Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 28. Februar 2005, Heft 5

Der traurige Clown

von Christian Kujat

Ein großer Saal, randvoll mit auf langen Bänken an ebensolchen Tischen sitzenden Menschen. Alle sind kostümiert, auffällig viele tragen zu ihren »gewöhnlichen« Faschingskostümen Tiermasken; Schweine, Wölfe, Hunde, Esel sind zu sehen, manche haben sich gar als Würmer verkleidet. Ebenfalls auffällig ist, daß viele Naziuniformen und einige Hitlerbärtchen zur Schau gestellt werden. Es wird gelacht, gegrölt und reichlich getrunken. Gerade wird ein Marsch gespielt, ein paar Funkenmariechen hüpfen vulgär herum und gehen dann unter Applaus ab.
Der prunkvoll gekleidete Sitzungsleiter, ebenfalls mit Hakenkreuzbinde, brüllt: »Un jetz kommt dä traurije Clown! Wolle mern reinlasse?«
Jubel und Geschrei, noch ein Marsch. Der traurige Clown kommt in seinen viel zu großen Schuhen hereingeschlurft. Er ist nur in schwarz und weiß gekleidet und geschminkt, seine Mundwinkel sind nach unten gemalt, schwarze Tränen zieren die weißen Wangen. In der rechten Hand hält er eine verdorrte umgeknickte Sonnenblume. Er tritt ans Rednerpult und beginnt zu sprechen.

»Helau, Alaaf, ihr Jeck und Narre, hört auf, so mit die Füß zu scharre, spitzt die Ohrn und hört jut zu, wat isch eusch jetz saaren tu.«

»Zu so mansch eine von die Menschheitsplaare
möscht isch mal jenauer wat saare.«

Tätää, Gelächter

»Kriesch un Totschlach överall,
mir warde off den jroße Knall.
Dat Rüsten jeht weiter, verschlingt unser Jeld,
am Abgrund steht noch immer die Welt!
Der längste Puller scheint dem zu jehöre,
der die Erde kann am öfteste zerstöre!«

Tätää Tätää Tätää, die Herren von der Rüstungsindustrie, Wolfs- und Schweinemasken, johlen und knallen mit ihren Revolvern in die Luft. Eine Kugel trifft einen Kellner, der sofort tot zusammenbricht. Alle lachen.

»Hunger in Afrika scheint auch kein
Problem für uns Wohlstandskinnä zu sein.
Selbst schuld! Wat ham se da verlore?
Wurden ja freiwillisch dort jebore!
Uns jehts ja jut! Wat kümmert uns am End,
wer in der Wüste vor Hunger flennt!«

Tätää Tätää Tätää

»Un auch die Wirtschaftsmonopole
würd isch jern den Arsch versohle!
Mercedes, Bayä un Konsodde
finn sisch hier un alläodde!
Sie beuten aus, das is doch klaa,
von Asjen bis Südamerika!«

Tätää

»E Hungerlohn reischt für die doch zu, gell,
un e Jewerkschaftä kriescht auch schon mal die Kuurel!«

Tätää Tätää Tätää, alle lachen, besonders den Herren von den Monopolen fällt so mancher Essensbrocken aus den weit aufgerissenen Mündern. Einer verschluckt sich und wird von seinem Nachbarn durch einen beherzten Schlag auf den Rücken gerettet.

»Un wat is los in unsre Land?
Kahlköpfe hebe zum Jruß die Hand,
Nachwuchsfaschiste schlaare off Ausländer ein
un wünsche sisch, in e vierde Reisch zu sein.
Un? Nix passiert! Lasse doch mache!
Da könne mir nur häzlisch lache!
E bissel Betroffeheit in de Massemedsche,
un schon is widder Ruhe im Stäätsche!
Dat Möddäpack is immä noch hier,
sitzt nebbe eusch am Tisch un trinkt sei Bier!«

Tätää Tätää tätää, unter Jubel und Klatschen stehen die gut verteilt sitzenden als Nazis Kostümierten auf und recken die Hände zum Hitlergruß. Mehr Applaus.

»Un ihr? Ihr seid doch auch nisch bessä
als wie der Mäggie mit dem Messä.
Säßt ihr nisch hier oder inne Kantine,
säßt ihr am Steuä der Vernischtungsmaschine!
Ihr seid die Möddä unsrer Kinnä,
im Frühling, Sommä, Hebbst un Winnä!«

Tätää

»Dat Feuä habt ihr selbst entfacht,
dat Lösche liescht in eurä Macht.
Doch nee! Warum sisch erst aufraffe,
alleene kamma dat net schaffe!
Ihr bleibt freiwillisch kleine Jeistä,
so schmierisch wie Tapedekleistä!
Laßt eusch nur weiter schön brav rejiere,
kriescht wie Hunde off alle Viere
vor Fernsehn, Schefs un Politik,
Schnauze halten, dat is schick!«

Tätää Tätää Tätää

»Jeder lebt in seinä Welt,
die er mit Zäune sisch umstellt.
Wat is denn los? Bejinnt zu jebe!
Fangt doch endlisch an zu lebe!«

Tätää, Lachen

»Weiß nisch, wat isch noch machen soll,
warum nehmt ihr misch nisch für voll?«
Tätää, Lachen, Applaus
»Hört doch endlisch auf zu lache
un immer nur tätää zu mache!«

Tätää Tätää Tätää, Applaus wird tosend, Trampeln. Der Clown kommt nicht mehr zu Wort, wird von Saaldienern untergehakt und von der Bühne geführt. Die Kapelle spielt einen neuen Marsch. Von beiden Seiten springen Funkenmariechen auf die Bühne und zappeln so herum, daß man eine möglichst gute Aussicht auf ihre Schlüpferchen hat. Ein Blick in die Runde: Johlen, Geifern, laute, bierselige Gespräche. Ende.