Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 27. September 2004, Heft 20

Stimme der Vernunft

von Uli Brockmeyer

Seit Jahren wird heftig über die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak gestritten. Für fast jeden Menschen, der hören, sehen und lesen kann, ist dieser Streit recht eindeutig entschieden. Wir wissen aber, daß nicht zuletzt diese Frage zum Anlaß genommen wurde, die mächtigste Militärmaschinerie der Welt nach Mesopotamien zu schikken und Milliarden von Dollar buchstäblich in den Sand zu setzen. Im Ergebnis wurden ungezählte Menschenleben sinnlos vernichtet, ein Diktator gestürzt, das Land jedoch nicht befriedet, sondern neuen, furchtbaren Problemen ausgesetzt.
In den Jahren vor diesem durch nichts zu rechtfertigenden Krieg gegen den Irak, seit Januar 2000, hatte der erfahrene schwedische Diplomat und frühere Außenminister Hans Blix den schwierigen Part übernommen, die Waffenkontrollkommission der UNO zu leiten, die zunächst dafür sorgen sollte, daß Beschlüsse des Sicherheitsrates durch den Irak eingehalten werden. Letztlich lief die Mission darauf hinaus, im Irak möglicherweise versteckte Waffensysteme zu finden, von deren Existenz die US-Administration die Welt zu überzeugen versuchte.
Hans Blix hat nun seine Beobachtungen während dieser brisanten Mission in einem Buch zusammengefaßt. Er beschreibt akribisch die gesamte Vorgeschichte und geht detailliert auf die letzten Monate vor dem Krieg ein, den er verhindern wollte. Blix schreibt über seine wenig befriedigenden Besuche im Irak und über seine Gespräche mit wichtigen Akteuren der Weltpolitik. Blix ist ein Diplomat vom Scheitel bis zur Sohle, und er weiß sich auch absolut diplomatisch auszudrücken. Dennoch ist an vielen Stellen dieses hochinteressanten Geschichtsbuches mehr als deutlich herauszulesen, wie frustriert er und seine Kollegen über den Ablauf der Ereignisse waren und sind, die sie nicht beeinflussen konnten. Der Autor wirft die Frage auf, die viele Menschen rund um den Erdball seit dem Beginn der Zuspitzung der Ereignisse bewegt, nämlich, ob der Krieg gegen den Irak, ob die Beseitigung Saddam Husseins nicht schon früher eine beschlossene Sache war und die Inspektionen der UN nur die Zeit bis zum vollständigen militärischen Aufmarsch überbrücken sollten.
Da für diese Annahme bisher keine Beweise vorliegen, kann auch Blix keine eindeutige Antwort darauf geben. Aus seinen Formulierungen läßt sich jedoch deutlich erkennen, welche Meinung er dazu hat. Er geht zunächst davon aus, daß irgendwann mit dem Ablauf der Geheimhaltungsfrist klassifizierter Dokumente und durch die Veröffentlichung politischer Biographien die Wahrheit ans Licht kommen wird. Und er schreibt: »Ich vermute – und es handelt sich dabei um nicht mehr als eine Vermutung –, dass die Regierung Bush im Sommer 2002 beschloß, man müsse nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 für einen Präventivschlag gegen einen möglichen Feind, der die Vereinigten Staaten bedrohen könnte, gerüstet sein. In Saddam Hussein sah man das personifizierte Böse, dem es gelungen war, die Suche nach Massenvernichtungswaffen und deren Zerstörung durch die UN-Inspekteure erfolgreich zu verhindern, der möglicherweise dem internationalen Terrorismus Unterschlupf gewährte und mit Terroristen kooperierte … Daraus zog man – so vermute ich – den Schluss, daß der Präsident … vor den nächsten Präsidentschaftswahlen diese als bedrohlich wahrgenommene Gefahr beseitigen müsse. Militärisch waren die Vereinigten Staaten dazu in der Lage, da ihr Engagement in Afghanistan sich dem Ende zuneigte und die Aufgaben dort zum Teil von der NATO übernommen wurden.«
Bei der Lektüre des Buches wird auch ein wenig klarer, welche Rolle so manche Regierungen und Politiker spielten, die sich gern als »Kriegsgegner« darstellen und sich dafür auch noch feiern ließen und lassen. Und es stellt sich die Frage nach dem Sinn oder Unsinn der Arbeit von Geheimdiensten, deren Informationen – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – letztlich von den entscheidenden Politikern im Sinne ihrer Interessen interpretiert werden.
Der Chef der UN-Inspekteure ist sich offenbar sicher, daß verbotene Waffen im Irak schon lange vor dem Beginn seiner Mission vernichtet worden waren. Unklar ist für ihn lediglich der Zeitpunkt, der sich nach seiner Meinung noch herausstellen wird. Er findet es allerdings »erstaunlich, dass man offensichtlich mehrere hundert Millionen Dollar für die Vernichtung dieser Waffen … eingeplant hatte«. Diese Aufgabe hätten die Inspekteure, wie man weiß, mit deutlich weniger Aufwand erledigen können. Und ohne Krieg.

Hans Blix: Mission Irak. Wahrheit und Lügen, Droemer Verlag München, 19,90 Euro.