von Anna Scheer
Hans Eckart Wenzel feierte seinen Fünfzigsten mit einem Jubiläumskonzert in der Freilichtbühne Berlin-Weißensee. Ein durchaus angemessener Ort, wenn man die Zuschauerscharen betrachtete. Denn in seiner etwa dreißigjährigen Bühnenlaufbahn gelang es dem Liedermacher immer wieder aufs neue, auch junge Leute zu begeistern. So fanden sich unter den Zuschauern sowohl etliche Neugeborene, die auf den Armen ihrer jungen Mütter entspannt lauschten, als auch viele Ältere, denen das Verharren auf den harten Bänken sichtlich Mühe bereitete.
Das Geburtstagskind selbst scheint alterslos. Auch wenn sein Haar mittlerweile etwas schütter, trägt er es wie eh und je in langer Mähne. Konzessionen gibt es nicht. Obwohl ihm Showprofis aus den USA rieten, sich etwas mehr sexy zu geben – »das Auge hört mit« – zieht Wenzel allemal seine Jacke aus, um das gute alte Matrosennicki freizulegen. Unermüdlich singt und redet er drei Stunden lang, nur unterbrochen von ein paar ausgewählten Gratulanten wie Christoph und Jakob Hein, Nora Guthrie oder seinem langjährigem Bühnenpartner Steffen Mensching. Ansonsten zeigt Wenzel, was er noch kann: Ein dutzendmal in die Höhe zu hüpfen und dabei trotzdem zu musizieren. Aber auch eine selbstbewußte junge Frau anzukündigen, die ihrem »Daddy« ein Ständchen singt und gleichzeitig stolz sein jüngstes Kind, die kleine Mascha, zu präsentieren. Der dreijährige Lockenschopf sprang während des Konzerts im signalroten Kleid unerschrocken durch die Reihen, so daß man ganz betört sogleich die neueste CD Wenzel singt Maschas Kinderlieder kaufen mußte.
Ringel Reihe und Laurentia fügen sich durchaus in Wenzels Werk. Seine unzähligen Bühnenprogramme – anfangs noch mit dem Liedertheater Karls Enkel – leben vom deutschsprachigem Liedgut. Er ließ sich von Goethe, Mühsam, Becher und Brecht beeinflussen und vertonte vor allem unzählige Texte von Theodor Kramer.
Der Fall der Mauer zwang auch Wenzel zum Verlassen gewohnter Wege. Plötzlich verpufften die subtilen Anspielungen des kabarettistischen Clownsduos, mit dem Wenzel und Steffen Mensching Kultstatus in der DDR erlangt hatten. Nun, in einer Realität, in der tatsächlich »nichts mehr geheim bleibt«, scheitert die Revolution nicht bloß an Terminproblemen. Nur nostalgisches Erinnerungsschwelgen brachte den Zuschauer dazu, sich noch einmal die Notenständer-Pico-Eisenbahn-Nummer anzusehen, die im neuen Alltag auf einmal so fremd wirkte. Mensching und Wenzel gaben das Kabarett auf und gingen fortan getrennte Wege.
Wenzel verschlug es alsbald nach New York ins Woody-Guthrie-Archiv, wo der studierte Kulturwissenschaftler in den Texten des Folksängers überraschend einen Freund im Geiste entdeckte. Seine Neuinterpretationen von Guthrie fand nicht nur in Deutschland sondern auch in den USA Anerkennung.
Gerade die Mischung aus volksliedhafter Struktur und literarischem Anspruch, das Besingen von durchzechten und schlaflosen Nächten, aber auch die Reflexion gesellschaftlicher Zustände beherrscht Wenzel ebenso spielerisch wie virtuos. Doch jegliches hat seine Zeit. Wenzel beschreibt selbst, daß so manches Lied erst Jahre später vom Publikum angenommen wird. Alltagskritik riskiert aber auch die umgekehrte Wirkung: Die ironische Beschreibung des »Händimanns« weckt derzeit, zehn Jahre danach, nur ein müdes Lächeln und gehört dementsprechend nicht zur Bestenliste, die das Publikum im Vorfeld wählen durfte.
Daran, daß beim Älterwerden der Verlust an Sportlichkeit zuweilen durch Verbissenheit kaschiert wird, war letztlich doch zu erkennen, daß Wenzel jetzt fünfzig ist. Denn seinem Ärger über bürokratische Lärmschutzvorschriften, die ihn zwangen, sein Konzert ungewöhnlich früh beginnen zu lassen, machte er fortwährend Luft. Wutvernebelt beschimpfte er die offensichtlich klagenden Anwohner als »Stalinisten« und sprach von »Dezibelspitzeln«, bis es Steffen Mensching in seiner Laudatio gelang, ihn zu zähmen.
Letztlich waren es aber auch wirklich nur die Vorgaben des Ordnungsamtes, die das Konzert beendeten, denn das glückliche Publikum hätte noch bis zum Morgengrauen Zugaben gefordert.
Zum Lieblingslied wurde übrigens Herbstlied – Feinslieb, du lachst dazu gekürt – eines der ältesten und persönlichsten Lieder. Das zeigt, daß Erinnern auch sehr schön sein kann.
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