Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 16. August 2004, Heft 17

Theresias Brüste

von Frank Hanisch

Der Duft von gegrilltem Seewolf aus den Schelfgebieten Westschwedens kitzelt meine Nase, während ich Kräuter und Zitrone schneide. Der Seewolf, man sieht es dem zarten Filet gar nicht an, ernährt sich von ganzen Schalentieren und ist in der Lage, mit seinem Gebiß Holzknüppel zu zerbeißen. Mein Freund Gerald, der sich in Mittelschweden am Vänernsee als Arzt niedergelassen hat, geht immer mit einem kleinen Fischlexikon einkaufen. Zum heutigen Abendessen trifft sich die deutsche Medizinerdiaspora. Das Gespräch plätschert zwischen den neuesten Nachrichten aus Deutschland, Klatsch von der Arbeitsstelle und Bemerkungen über das schwedische Wetter dahin, als Uwe, der Segelfan, dem Gespräch eine Wendung gibt: »In den Tagen vor dem Mittsommerfest beginnt die Segelsaison. Schiffe müssen jährlich mit einem Anstrich versehen werden, der Substanzen gegen Algenbewuchs enthält. Eine dieser Substanzen (Tributylzinn) wirkt so ähnlich wie Testosteron, das männliche Geschlechtshormon. In der Nachbarschaft von Häfen und Bootsanlagestellen sind vermännlichte Meeresschneckenweibchen und Austern mit degenerierten Schalen und gestörten Larven gefunden worden. Bin mir nicht sicher, ob diese Farben in Schweden mittlerweile verboten sind.«
»Ich erinnere mich an Untersuchungen mit kommunalem Abwasser eines Berliner Klärwerkes«, ergänzt der Ex-Berliner Gerald. »Ab einem bestimmten Abwasseranteil kam es zur immer stärkeren Verweiblichung der Forellen und Karpfen. In dieser Studie stand weiterhin, daß ein dazu notwendiger Abwasseranteil in den trockenen Sommermonaten durchaus in Berliner Seen und Flüssen auftreten kann.« Außerdem: männliche Brassen in Rhein und Elbe mit Eizellen in den Hoden; Forellenmännchen mit Gelbkörperchenbildung, Flundern mit zurückgebliebenen Keimdrüsen …
Mir war unbehaglich zumute. Ich trinke schon immer gern unabgekochtes Leitungswasser, das quellfrisch aus dem Harz stammen soll. Ist damit zu rechnen, daß Männern wie dem – aufgrund seiner »transsexuellen« Erfahrungen später mit Blindheit geschlagenen – antiken Seher Theresias Brüste wachsen? Oder handelt es sich um eine weitere narzistische Kränkung der Männer? Sollten aggressive Autofahrer im Stau mehr Wasser trinken?
Schweden suchten Anfang der neunziger Jahre nach Pestiziden im Wasser und fanden Lipidsenker, später Spuren von Östrogenen und anderen Medikamenten. Um welche Größenordnungen geht es eigentlich? Eine Tablette enthält einen Wirkstoff im Milligrammbereich (1 mg = 1/1000 Gramm). Im Abwasser ist die Substanz im Mikrogrammbereich (pro Liter) zu finden (1µg = 1 Millionstel Gramm), im Flußwasser im
Nanogrammbereich pro Liter (1 ng = 1 Milliardstel Gramm). Das Schockierende: Verweiblichungseffekte auf im Wasser lebende Organismen werden schon ab einer Konzentration von 1 ng/l beobachtet!
Die Bleilasur des römischen Tongeschirrs soll Unfruchtbarkeit, Kindermangel und somit auch den Untergang des Römischen Imperiums bewirkt haben, lautet ein populäres historisches Klischee. Nicht auszuschließen, daß Östrogenspuren im Trinkwasser die Samenfäden schädigen. Vielleicht wird die westliche Zivilisation ein ähnliches Schicksal wie die römische erleben und Historiker werden die im Urin ausgeschiedenen Wirkstoffe der Antibabypille dafür verantwortlich machen.
Die meisten Medikamente werden nur zum Teil vom Körper aufgenommen und mehr oder weniger unverändert über die Niere mit dem Urin ausgeschieden. Allerdings finden sich nicht nur Antibaby- und Menopausepille im Abwasser, sondern auch eine ganze Reihe anderer synthetischer Stoffe, die eine östrogenartige Wirkung haben: Zum Beispiel die Abbauprodukte nichtionischer Tenside: Jede Putzmittel- und Waschmittelpackung schmückt sich damit, zu 98 Prozent abbaubare nicht-ionische Tenside zu haben. Wenn die Substanzen auch noch wasserlöslich sind, gelangen sie ins Grundwasser und von dort ins Trinkwasser.
Die schwedischen Grünen sind gegen einen EU-Beitritt, weil sie ihre eigenen Flüsse und Seen vorm europäischen Schlendrian schützen wollen. Mittlerweile werden jährlich fünfzig bis hundert Tonnen Cholesterinsenker in der Nordsee aufgelöst, und ähnliche Mengen der gängigen Schmerzmittel, Betablocker und Antibabypillen vielleicht ebenso. In der Ostsee wird es nicht anders aussehen …
Nebenbei, vorbildliche und moderne Kläranlagen wenden zur Eliminierung von Medikamenten Ozonierungsverfahren an. Verlassen Sie sich nicht darauf, daß es das Klärwerk in Ihrem Urlaubsland macht. Für den Hausgebrauch reicht ein Kohlenstoffilter am Wasserhahn. Vergessen Sie aber nicht, den Filter regelmäßig zu wechseln. Wegen der Bakterien!