Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 29. März 2004, Heft 7

Oh, I see!

von Kurt Merkel

Es war im Jahre 1986, als die Amerikaner zu der Überzeugung kamen, ihr alter Freund, der philippinische Präsident Ferdinand Marcos, habe ausgedient, weil er nicht mehr in der Lage war, die Sicherheit im Lande zu gewährleisten, und das hieß, auch nicht mehr die Sicherheitsinteressen der Amerikaner. Und da packten sie ihn einfach in ein Flugzeug und flogen ihn, seine Familie und die engsten Getreuen unter Zurücklassung nicht nur des Schuhmuseums seiner Frau Imelda aus.
Da die Philippinen nun ein demokratischer Verbündeter der USA werden sollten mit einem verfassungsgemäß gewählten Präsidenten, mußte zuvor eine »People’s Revolution« stattfinden, an deren Spitze, wen wundert es, sich alsbald Polizeichef und Verteidigungsminister stellten. Letzterer übernahm hohe Ämter auch in der folgenden Zeit, ersterer brachte es bis zum Präsidenten. Dem Austausch der Marcos-Familie durch die der Aquinos an der Spitze folgte verständlicherweise die Besetzung aller möglichen Positionen mit den Vertrauten der neuen Führung.
Aber die Legalität der alten Regierung durfte nicht zu grundsätzlich in Frage gestellt werden, die neuen Führer hatten ja noch nicht einmal eine Rechtfertigung durch Wahlen hinter sich. Also beließ Frau Aquino zunächst alle in ihren Funktionen, entmachtete sie aber, indem sie – in der Verfassung nicht vorgesehene – Beauftragte über sie stellte, sogenannte Officers in Charge. Und da die Filipinos schon damals zu denen gehörten, die Spaß an Sprachspielereien wie »BarBQ«, »I love U« oder »4 Sale« hatten, hießen diese Beauftragten »O.I.C.«, und der Witz machte die Runde, wo einer seinen alten Freund fragt, was der denn so mache, und auf dessen Antwort »O.I.C.« ersterer verstehend nickt: »Oh, I see.«
Die USA hatten die Methode, mit unliebsam gewordenen Verbündeten umzugehen, nicht erst 1986 erfunden, und sie gefällt ihnen noch immer. Das letzte Opfer war der haitische Präsident Aristide, der sogar mehrmals aus- und wieder eingeflogen werden mußte, nachdem der Duvalier-Clan nicht mehr zu halten gewesen war. Beim letzten Mal erwies er sich als so spielunkundig, daß er noch aus dem fernen Zentralafrika gegen seine Entführung protestierte. Wie unnütz, waren die amerikanischen Truppen doch längst im Lande, auch, sich an ihre koloniale Tradition erinnernd, die französischen, und sogar ein Mandat der UNO haben sie dafür erhalten. Das wohl deshalb, weil niemand sonst besondere Interessen dort verfolgt und die Irak-Kriegsgegner gerade damit beschäftigt sind, sich den USA wieder anzudienen, um im Irak ins Geschäft zu kommen.
Und die Sache mit Saddam lief eigentlich gar nicht so viel anders, auch er ein gewählter Präsident. Daß seine Wahl nicht nach den demokratischsten Normen verlaufen war, wen interessierte das, bevor nicht seine Entfernung beschlossen worden war. Und was überhaupt sind demokratische Wahlen? Die, mit denen Bush Präsident wurde?
Da sind wir hier in Deutschland, im alten Europa, doch in einer ganz anderen Lage. Natürlich hilft auch hier nicht die Schulbuchdarstellung der Gewaltenteilung und Wahlsysteme, die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse zu verstehen. Wenn man darüber mehr erfahren will, lohnt es zuweilen, den Repräsentanten der Unternehmer- und Wirtschaftsverbände zuzuhören. Beginnen die »Volksparteien« zum Beispiel darüber zu diskutieren, die Nachtarbeits- und Sonntagszuschläge zu versteuern, fordern jene deren Abschaffung im Rahmen der Flexibilisierung der Arbeit. Fordern die unverbesserlichen Arbeitnehmerflügel der Parteien statt dessen Steuern auf Vermögen, Erbschaften und Spekulationsgewinne, wird das mit der Bemerkung gekontert, mit solcher Art Umverteilung müsse endlich Schluß gemacht werden angesichts der größten Umverteilung, die gegenwärtig stattfinde unter dem Namen »Arbeitslosenhilfe«. Diese in keiner Weise und von niemandem legitimierten Beherrscher der Wirtschaft sind nicht nur in der Lage, den Rahmen, in dem Regierung und Parteien agieren können, zu bestimmen, sie demonstrieren inzwischen – wie Herr Ackermann besonders eindrucksvoll vor dem Gericht – mit Genuß ihre Unantastbarkeit und Unabhängigkeit von allen staatlichen Gewalten. Der einzige Zwang, dem sie unterliegen, ist der der kapitalistischen Wirtschaft, kein einzelner kann sich da herausziehen, er muß, will er bestehen, Arbeiter entlassen, Löhne senken, Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlegen. Und er kann sich lustig machen über die Folgen der Globalisierung, die die Löhne der Arbeiter in Deutschland mit denen in Bangladesh vergleichbar macht und die Einnahmen der Manager mit denen in den USA.
Regierung und Parteien sind da nun in einer unglücklichen Lage. Bei der Erfüllung der Wünsche der Unternehmer, also Senkung des Spitzensteuersatzes, Beschneidung der Rechte der Arbeitnehmer und Senkung der Sozialausgaben, müssen sie doch berücksichtigen, daß sie, im Unterschied zu den Wirtschaftsmächtigen, gewählt werden. Daraus erklären sich manche Tricks, wie etwa, die miesesten Maßnahmen auf Zeiten nach den Wahlen zu verlegen oder von der jeweiligen Opposition vortragen zu lassen.
Zum anderen aber entwickelt man ein ausuferndes »Oh, I see«-System. Da werden negativ ankommende Maßnahmen mit positiven Begriffen belegt. Rentenkürzung heißt dann »Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors«, Kürzung der Leistungen des Gesundheitswesens »Gesundheitsreform«, das Arbeitsamt wird zum »Jobcenter« und der Arbeitslose zur »Ich-AG«. Oh, I see! Da kann man politische Entscheidungen an die Gerichte verschieben: Ja wenn das so vom Recht verlangt wird, ist die Regierung machtlos! Oh, I see! Man kann Expertenkommissionen einsetzen: Ja, wenn die Experten das so sagen! Oh, I see! Man kann sich von »unabhängigen« Beratern beraten lassen, auch wenn die gestern noch selbst die zuständigen Beamten waren: Ja, besser kann es nun wirklich niemand wissen! Oh, I see! Die Entmachtung der gewählten Institutionen belegt die Hohlheit des Demokratieverständnisses, das Demokratie auf das Stattfinden von Wahlen nach bestimmten Mustern reduziert.
Da werden die angestrebten Wahlen im Irak zwar nicht demokratischer, aber doch überschaubarer sein als hier. Wir wissen, daß bei uns der wirtschaftliberale Kurs von der nächsten Regierung fortgesetzt wird, welche Partei sie auch bildet. In nach Stämmen, Clans und Religionsgemeinschaften organisierten Gesellschaften wie der im Irak wählt jeder seinen Stamm, seinen Clan und seine Religionsgemeinschaft, ganz gleich wie sich die diese Gruppen repräsentierenden und sich der Wahl stellenden Parteien auch nennen mögen. Kein Clan aber ist Interessenvertreter deutscher Noch-Arbeitender, Arbeitsloser oder Rentner. Die werden dann also nicht mehr wissen, warum sie denn wen wählen sollten. Oh, I see!