von Gerd Kaiser
Kleine Dörfer haben wie auch kleine Politiker ihre Geschichte. Wanderungen durch den heimatlichen Thüringer Wald führten mich unlängst nach Hönbach. Dieses unweit vom thüringischen Sonneberg und fränkischen Coburg gelegene Dörfchen ist bislang schwerlich einem der Leser dieser Zweiwochenschrift bekannt. Ausgenommen jenem, der dort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, bei den Grenztruppen diente, denn deren Kolonnenweg verlief an der Hönbacher Gebrannten Brücke.
Im Grünen Baum zu Hönbach servierte der Wirt dem damaligen Innenminister der DDR im Herbst 1990 einige belegte Brote. Peter Michael Diestel war sowohl in Eile als auch nahezu am Ende, wollte sich hier aber für seinen Gang zu einem extra aufgeschlagenen Zelt stärken. In ihm war ein Treffen mit dem Innenminister der Bundesrepublik, Wolfgang Schäuble, verabredet, der später durch einen dubiosen Schwarzgeldtransport mit einer Plastetüte von sich reden machen sollte. Hinter Hönbach sollte und wurde ein Abkommen besiegelt, das ein Ende der Personenkontrolle an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten bestimmte. Hier am historischen Ort verlief noch die Grenze.
Hönbach wie Schäuble gingen weder als historischer Ort noch als historische Persönlichkeit in die Geschichte ein. Schäuble strauchelte, und auch Diestel ist nicht mehr der, der er einmal war. Hönbach, aber dessen Wirt und dessen Einwohnerschaft sich von der engen Nachbarschaft mit dem »goldenen Westen« einen kometenhaften Aufschwung versprochen hatten, erlebten ihr blaues Wunder. Denn nur am Anfang und nicht nur weil Essen und Bier im Grünen Baum schmeckten, sondern weil es deutlich billiger als an heimischen Stammtischen war, kehrten die Coburger hier oft, gerne und lange ein. Doch bald hatten sich die Preise, nicht jedoch die Löhne, dem »goldenen Westen« angeglichen. Und die Hönbacher saßen wieder allein am Stammtisch und verteidigten die Lufthoheit über diesem begrenzt-grenzlosen Gebiet.
1989/90 geschah es nicht zum ersten Mal, daß Hönbach für einen Moment zu einem »geschichtsträchtigen« Ort wurde. Mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor hatte in Hönbach eine historisch bedeutsame Auseinandersetzung stattgefunden.
Ende Oktober 1923, wenige Tage vor seinem Marsch auf die Feldherrnhalle, inspizierte Hitler im Coburger Hotel Reichsgraf den Stab der Brigade Ehrhardt sowie weitere völkische und erste Nazi-Einheiten im bayrischen Oberfranken. Ehrhardts Landsknechte waren wie im März 1920 gegen die ihnen verhaßte Weimarer Republik mit dem Lied und den entsprechenden Insignien aufmarschiert: »Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß-rotes Band …« Die Söldner, unter ihnen die ersten drei Parteigänger Hitlers aus Sonneberg, erhielten ihren Sold nicht in »vaterländischer« Reichsmark. Da diese im Inflationstaumel abgesackt war, gab es neben Nachschlägen aus den Feldküchen vom Zahlmeister tschechische Kronen, französische Franc und weitere »wertbeständige« Währungen. Im Raum Bamberg hatte sich das Freikorps Oberland konzentriert. Die feldgrauen Freikorps und ihre kackbraunen Spießgesellen verfügten auch über Pioniertruppen, Artillerie und sogar Fliegerkräfte. Beide Freikorps operierten gemeinsam mit der Reichswehr.
In Thüringen, 1923 von einer Koalition aus Sozialdemokraten und Kommunisten regiert, den beiden stärksten Parteien des Landes, formierte sich Gegenwehr. Die Verteidiger der Republik dienten ohne Wehrsold. Seit’ an Seit’ kämpften Einheiten der thüringischen Landespolizei und der Arbeiterwehren. Von letzteren gab es in Thüringen einige hundert Hundertschaften. An der Gebrannten Brücke bei Hönbach kam es zu einem Gefecht mit den Landsknechten, deren Vormarsch gestoppt wurde.
Unter denen, die den Widerstand gegen den Einfall der Nazis in Thüringen organisierten, waren der sozialdemokratische Polizeioffizier Hermann Worch, später Bürgermeister der Glasbläsergemeinde Langewiesen im Thüringer Wald, und der Kommunist Karl Korsch, Justizminister der thüringischen Landesregierung. Bereits im Vorfeld der »Erhebung« der Nazis hatte letzterer »fascistische« Umtriebe auch bei der Reichswehr in Meiningen festgestellt. Willy Geyer aus Sonneberg, zwischen 1920 und 1933 Vorsitzender der KPD-Fraktion im Sonneberger Gemeinderat, gehörte ebenfalls zu den Organisatoren des Abwehrkampfes.
Die Verteidiger der Republik gewannen zwar ein Gefecht, verloren jedoch die Schlacht. Keine zehn Jahre später bildeten die Nazis gemeinsam mit »Völkischen« eine erste Landesregierung und 1933, zehn Jahre später, hatte der Gauleiter Sauckel uneingeschränkt das Sagen. Zuerst in Thüringen, später zeitweise sogar bei der Zwangsarbeiterbeschaffung in ganz Europa.
Hermann Worch mußte 1933 emigrieren. Er verstarb 45jährig in Dänemark. Seine Frau wurde in Sippenhaft genommen und in den Selbstmord getrieben. Die Tochter Gisela überlebte und wurde in der DDR Juristin. Korsch wandte sich vom Kommunismus ab und lebte in den USA als Wissenschaftler. Willy Geyer wirkte – wie seine Fraktion im Sonneberger Stadtrat und gemeinsam mit der SPD-Fraktion – gegen die 1930 erfolgte Ernennung von Wilhelm Frick zum ersten Nazi-Innenministers in einer deutschen Landesregierung. Dieser hatte 1923 im Münchner Polizeipräsidium Hitlers Putschvorbereitungen gedeckt und sich am Putsch beteiligt. Wegen seines Widerstands gegen die Naziherrschaft kam Geyer mehrfach in Haft und 1944 ins KZ Buchenwald.
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