Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 23. Mai 2005, Heft 11

Jugendarbeit mit Rechten

von Heiko Hilker

Nach den Gewaltausbrüchen Jugendlicher gegen Asylbewerber in Hoyerswerda im Jahre 1991 legte die Bundesregierung mit ihrer damaligen Jugendministerin Angela Merkel ein Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AgAG) auf. Doch ein Beweis dafür, daß die zwischen 1992 und 1994 mit vierzig Millionen Mark finanzierten 140 Projekte die Gewaltbereitschaft ostdeutscher Skins gemindert hätten, existiert bis heute nicht. Eher ist das Gegenteil festzustellen.
Bekennende Rechte sollten nicht als Sozialarbeiter oder Jugendpfleger in AgAG-Programmen tätig werden dürfen, da sie Jugendliche nicht von neonazistischem Denken und Gewalt wegbringen können. Trotzdem wurde in Neustrelitz ein stadtbekannter Rechter vom Jugendamt eingestellt, der Zeltlager für die rechte Szene organisierte.
Ein als rechter Treff bekannter Jugendclub in Weimar erhielt Gelder, obwohl die Richtlinien des AgAG-Programms politische Propaganda verboten und in diesem Klub offen für rechtsextreme Parteien geworben wurde. Dies unter den Augen der Sozialarbeiter, die keine entsprechende sozialpädagogische Ausbildung, geschweige denn Erfahrung im Umgang mit rechten Jugendlichen hatten. Auch in Sachsen gab es Probleme mit AgAG-Projekten. So wurde ein Görlitzer Projekt jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet. Denn es fanden in verschiedenen Jugendhäusern (laut Landeskriminalamt im Dresdner Jugendclub Brennhaus sowie im Kulturhaus Penig) mehr oder weniger häufig Konzerte rechter Bands statt. Die Zahl der Konzerte stieg von sechs (1993) über neun (1995) auf neunzehn (1996).
Nach dem Verbot mehrerer rechtsradikaler Parteien konnte sich die »Bewegung« vor allem über jugendkulturelle und »kameradschaftliche« Angebote weiter ausbreiten. Gezielt wurden in ländlichen und kleinstädtischen Gegenden Jugendräume und -häuser sowie Diskotheken erobert, gezielt präsentierte man sich in Gruppen, erkennbar an Kleidung und Haarschnitt sowie »nationaler Gesinnung« auf öffentlichen Plätzen. Alle anderen wurden als undeutsch deklariert und – da waren sich rechte Intellektuelle, Fußvolk und Schläger einig – mit Gewalt bedroht. Es blieben nur zwei Möglichkeiten: Flucht oder Unterordnung. Da die Rechte zudem auf den Wertvorstellungen vieler Erwachsener aufbauen konnte, ist unterdessen ein »rechtsextrem orientiertes Lifestyle-Syndrom« (Anette Kahane) entstanden.
So gelang es den Rechten zumindest in einzelnen Gebieten (Antonio Gramsci mag sich im Grabe rumdrehen), die kulturelle Hegemonie zu übernehmen und »national-befreite« Zonen zu schaffen. Innerhalb dreier Jahre vervierfachte zum Beispiel die NPD Sachsens ihre Mitgliederzahl und wurde dadurch zahlenmäßig stärker als der Landesverband von Bündnis90/Die Grünen. Während alle Parteien Nachwuchsprobleme beklagen, ist ein großer Teil der NPD-Neuzugänge jünger als dreißig Jahre.
Einher geht dies alles mit Veränderungen im Denken und Handeln von Jugendlichen. So ergab eine vom sächsischen Kultusministerium in Auftrag gegebene Studie, daß bei allgemein sinkender Parteinähe die Zahl der Nennungen rechtsradikaler Parteien um zehn Prozent stieg. Das Potential bilden nicht mehr nur arbeitslose beziehungsweise Jugendliche, die sich in der Berufsausbildung befinden, auch in den unteren Jahrgängen der Gymnasien haben rechtsradikale Dispositionen zugenommen. Im Gleichschritt mit steigender Ausländerfeindlichkeit ist die politisch rechte Radikalität und Militanz gewachsen. Während bei linken Jugendlichen etwa vierzehn Prozent über Waffen verfügen, hat fast die Hälfte der rechten Jugendlichen sie »am Mann«.
Weder Sozialarbeit noch Gegengewalt allein sind – vor allem in ländlichen Gegenden und kleinstädtischen Milieus – probate Mittel gegen diese Entwicklung. Wenn trotzdem Jugendarbeit mit Rechten Sinn haben soll, wenn auch künftig rechten Jugendlichen Räume und weitere Ressourcen zur Verfügung gestellt werden sollen, dann muß eines unabänderlich verbindlich werden: Jugend- und Sozialarbeiter müssen gezielt intervenieren, wenn Überfälle vorbereitet werden oder wenn beabsichtigt wird, Andersdenkende und Andersaussehende vorsätzlich zu vertreiben. Und es ist auch darauf zu achten, daß die eigene Klientel nicht außerhalb des eigenen Einzugsgebietes aktiv wird – daß sich zwar im eigenen Landkreis die Lage beruhigt, aber im Nachbarkreis Döner-Stände, Discotheken und linke Jugendliche überfallen werden.
AgAG ist seit Jahren ausgelaufen. Viele Projekte werden nun unter dem Stichwort präventiver Jugendarbeit weiterfinanziert. Auch wenn einige Gewalttätige befriedet wurden, haben sich Denkmuster verfestigt. Wenn sie an die eigenen Kinder und an folgende Generationen übertragen werden, kann sich daraus zusammen mit erneuter Jugendgewalt eine um so explosivere Mischung ergeben.
Die Probleme der Jugendarbeit mit »rechten« Jugendlichen sind alles andere als gelöst.