Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 16. Oktober 2006, Heft 21

Briefe an Arthur (3)

von Thomas Rüger

Lieber Arthur, Sprache ist ein höchst sensibles Werkzeug, das immer wieder Änderungen unterworfen ist. Somit ändert sich auch die Art und Weise der menschlichen Kommunikation. Schöngeistige Menschen, die beim Namen Thomas Mann nicht Modern Talking assoziieren, werden oft milde belächelt, wenn sie sich dem jugendlichen Sprachjargon wie »cool«, »geil« oder »kraß« verweigern.
Doch es gibt auch Menschen, die ohne größeres Nachdenken erklären können, was ein Akkusativ ist und was »transitiv« bedeutet, die aber dennoch zur allgemeinen Sprachverhunzung aktiv beitragen. Was man abgeleitet aus der englischsprachlichen Diskussion unter »political correctness« einstuft, ist nicht selten eine zugegebenermaßen sublime Diskriminierung von Menschen auf Grund bestimmter Gegebenheiten und Auffälligkeiten. Deswegen spricht man als Fachmensch nicht mehr von Ausländern, Aussiedlern oder Asylbewerbern – nein, korrekt heißt es nun: »Menschen mit Migrationshintergrund«. Keine Spur von sprachlicher Diskriminierung, dafür hundert Prozent sachlich-steril.
Früher gab es in den dörflich geprägten Gemeinschaften Personen, die auf Grund ihrer geistigen Verwirrungen und Absonderlichkeiten als »Dorfdeppen« firmierten. Diese Formulierung zeugt nicht gerade von attraktivem Charme, doch diese Menschen waren leidlich in das Gemeinschaftsleben integriert. Heutzutage trifft man auf »gerontopsychiatrisch veränderte Menschen« und kümmert sich um sie hochprofessionell in »beschützenden Wohnbereichen«.
Sprache ist natürlich auch immer ein Herrschaftsinstrument; gerade die Frauenbewegung beförderte hier etliches ans Licht. Doch statt für her(r)kömmliche Sprachmuster zu sensibilisieren, wurde ein semiokratisches Monster namens Gender Mainstreaming geschaffen. Gender Mainstreaming, das klingt nach einer kolossalen Dampflokomotive, und entsprechend filigran werden hier bürokratische Prozeduren entwickelt. Auch unter progressiver Gesinnung gedeiht prächtig und allmächtig eine bürokratische Sprachmafia.
Der Trend scheint unaufhaltsam. In einigen Jahren spricht man nicht mehr von Juden oder Moslems, sondern von »religionsmäßig orientalisch orientierten Menschen«, Faschisten erscheinen lieblicher unter dem Etikett »Personen mit demokratie-defizitären Ansichten«, und Kinder sind »humangenetisch bedingte Insuffizienzelemente«.
Dem großen russischen Literaten Dostojewski wird das Zitat »Die Sprache ist die Form, die Gestalt, das Gewand des Geistes« zugeschrieben.
Es liegt an uns, mein lieber Arthur, ob wir unsere Sprache geistlos verkümmern lassen.
Es grüßt Dich herzlichst Dein Konrad Knurrhahn