von Holger Politt, Warschau
Jacek Kuron ist tot. Laut Umfragen war er in den vergangenen Jahren neben Staatspräsident Kwasniewski Polens beliebtester Politiker. Obwohl er keinerlei öffentliche oder politische Position mehr bekleidete, war er im öffentlichen Leben des Landes allgegenwärtig. Die Kraft seiner letzten Jahre widmete er der globalisierungskritischen Bewegung, deren wichtigstes Sprachrohr in Polen er gewesen ist. Im Ausland wird er vor allem mit der Solidarnosc-Epoche verbunden. Lech Walesa ist durchaus beizupflichten, wenn er meint, daß ohne den Einsatz von Kuron an Solidarnosc nicht zu denken gewesen wäre. Ein Mann, der an Ideen glaubte und jegliches Engagement an ihnen maß. In dieser Hinsicht erinnerte er stets an das polnische 19. Jahrhundert – an das in der Emigration geborene Prinzip der Einheit von Wort und Tat, an den Typus des für das Gemeinwohl sich aufopfernden Aktivisten. Diese waren zumeist grandiose Einzelkämpfer – so auch Jacek Kuron.
Als andere – neue Freiräume nutzend – eher auf akademische Karrieren schauten, trug er seine Haut zu Markte. Insgesamt neun Jahre saß er wegen politischer beziehungsweise öffentlicher Handlungen in Haft. Dennoch gab es für ihn keinen Zweifel: Selbst die scheinbar festgefügtesten Verhältnisse lassen sich zum Tanzen bringen. Er vertraute durchaus der List der Vernunft, gerade in schwierigen Zeiten. Als er Ende der 1970er Jahre vom bevorstehenden Ende der Sowjetunion sprach, auf welches die Gesellschaften des Ostblocks sich vorzubereiten hätten, gab es mitleidiges Achselzucken nicht nur auf Regierungsseite.
Zu den Grundsätzen seines Lebens gehörte die Überzeugung, eher den Menschen zu vertrauen und weniger dem geduldigen Papier. Er trug diese Überzeugung auch in die »neue« Zeit, die für ihn zunehmend problematischer zu werden begann. Ende der 1990er Jahre entschuldigte er sich als einziger ehemaliger Oppositioneller für die Leichtgläubigkeit, mit der er und seine Mitstreiter die Gesellschaft in die Transformationszeit geführt hatten. Ein mutiger Schritt, da damit das eigene politische Engagement – etwa als Arbeitsminister – für den öffentlichen Prüfstand freigegeben wurde.
Vor zwei Jahren veröffentlichte er das Buch seines Lebens – Dzialanie (Einwirkung). »Wenn wir nicht unser Leben beherrschen, wird es uns beherrschen« – so der bezeichnende Untertitel der bereits 1968 im Gefängnis angefangenen Arbeit. Darin zeigte er sich zuversichtlich, daß das heutige kapitalistische System abgelöst werde durch eine im Geiste des humanistischen Sozialismus geschaffene gesellschaftliche Ordnung. Vorausgesetzt freilich, die jetzigen Verhältnisse werden weltweit zum Tanzen gebracht. Die Problemlage, so seine Diagnose am beginnenden 21. Jahrhundert, erheische geradezu radikale und unkonventionelle Schritte.
Keine Frage, daß die globalisierungskritische Bewegung ihm besonders am Herzen lag. Im April 2004, als Staatspräsident Kwasniewski am Vorabend des EU-Beitritts des Landes den »Europäischen Wirtschaftsgipfel« nach Warschau lud, verfaßte er einen öffentlichen Aufruf zur Unterstützung des »Gegengipfels«. Ein mutiger Schritt, denn die öffentliche Verteufelung der vor allem jungen, engagierten Menschen, die für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung sich einsetzen, war in jenen Tagen bereits mächtig fortgeschritten. Jacek Kuron – auch daran soll noch einmal erinnert werden – gehörte im vergangenen Jahr zu den wenigen polnischen Intellektuellen, die sich in der Irak-Frage dem Kriegskurs des Landes öffentlich und entschieden entgegenstellten. In einem Aufruf schrieb er, daß nunmehr ein »Krieg der Zivilisationen« vom Zaune gebrochen sei, der nicht mit der Eroberung Bagdads beendet werde. »Dieser Krieg wird solange dauern, bis der letzte ›Fremde‹ zu leben aufhört, der nicht bereit ist, die Werte unserer Zivilisation anzunehmen.«
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