Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 29. März 2004, Heft 7

Das Zauberwort

von Klaus Hansen

Das Zauberwort heißt Kommunikation. Es ist ein Wort ohne Widerspruch. Wo sich ein Manko zeigt, sei es im Jahresumsatz des Einzelhandels, im Verhältnis zwischen Mann und Frau oder in der Glaubwürdigkeit der Regierung: Jedesmal wird als Ursache defizitäre und unterlassene Kommunikation entdeckt und die Therapie in besserer und kontinuierlicher Kommunikation gefunden. Siebzig Prozent aller Fehler am Arbeitsplatz, heißt es, können auf mangelhafte Kommunikation zurückgeführt werden – Mißverständnisse, unklare Aufgabenstellungen und Absprachen, kollegiale Mißgunst. Woran es fehlt, sei »kommunikative Kompetenz« bei Vorgesetzten und Nachgesetzten. Kommunikative Kompetenz ist heute die Schlüsselqualifikation schlechthin. Nach dem Sturz aller möglichen Letztinstanzen scheint eine letzte übrig geblieben zu sein: Kommunikation. Immerzu auf der Suche nach der Gesellschaft, in der wir leben, haben wir mit dem Namen der »Kommunikationsgesellschaft« ein Etikett gefunden, auf das wir uns alle verständigen können. Kommunikation ist gut, gegen Kommunikation ist niemand, für Kommunikation sind alle.
Umherschweifende Unternehmensberater singen bei jeder Gelegenheit das Hohelied der Kommunikation. »In Politik, Kultur und Wirtschaft erleidet Schiffbruch, wer verkennt, daß alle Probleme im Kern Kommunikationsprobleme sind«, schreibt Vera F. Birkenbihl, die Selfmadefrau in der McKinsey-Branche. Hat eine Chemiefabrik ihre Umgebung durch giftigen Fallout in Aufregung versetzt, so bringt es nichts, den »Störfall« mit technischen Maßnahmen oder chemischen Erklärungen aus der Welt schaffen zu wollen, sagt die Beratungsindustrie. Wichtiger ist es, Betroffenheit zu bekunden, sich den Anwohnern zu stellen, ihren Sorgen mit ernster Fassade zu begegnen und ihre Fragen verständnisvoll anzuhören. Auf alles weitere komme es dann gar nicht mehr an.
Das symbolpolitische Missionswerk namens Alles ist Kommunikation versteht es glänzend, davon abzulenken, die Menschen an ihren Taten zu messen. Pointiert: Nicht das Erreichte zählt, das Erzählte reicht. Diese psychologisch versierte Kunst heißt »Appeasement-Kommunikation«. Eine mögliche andere Strategie, die der dreisten und an Orwell’s Newspeak aus 1984 erinnernden Euphemisierung, wäre hier fehl am Platz; sie wird von anderen an anderer Stelle betrieben. Wenn die Deutsche Bahn Zugverbindungen streicht und Strecken stillegt, so ist das »Angebotsverbesserung«; wenn die Deutsche Post tausende von Briefkästen abmontiert, so dient das der »Beförderungsoptimierung«; wenn die Deutsche Bank arme Schlucker (»sozialschwache Mitbürger«) von der Eröffnung eines Girokontos abhalten will, so betreibt sie »Schalterhygiene«. Was manifestiert sich in dieser Unwörter-Kommunikation? Gewiß vielerlei Machtspiele. Mir kommt es hier auf die moralische Unverfrorenheit an, die sich binnen einer Generation breitgemacht hat und dabei ist, den alltäglichen Umgangston zu prägen.
Unsere Eltern folgten noch der Maxime »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Ein obrigkeitsstaatliches Relikt – vielleicht; ein Zeichen persönlicher Bescheidenheit auf jeden Fall. Meine Generation ging bereits durch die unbescheidene Schule der Öffentlichkeitsarbeit: »Tue Gutes und rede darüber!« Nun ja, wer Positives geleistet hat, darf auch die große Glocke läuten. Unsere Kinder heute kommen schon mit der »Ich kommuniziere gern«-Grundhaltung auf die Welt. Man lehrt sie, die soziale Wirklichkeit als ein Produkt rhetorischer Erredung zu verstehen. »Mach ruhig Mist«, so könnte die zeitgenössische Maxime lauten, »aber rede ihn schön. Du weißt ja, wie das geht, denn du bist ja professionell!«
In der Kommunikationsgesellschaft wird Kommunikation zum totalen Zwang. Wir können uns der Teilnahme an ihr nicht mehr entziehen, ohne fürchten zu müssen, zu kurz zu kommen und andere über uns bestimmen zu lassen. Die Schwachen sind heute diejenigen, die sich nicht lautstark zu Wort melden können oder keine lautstarken Fürsprecher finden. Der Kampf um das knappe Gut der öffentlichen Aufmerksamkeit prägt die sozialen Auseinandersetzungen.
Das färbt auch auf das Zauberwort ab. Im Umgang mit dem Verb »kommunizieren« fällt seit kurzem ein grammatikalischer Gebrauchswandel auf. Bislang kommunizierte man »mit jemandem« oder »über etwas«; »kommunizieren« war selbstverständlich ein intransitives Verb, das kein direktes Objekt nach sich ziehen konnte. Seit neuem aber ist es ein transitives, ein zielendes Verb, das ein Akkusativobjekt verlangt. Höchste Stellen im Lande machen es uns vor. Wenn der Regierungssprecher »Vermittlungsprobleme« bedauert und erklärt, die gute Arbeit der Bundesregierung sei »nicht richtig kommuniziert worden«, dann benutzt er das Verb transitiv, ebenso wie der Kanzler, der an seine Partei appelliert: »Wir müssen den Bürgern im Lande unsere Zukunftsfähigkeit kommunizieren!« Im intimen Tagebuch eines modernen Romeo könnte also heute durchaus der Satz stehen: »Gestern nacht kommunizierte ich Julia meine Liebe.« Aus dem eher kontemplativen Verb »kommunizieren« ist ein forsches, ja aggressives Wort geworden, aus dem »Unterhalten und Austauschen« ein »Rüberbringen«.
In Zeiten der allseitigen Kommunikationsverherrlichung tut es gut, auf ein Lob des kommunikativen Unvermögens zu stoßen. Ich fand es bei dem englischen Anthropologen Nigel Barley, der 1998 eine Reise in die Welthauptstadt der Kommunikationstechnologie unternahm, nach Singapur, wo man bereits flächendeckend glasfaserverkabelt ist und mit Lichtgeschwindigkeit Raum und Zeit überwindet. Barley bemerkt, daß es heute gar kein Singapur gäbe, wäre nicht im Jahr 1819 ein Brief von dort nach London und zurück neun Monate unterwegs gewesen.
Denn als damals Stamford Raffles den größten Umschlaghafen im Osten gründete, tat er es, ohne die Genehmigung aus der Zentrale seiner Firma, der englischen Ostindien-Kompanie, abzuwarten. Als der Brief aus London eintraf, der ihm die Gründung untersagte, hatte er der Order bereits zuwidergehandelt und Fakten geschaffen.
Auch die Ostindien-Gesellschaft insgesamt, das größte, reichste und mächtigste multinationale Unternehmen, das es je gab, verdankte seine Fortdauer nicht etwa gut funktionierender Kommunikation, sondern ihrem Gegenteil. Denn viele Teile der Gesellschaft waren bei anderen Teilen sowohl Schuldner als auch Gläubiger. Nie konnten alle Papiere zusammengetragen werden, um herauszufinden, wie es tatsächlich um die Gesellschaft stand. Als dies schließlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts gelang, stellte sich heraus, daß die Gesellschaft schon seit hundert Jahren bankrott war. Sie mußte schließen. Das Unvermögen zu kommunizieren war ihre größte Ressource.