandeln von Kompromissen. Das macht erst mal neugierig. Jedoch wird die Neugier arg strapaziert, denn der Autor rudert in der Fülle des Materials herum.
Es mangelt dem Buch an historischer Analyse, was im Grunde schon sein Titel signalisiert: Eine sächsische Heimatbewegung, gar eine Heimat-Propaganda wie im Dritten Reich hat es in der SBZ/DDR nicht gegeben. Das weiß natürlich auch Schaarschmidt. Er arbeitet heraus, daß die »kommunistischen Strategen« die traditionellen Strukturen des sächsischen Vereinswesens, und damit den Eckpfeiler der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, zielsicher zerschlugen – wohingegen die Vereine »die Krisen (sic!) der ersten Jahrhunderthälfte überdauert« hätten. Von dieser Art sind seine Vergleiche: Die eine Diktatur läßt das Vereinswesen überstehen, die andere zerschlägt sie. Es hat etwas Buchhalterisches, wie Schaarschmidt die Befunde gegeneinander setzt, er argumentiert strukturell und rechtsstaatlich und hat letztlich ein unpolitisches Buch verfaßt. Denn was er eben nicht vergleicht, das ist die völkische Forschung zum »Grenzland Erzgebirge« und die Grenzland-Propaganda der NSDAP mit der Programmatik der »friedlichen Kulturarbeit« der Natur- und Heimatfreunde nach einem Weltkrieg, in dem die Deutschen anderen Völkern Unglück und Leid gebracht hatten. Dieser Vergleich hätte auf den kardinalen Unterschied der beiden Diktaturen geführt – was aber wohl nicht Sinn und Zweck von Diktaturvergleichen ist.
Im allerletzten Satz des Vergleichs heißt es tiefsinnig, kaum etwas habe »die Integration der Gesellschaft in das politische System« der DDR so sehr erleichtert »wie die systemwidrige, zumeist nur taktisch motivierte Tolerierung gesellschaftlicher Freiräume«. Na, sowas. Und trotzdem ist das System eingestürzt.

Thomas Schaarschmidt: Regionalkultur und Diktatur. Sächsische Heimatbewegung und Heimat-Propaganda im Dritten Reich und in der SBZ/ DDR, Böhlau Verlag Köln – Weimar – Wien, 59,90 Euro.
Willi Oberkrome: »Deutsche Heimat«. Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900-1960), Ferdinand Schöningh Paderborn – München – Wien – Zürich, 54,00 Euro.