16. Jahrgang | Nummer 3 | 4. Februar 2013

Von wegen Märchenkönig

von Peter Liebers

Ans Pausieren ist für Sabin Tambrea nicht zu denken. Der 28-Jährige ist nach gut sechs Monaten Drehzeit für den Kinofilm „Ludwig II.“ und gerade absolvierter Promotionstour ans Berliner Ensemble (BE) zurückgekehrt, hat die während der langen Abwesenheit umbesetzten Theaterrollen wieder übernommen („Frühlings Erwachen“, „Lulu“, Hanns-Eisler-Revue, „Shakespeare Sonette“), feiert Erfolge in Neuinszenierungen („Was ihr wollt“, „Geschichten aus dem Wiener Wald“) und ist somit wieder zu Hause angekommen.
So ereignisreich sein Ausflug nach Bayern gewesen ist und so sehr viel sich mit „Ludwig II.“ für ihn verändert hat, auch nach der Verleihung des Bayerischen Filmpreises ist Sabin Tambrea geerdet geblieben. „Ich freue mich zunächst über die Bestätigung meiner Arbeit. Es ist ein schönes Gefühl, wenn ehrliche, passionierte Leidenschaft für den Beruf wahrgenommen und honoriert wird. Leichter wird es dadurch aber nicht, die Branche erfährt durch diesen Preis nur, dass ich eine Arbeit in der Vergangenheit gut gemacht habe. Alles Kommende muss ich mit dem gleichen Respekt vor diesem Beruf bestehen“, erklärte Tambrea in seiner Dankesrede auf dem Münchner Filmfest. Ein Terrain, das ihm noch nicht sehr vertraut ist.
Der Film sei für ihn eine Herausforderung gewesen, für die er viel riskiert hat. Nicht nur, dass er all seine Leidenschaft in die Bewerbung um die Rolle gelegt hat, Reiten lernte, obwohl er niemals zuvor einem Pferd näher gekommen sei, „als auf 200 Meter“, wie er gesteht. Auch habe er ein bisschen gemogelt bei der Frage, ob er Französisch beherrsche. Die Regisseure Marie Noëlle und Peter Sehr gaben ihm dennoch die Rolle des „Märchenkönigs“, denn für sie war Tambrea eine Traumbesetzung. Ohne ihn, so erklärten sie, hätten sie das als Psychodrama, Seelenschmerz und Ausstattungsfilm angelegte Projekt nicht machen wollen. Mehr kann man sich als Vertrauensbeweis nicht wünschen.
Den in Rumänien geborenen und in Hagen/Westfalen aufgewachsenen Absolvent der Berliner Schauspielhochschule „Ernst Busch“ verlockte die Spurensuche nach der zerrissenen Persönlichkeit des Bayernkönigs. Tambrea spielt den blutjungen, nach Zuneigung und Schönheit strebenden idealistischen König, der mit den Mitteln der Künste eine bessere Welt erschaffen möchte. Voller Begeisterung berichtet er von der Zusammenarbeit mit Edgar Selge, der den von Ludwig vergötterten Richard Wagner gibt und es ihm leicht gemacht habe, die äußerst schwierige Beziehung zwischen dem Komponisten und dem schwärmerischen König zu erfassen.
Die Entscheidung der Regisseure für Tambrea bleibt neben dem Filmpreis eine Riesenchance für den Schauspieler, den Intendant Claus Peymann schon als Student ans BE holte, aber auch ein Glücksfall für dieses filmische Porträt. Denn ihm gelingt es, den Menschen Ludwig II. hinter dem Mythos erkennen zu lassen, ohne die altbekannten Klischees wie zügelloses Leben und Verschwendungssucht oder schwülstigen Seelenkitsch zu strapazieren.
Der 28-Jährige nennt diese Rolle „einen Lottogewinn“. Und tatsächlich sieht es danach aus, als ob seine Karriere aus einer nicht enden wollenden Reihe glücklicher Umstände besteht. Dazu gehören die Flucht der Familie vor dem Ceausescu-Regime aus der rumänischen Heimat, das künstlerische Klima, das seine Musiker-Eltern zu Hause pflegten, und dass er mehrere Instrumente spielt, singt und komponiert ebenso wie das Hagener Jugendtheater, das er mit Freunden gründete und wo er schon früh auf der Bühne stand.
So deutlich die Wertschätzung Peymanns in der wiederholten Besetzung Tambreas am BE wird, auch die mit Katharina Thalbach ist kein Zufall. 2010 hatte sie dem Schauspielerschüler eine Hauptrolle in Bertolt Brechts Frühwerk „Im Dickicht der Städte“ anvertraut. Im „Ludwig“-Film spielt sie seine Mutter, und als „großes Glück“ begreift es Tambrea, dass sich diese vertrauensvolle Entwicklung nun fortsetzt, indem sie ihn gerade in Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ in der Doppelrolle des Geschwisterpaars Viola/Sebastian besetzte. Mit Freude und Bewunderung teilt er fbei dieser Inszenierung die Garderobe mit dem Bassbariton Thomas Quasthoff, der mit ihm als Narr auf der Bühne steht.
Nach „Ludwig II.“ drehte Sabin Tambrea zwei andere Kinofilme, weitere Projekte seien verabredet. Aber so sehr ihn die Filmarbeit bereichere, versichert Tambrea, das Theater bleibe für ihn der Ursprung der Schauspielkunst. Deshalb habe er nicht einen Moment daran gezweifelt, dass er ans BE zurückkehren möchte. Vielleicht auch, um Intendant Peymann seinen Dank dafür abzustatten, dass der an ihn, den noch unerfahrenen Studenten glaubte, ihn Rollen spielen ließ, „die eigentlich zu groß waren für mein Können in der jeweiligen Zeit, aber an denen ich wachsen durfte.“
Die beiden haben zudem ihre eigene Geschichte, lautete doch nach Tambreas erfolgreichem Casting für den „Ludwig“-Film Peymanns Prognose, dass der vielseitige, hochbegabte junge Schauspieler wohl nicht ans BE zurückkehren werde. Wie ernst es Tambrea aber meint, zeigt sein strahlendes Gesicht, mit dem er von der Freude über das Erreichte spricht und seiner Gewissheit, „dass die Zukunft noch viel für mich bereithält“.
So wie Ludwig II. in der Musik Wagners lebte, ist für Sabin Tambrea der Komponist und Kapellmeister Gustav Mahler sein „großer Held! „Seine Musik berührt mich ungemein, auch ohne Texte. Der hat viel Leid in seinem Leben erfahren und trotzdem oder gerade deswegen mit großer Kraft komponiert.“ Muss man also gelitten haben, um als Künstler glaubwürdig und überzeugend zu sein? „Man muss gelitten haben, um andere Menschen durch Tiefgründigkeit berühren zu können“, sagt der 1984 geborene Tambrea ohne jedes Pathos
Den Wunsch nach einer Traumrolle kennt Sabin Tambrea nicht. Wichtiger ist ihm, dass er seine vielseitigen Talente entfalten kann. Obwohl er weiß, dass nur zwei Prozent der Schauspieler in Deutschland von ihrem Beruf leben können, glaubt er „an so eine Art Schicksalsdrehbuch, weil ich in meinem Leben immer im richtigen Moment Personen begegnet bin, die mir vertraut und die mir neue Herausforderungen geboten haben“.
Rumänien bleibt, obwohl er nun in Berlin zu Hause ist, wie er sagt, seine Heimat. „Man darf nicht vergessen, wie es ist, wenn man ein Land verlässt“, erinnert sich der junge Schauspieler dankbar an die Entscheidung seiner Eltern, dem Ceausescu-Regime den Rücken zu kehren, um ihren beiden Kindern eine Perspektive geben zu können. „Sie haben dafür alles, ihre Sprache, ihre Familie und Freunde aufgegeben, um meiner Schwester und mir ein besseres Leben und eine gute Ausbildungen zu ermöglichen. Ich spürte schon als Kind, dass wir hier zusammen allein in der Fremde waren. Wir haben einen Familienzusammenhalt entwickelt, und ich weiß, dass es Luxus ist, was ich erlebe und diese Familie mein höchster Wert, ist, den ich besitze.“
In diesen Wochen, so scheint es, holt Sabin Tambrea alles nach, was er wegen seiner Filmarbeit auf der Bühne versäumt hat, nahezu jeden Abend spielt er, parallel dazu probt er mit Claus Peymann Schillers „Kabale und Liebe“, und mit dem US-amerikanischen Theatermagier Robert Wilson „Peter Pan“ in der Titelrolle. Dergleichen Chancen finden sich für junge Schauspieler in der deutschen Theaterlandschaft so bald nicht wieder.

Peter Liebers war langjähriger Kulturchef bei der Märkischen Oderzeitung und lebt in Berlin.