Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 13. November 2006 , Heft 23

Die Geschäfte des Herrn Wei

von Gertrud Eggert, Peking

Zaghaft klopft Frau Li an die schwere Tür, die zum Büro der Detektei von Herrn Wei Wujun führt. Lange Zeit hat sie mit sich gekämpft. Doch nachdem ihr Mann nun das vierte Wochenende in Folge »unaufschiebbare und höchst wichtige Geschäftstermine« im Süden des Landes zu erledigen hat und auch an den Wochentagen immer öfter gleich im Büro übernachtet, ihre Anrufe aber ungehört bleiben, faßt sie sich ein Herz. Sicher, geahnt hat sie es seit längerem: Nun hat sich auch ihr Mann dem »neuen Trend« angeschlossen und wendet Geld und Zeit für eine junge ernai, eine Geliebte, auf. Er führt sie aus, kauft ihr eines dieser teuren Appartements im Zentrum der Stadt, verbringt mit ihr die Wochenenden und und … Doch bevor die junge Frau auch noch schwanger und dieses Kind ihrer Tochter womöglich rechtlich gleichgestellt wird, will sie ihn zur Rede stellen. Aber dafür braucht sie handfeste Beweise. Diese soll ihr Herr Wei liefern: der in ganz China bekannte ernai shashou, der Mätressen-Killer.
Gar nicht mehr schüchtern und sehr entschlossen tritt Frau Li ein in die Büroräume von Herrn Wei Wujun. 51 Jahre alt und seit mehr als zehn Jahren im Geschäft, kennt Herr Wei die Geschichten seiner Klienten. Eine gleicht der anderen. Immer wieder sind es die Frauen in den Mittvierzigern, ein wenig müde bereits von all den familiären und beruflichen Belastungen, die sie im Laufe der Jahre übernommen haben, um ihren Männern für eine Karriere in der freien Wirtschaft oder in der Bürokratie den Rücken freizuhalten. Hatten Mann und Frau die Ausbildung zumeist noch gemeinsam abgeschlossen, und waren sie dann – in den siebziger Jahren – einer der staatlichen Institutionen oder einem ebenfalls staatlichen Unternehmen zugeteilt worden, trennten sich Mitte der achtziger Jahre oftmals die beruflichen Wege der Ehepartner. Vor allem die Männer wagten den Sprung ins kalte Wasser der freien Wirtschaft oder begannen eine steile Laufbahn in der staatlichen oder Parteibürokratie.
Die vielen gewonnenen Freiräume nach den Jahrzehnten streng geregelten Lebens zu Zeiten Maos machten ihnen nicht nur mehr Lust auf Macht und Geld, sondern auch auf private Vergnügungen, sagt Herr Wei und benennt so die Ursachen für eine Entwicklung, die ihm nicht nur einen interessanten Job, sondern auch einen erträglichen Lebensunterhalt verschafften. Und er ergänzt, daß die zahlreichen Reisen ins Ausland, die mit der Öffnung der Gesellschaft zum Westen einhergingen, ihr übriges taten. Die Frauen bleiben meist auf der Strecke. Zwar partizipieren sie am materiellen Reichtum ihrer Männer, wohnen vielfach in herrschaftlich eingerichteten Villen, leisten sich neben dem Hausmädchen auch den eigenen Masseur, Chauffeur, Maßschneider und so weiter, aber irgendwann hören sie auch auf, berufliche Ansprüche anzumelden und widmen sich ganz der Erziehung der Kinder und vielfach auch der Betreuung von Eltern und Schwiegereltern.
Doch auf dem Abstellgleis ausrangierter Frauen landen, wie es vor der Gründung der VR China im Jahr 1949 in der alten traditionellen chinesischen Gesellschaft gang und gäbe war – das wollen weder Frau Li noch all die anderen Frauen mit einem ähnlichen Schicksal. Seit Annahme des neuen Ehegesetzes im Jahr 1950 gilt auch in China die monogame Ehe. 2001 verabschiedete das chinesische Parlament – aufgeschreckt vom erneuten Aufblühen der längst ausgerottet geglaubten bao ernai – der Nebenfrauen-Wirtschaft – eine Überarbeitung der betreffenden Gesetzespassagen. Dieser zufolge machen sich Männer strafbar, wenn sie neben der Ehe andere eheähnliche Beziehungen unterhalten. Sie sind laut Gesetz nicht nur angehalten, klare Verhältnisse zu schaffen, sondern müssen auch den Zugewinn angemessen mit der Ehefrau teilen und diese sowie die Kinder finanziell weiter unterstützen. Immer wieder berichtet die Presse seither über Scheidungsverhandlungen, die zugunsten der verlassenen Frau entschieden werden.
Daß sich auch Ehemänner gern hin und wieder amüsieren wollen, das versteht Herr Wei – schließlich ist auch er nur ein Mann. Aber die Gesetze, so fährt er fort, die müssen eingehalten, und die Rechte von Frau und Kind, die müssen gewahrt werden. Das treibt ihn an und macht ihn so beliebt bei den Frauen, denen er zu Hilfe kommt. Denn die Zahl der Männer mit mehreren Frauen nimmt vor allem im wirtschaftlich boomenden Süden und in den Großstädten zu.
Nur von der Politprominenz hält sich Herr Wei fern, mit der Obrigkeit in Peking will er nichts zu tun haben. Anfragen aus diesen Kreisen sind für ihn tabu. Aber sein Geschäft läuft auch so. Kaum eine Minute, in der das Telefon nicht klingelt. Hunderte von Frauen konnte er bereits mit sachdienlichen Hinweisen versorgen.
Mittlerweile verfügt Herr Wei über zwei weitere Büros – eines in Shanghai und eines in der fernen Provinz Sichuan im Südwesten des Landes. Gut ein Dutzend Mitarbeiter hat er fest eingestellt, zweihundert beschäftigt er auf Honorarbasis. Sie schickt er den fremdgehenden Männern im ganzen Land hinterher. In der Regel hat er die treulosen Männer nach einem, spätestens nach zwei Monaten überführt. Herr Wei arbeitet vor allem mit beweiskräftigen Fotos, was oftmals nicht ganz ungefährlich ist, wie er gesteht. Denn es kommt vor, daß die Betroffenen kräftigen Personenschutz anheuern, um seinen Nachforschungen zu entkommen. Aber der ehemalige Offizier der Volksbefreiungsarmee Wei Wujun beherrscht die gängigen Kampfsportarten und läßt sich auch von handfesten Auseinandersetzungen nicht abbringen.
Allerdings ist sein Service nicht ganz billig. Das schreckt die Damen aber nicht ab. Um endlich Gewißheit zu haben, ist auch Frau Li bereit, die Tagespauschale von umgerechnet gut 400 bis 500 US-Dollar zu bezahlen. Nach einem ausführlichen Gespräch und der Erledigung aller Formalitäten verläßt sie Herrn Wei mit einem guten Gewissen. Auch wenn sie im tiefsten Innern ihres Herzens immer noch an ein kleines Wunder glaubt, weiß sie jetzt, daß sie in wenigen Wochen endlich ihrem Leben eine neue Richtung geben kann.