von Arndt Hopfmann
Auch ohne die längst zu einer Art links-masochistischer Sucht verkommene, ungebrochene Entschuldigungswelle, die vom Eulenspiegel kürzlich in der griffigen Forderung »Proletarier aller Länder, entschuldigt euch!« auf den Punkt gebracht wurde, erlebt seit einigen Jahren auch die PDS einen zunächst kaum zu erwartenden Mitregierungsboom.
Damit teilt sie in gewisser Weise das Schicksal anderer ehemaliger SED-Bruderparteien im östlichen Mitteleuropa. In Polen wie auch in Ungarn und in der tschechischen Republik haben die aus den staatstragenden Monoparteien von einst herausgewendeten Mitte-Links-Parteien inzwischen sogar – zumindest für eine Wahlperiode – wieder die nationalen Regierungsgeschäfte übernommen. Dies ist angesichts des von ihnen in erster Linie zu verantwortenden grandiosen Scheiterns des realexistierenden Staatssozialismus selbst dann noch bemerkenswert, wenn man in Rechnung stellt, daß sich die meisten der ehemaligen Parteien sowjet-kommunistischen Typs heute eher sozialdemokratisch denn antikapitalistisch geben.
Im Falle der PDS, deren Spielraum für eine (Re)Sozialdemokratisierung schon allein durch die Existenz der SPD sehr begrenzt war und bleiben wird, mutet das Phänomen des Mitregierendürfens (und -müssens) daher noch ungleich absonderlicher an – auch wenn sich dies bislang höchstens auf Länderebene vollzieht.
Erklärbar wird das »kurze« Gedächtnis der Wählerschaft vor allem durch die beispiellose Renaissance marktradikaler Politikkonzepte, die nicht nur von konservativen Parteien und den Unternehmerverbänden, sondern spätestens seit der Erfindung von New Labour durch Tony Blair im Vereinigten Königreich auch von der Sozialdemokratie vehement verfochten werden. Seit dem Einmarsch des homo economicus in sozialdemokratische Partei- und Gewerkschaftszentralen und dem folgerichtigen Ausbruch einer in diesen Kreisen bislang ungekannten Begeisterung für Deregulierung, Flexibilisierung, Verschlankung und Haushaltssanierung sind die sozialen Sicherungssysteme von einer bedrohlichen Schwindsucht befallen. Die Entsicherung des augenblicklichen Daseins und vor allem die um sich greifende Zukunfts-Ungewißheit lassen die Regierungsbeteiligung linker Parteien als eine (der wenigen, dem Wähler noch zu Gebote stehenden) Vorsichtsmaßnahmen erscheinen. Aber auch das Kapital hat offenbar seinen Frieden mit den Linken gemacht. Seitdem radikale Verstaatlichung und zentralistische Planwirtschaft auch von den Linken als erwiesenermaßen ungeeignet für einen wie auch immer interpretierten »demokratischen Sozialismus« angesehen werden, sind der »linken Gefahr« aus Sicht des Unternehmertums die schärfsten Zähne gezogen.
Von nun an stehen nicht mehr Ausgrenzung und Schmollecke auf der Tagesordnung, sondern Buße durch Integration in den alltäglichen Herrschaftsbetrieb. Und das heißt nicht nur drohende »Entzauberung« durch das »langsame Bohren von harten Brettern« (Max Weber) unter Einhaltung bestimmter Politik-Betriebsvorschriften, die einen erfolgreichen Abschluß der (Bohr)Arbeiten gewöhnlich ausschließen. Linke Ermächtigung schließt auch das Aufrücken von Personen in den illustren Kreis von Systemgünstlingen ein. Daß beispielsweise Minister und Staatssekretäre (wie auch bereits »einfache« Parlamentarier) zu den außergewöhnlich Begünstigten des Herrschaftssystems zählen, zeigt sich nicht zuletzt an den großzügigen Renten- und Übergangsregelungen für diese Personengruppe. Wundersamerweise wurden hier im Zuge der »Rentenreform« auch keinerlei »Anpassungen« – sprich Verschlechterungen – vorgenommen.
Für linke Parteien wird jedoch das (Mit)Regieren dann zu einer äußerst diffizilen Angelegenheit, wenn ihre Existenz sich ausdrücklich auf den programmatischen Anspruch beruft, eine Alternative zur herrschenden Gesellschaftsform herbeiführen zu wollen. Denn die Beteiligung an einer Regierung heißt immer in erster Linie (Mit)Verwaltung des gegebenen Status quo, während die Mehrzahl der Mitglieder und wohl auch ein Teil der Wählerschaft tatsächlich eine »andere« Politik erwarten. Gegen diesen Erwartungsdruck immunisieren in der Regel auch keine Beteuerungen der Art, daß (Mit)Regieren nur in Frage käme, wenn eigene politische Vorstellungen umgesetzt werden könnten. Daß dafür in der Realität kaum Spielräume bestehen, und daß es schließlich auf die hehren Prinzipien auch gar nicht ankommt, läßt sich zum Beispiel aus den ernüchternden Auftritten der PDS in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern lernen. Da werden Autobahnprojekte genauso mitgetragen wie zweifelhafte Investitionsentscheidungen und nicht zuletzt unsoziale Haushaltskürzungen – auch hier gleicht die PDS den Abkömmlingen der ehemaligen SED-Bruderparteien im mitteleuropäischen Osten.
Mit einiger Sicherheit war die auf Karl Marx und Friedrich Engels zurückgehende Übertragung des Revolutionsmodells, wie es für den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus typisch war, auf die Transformation kapitalistischer in sozialistische Gesellschaften die unangemessene Verallgemeinerung eines historisch besonderen Phänomens. Daß sich gesellschaftliche Transformation heute anders – auch jenseits von Klassenbündnissen – vollziehen kann, haben die Wendeereignisse 1989/90 gezeigt. Es wäre daher sicherlich verfehlt, von Linken und ihren Parteien im alten Geiste ein »klares Bekenntnis« zur »Arbeiterklasse« und zur »Revolution« einzufordern, wenn von strategischen Entwürfen für eine gesellschaftliche Alternative die Rede ist. Aber wenigstens eine Idee, auf welchem Weg eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft unter den aktuellen Bedingungen erreicht – vielleicht sogar »herbeiregiert« – werden könnte, sollten sie schon haben, sonst verkommt alles Streben nach (Mit)Regieren zur Farce, das heißt: zu einer belanglosen, lächerlichen Angelegenheit.
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