von Axel Fair-Schulz
Daß einer der im englischsprachigen Raum bekanntesten Medien-Tycoons eine Schrift vorlegt, die die Politik Franklin Delano Roosevelts verteidigt, versteht sich keineswegs von selbst. Conrad Black brach mit seinem 1280 Seiten dicken und buchstäblich hochgewichtigen Buch Roosevelt: Champion of Freedom mit dem Konsens der neoliberalen Denk- und Machtelite. Die nämlich sieht in FDR immer noch – beziehungsweise schon wieder – den Verräter an seiner Klasse, der mit »wirtschaftsschädigenden Sozialprogrammen« Amerika unnötige Fesseln angelegt habe. FDRs New Deal ist ihnen selbst heute noch ein Dorn im Auge und wird inzwischen von Vertretern sowohl der Republikaner als auch der Demokraten mit Macht wegmodernisiert.
Conrad Black hingegen lobt in seiner stellenweise fast hagiographischen Biographie FDR nicht nur als außergewöhnlich geschickten Politiker, sondern erklärt ihn zur most important person of the twentieth century, auch weil seine Sozialmaßnahmen den amerikanischen Kapitalismus von seinen, so Black wortwörtlich, selbstzerstörerischen Tendenzen zumindest partiell kuriert hätten.
Diese Sichtweise ist um so erstaunlicher, als Black bekannt bis verschrieen ist für seine ansonsten erzkapitalistischen Gedanken und Verhaltensweisen. Sein erst kürzlich zusammengestürztes internationales Medienreich umfaßte solch einflußreiche Zeitungen wie die Chicago Sun-Times, die Jerusalem Post, die Torontoer National Post sowie den Londoner Daily and Sunday Telegraph. Black, verheiratet mit der ehemals linken, seit Jahrzehnten aber hart neoliberal schreibenden Journalistin Barbara Amiel, ist ebenso für seinen scharfen Verstand wie für sein maßloses Geltungsbedürfnis berüchtigt und berühmt. Black, in Toronto gebürtig, gab seine kanadische Staatsbürgerschaft auf, um 2001 von Tony Blair als Lord Black of Crossharbour in den Adelsstand versetzt zu werden. Da der damalige kanadische Premierminister Jean Chretien Black dafür keine Sondergenehmigung erteilte, verließ der Medienzar voller Zorn den nördlichen Teil Nordamerikas. Er tat dies aber nicht, ohne zuvor noch seine Landsleute mit der Empfehlung zu entzücken, daß sich Kanada den USA im Sinne eines friendly takeover anschließen solle, genauso wie es die DDR mit der Bundesrepublik getan habe.
Solcherart Provokationen und Bosheiten sind in seinen Memoiren A Life In Progress nachzulesen. Darum ist sein differenziertes Urteil über FDR um so erstaunlicher. Black schreibt in seinem Buch auch sehr respektvoll über den (im Gegensatz zu FDR nun wirklich linksstehenden) Eugene V. Debs, der als inhaftierter Führer der amerikanischen Sozialistischen Partei 1920 erstaunliche 900000 Stimmen bekam. Auch Norman Thomas, der die amerikanischen Sozialisten in den 1930er Jahren führte, wird von Black zwar abgelehnt, doch mit einigem Respekt behandelt. Schließlich konnte FDR den im Gegensatz zu den moskauhörigen Kommunisten unabhängigen und populären Sozialisten nur deshalb den Wind aus den Segeln nehmen, weil er mit seinem New Deal einen Teil ihrer Sozialstaatsideen übernahm.
Natürlich konzipierte Black sein Werk über FDR als Geschichte großer Männer, mit entsprechender Betonung individueller Leistung. Das ist insofern nicht unbegründet, als unter einem weniger durchsetzungsfähigen Präsidenten die Weltgeschichte durchaus einen anderen Verlauf hätte nehmen können. Denn es ist nicht zuletzt FDRs Geschicklichkeit zu verdanken, daß die in ihrer damaligen Mehrheit isolationistische US-Bevölkerung langsam, aber sicher auf Anti-Hitler-Kurs gebracht werden konnte. Auf sein Geheiß wurden die US-Hoheitsgewässer auf 1800 Meilen in den Atlantik ausgedehnt, deutsche U-Boote bei Sichtung angegriffen und Japan mit einem dessen Kriegswirtschaft zutiefst schädigenden Embargo von Öl und Eisen belegt. Die Antikomintern-Koalition begriff nicht die Kräfteverhältnisse und arbeitete FDR mit ihrer Kriegserklärung in die Hände. Denn ohne zuerst verdeckte, dann ganz offene US-Unterstützung hätten wohl weder Churchills Britannien noch Stalins Sowjetunion Nazi-Deutschland erfolgreich widerstanden.
FDR verstand auch, daß es ein Zurück zum Isolationismus der USA weder geben könne noch dürfe. Es verlangte nicht wenig taktisches Geschick, die Isolationisten beider Parteien zu blockieren. FDR zeichnete sich weiterhin durch sein militärisches Gespür aus, denn abgesehen von anfänglichen Schwierigkeiten im Pazifik machte die US Army keinen großen militärischen Fehler. FDR bestand immer darauf, daß trotz Pearl Harbor zuallererst Deutschland und nicht Japan besiegt werden müsse.
Doch Roosevelts wichtigste Leistung war der New Deal. Black sieht dabei, daß zwar nicht alle Einzelprogramme des New Deal wie der National Industrial Recovery Act oder der Agricultural Adjustment Act wirtschaftlich erfolgreich waren. Doch im Endeffekt war der New Deal als Krisenmanagement und vor allen zum »Erhalt zivilgesellschaftlicher Strukturen« eine Meisterleistung. Der amerikanische Staat entwickelte in einem bisher unbekannten Ausmaß Sozialprogramme, reformierte finanzielle Institutionen, baute die Elektrifizierung in ländlichen Gebieten aus, unterstützte von 1944 an Kriegsveteranen mit dem GI Bill, welche über zwei Millionen Amerikanern aus bescheidenden Verhältnissen ermöglichte, preiswert zu studieren. Noch 1940 hatte ein Universitätsjahr mehr als ein durchschnittliches US-Jahreseinkommen gekostet. Im Rahmen des Works Progress Administration wurden Arbeiter, Intellektuelle und Künstler mittels lokaler wie regionaler Projekte gefördert.
Die Bilanz kann sich auch heute noch sehen lassen. So wurden über 2500 Krankenhäuser, 4000 Schulen, 7800 Brücken sowie mehr als 13000 Parkanlagen und Spielplätze gebaut, erweitert oder renoviert. Hinzu kamen tausende öffentliche Kunstprojekte wie Wandmalereien. Nicht zuletzt hat FDR auch der Prohibition den Todesstoß versetzt.
Wie sieht Black hingegen die Ikone der amerikanischen Konservativen: Ronald Reagan? Bei allem Respekt für Reagans populistische Fähigkeiten sieht Black kaum mehr als ein relativ eindimensionales Projekt von Steuerab- und Militärausbau. FDR hingegen habe in einer wesentlich komplizierteren Zeit mit einer viel ambitionierteren Agenda hantiert. Diese Agenda, das Erbe des New Deal eben, steht spätestens seit 1980 zur Disposition. In diesem Zusammenhang ist es nicht völlig unbedeutend, wenn ein ausgewiesen neoliberaler Medientycoon uns daran erinnert, wie ohne ein Minimum an sozialer Sicherheit zivilgesellschaftliche Strukturen in Gefahr geraten. Modernisierer des Sozialstaates auch in Europa sollten sehr genau bedenken, wie man ein schleichendes Abgleiten in vorsozialstaatliche Verhältnisse verhindern kann. Denn nicht immer steht ein so außergewöhnliches Talent wie FDR bereit, unter dessen Schirmherrschaft das dann Verlorene neu zu errichten ist.
Conrad Black: Franklin Delano Roosevelt: Champion of Freedom, Public Affairs New York, 39,95 US-Dollar
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