von Klaus Hart, Saõ Paulo
Gerade ist Kuba-Experte und Bestseller-Autor Frei Betto von Havanna nach Saõ Paulo zurückgekehrt und bringt wieder einmal interessante Informationen mit. Frei Bettos Buch über seine Nachtgespräche mit Fidel Castro wurde unter dem Titel Fidel und die Religion ein Weltbestseller, übersetzt in 22 Sprachen. Er verkaufte sich in 32 Ländern, darunter Deutschland sowie Kuba selbst über drei Millionen Mal.
Beim Interview in Saõ Paulos Stadtteil Pacaembu sagt der Dominikaner Frei Betto, früher habe es heftige Spannungen und Reibereien zwischen den Kirchen und der Revolutionsführung gegeben. »Das ist alles längst vorbei. Derzeit sind die Beziehungen sehr gut und herzlich, auch zur katholischen Kirche der Insel. Mein Buch hat mitgeholfen, die Probleme zu beseitigen, den Dialog zu fördern.«
Frei Betto hat dafür ein deutliches Indiz: »Als Fidel Castro jetzt in die Klinik mußte, haben die Bischöfe immerhin alle kubanischen Katholiken in einer offiziellen, bei den Gottesdiensten verlesenen Note aufgefordert, für die Gesundheit des Revolutionsführers zu beten. Und Havannas Kardinal Jaime Ortega erklärte vor Journalisten, er und die katholische Kirche würden keinesfalls eine nordamerikanische Intervention in Kuba akzeptieren.«
Die internationale Presse spekuliert massiv, daß bei einem Abtreten Castros ein tiefgreifender Wandel auf Kuba erfolgen werde. Wie sieht das die dortige Kirche? »Sie möchte zwar eine größere Öffnung des Landes, rechnet jedoch nicht mit Veränderungen. Denn die kubanische Revolution, so mein Eindruck, hat sich konsolidiert, das Volk wirkt ruhig und geeint. Die ganze Nation, selbst die Kirche, drückt dem Comandante jetzt die Daumen, damit es ihm möglichst rasch gesundheitlich besser geht. Zu möglichen gesellschaftlichen Veränderungen auf Kuba sagen mir die Leute dort, die habe es 1959, beim Übergang vom kapitalistischen zum sozialistischen System gegeben. Damals hörte Kuba auf, der große Puff der Karibik zu sein – heute hat der Inselstaat die besten Sozialindikatoren Lateinamerikas. Ich spüre nicht, daß die Bevölkerung Kubas zur früheren Situation zurück will und Zustände wie in Guatemala, Honduras oder Panama möchte. Man will Gerechtigkeit und Frieden, alle sozialen Errungenschaften, die die Revolution mit sich brachte. In diesem Sinne sind auch die Christen Kubas bereit, die Revolution zu unterstützen, damit diese weiter Vorteile für das Volk bringt.«
Daß es in Kuba anders als beispielsweise in Brasilien keine Straßenkinder gebe, sehe jeder Tourist. »Kuba ist ein armes Land, aber ohne Elend, Misere. Für die elf Millionen Bewohner sind die Basis-Menschenrechte Ernährung, Gesundheit und Bildung garantiert.« Über den Horror in Brasiliens öffentlichem Gesundheitswesen schreibt Frei Betto regelmäßig in seinen vielen Zeitungskolumnen – daß Lulas Anti-Hunger-Programm längst noch nicht den Hunger austilgte, ist bekannt. Und der Bildungssektor unter »Hoffnungsträger« Lula? »Es tut weh, mit ansehen zu müssen, daß das öffentliche Schulwesen heute Schrott ist, die Lehrer schlecht bezahlt werden. 65 Prozent der jungen Menschen Brasiliens zwischen 14 und 24 arbeiten nicht oder gehen keinerlei Ausbildung nach. Ich sehe keine Zukunft für Brasilien ohne eine bessere Bildung.«
Auf Kuba sei, so Frei Betto, die Religiosität nicht vorrangig katholisch, sondern durch afrikanische Wurzeln geprägt. Es habe eine Religionsvermischung stattgefunden, die man als afro-christlich charakterisieren könne. Seit der Dialog mit Regierung und kommunistischer Partei funktioniere, würden die Kirchen zunehmend in Staatsaufgaben einbezogen. Die staatlichen Hospitäler würden häufig von Religiösen geleitet. »Fidel Castro sagte mir einmal, Kliniken, in denen eine Ordensschwester der Chef sei, funktionierten viel besser als die anderen.« Katholische und protestantische Kirche betrieben kontinuierlich Gefangenenseelsorge, Geistliche kümmerten sich um politische und sonstige Häftlinge. Die übrigen Kirchen hätten sich auf andere Bereiche konzentriert. Zentren für Volksbildung würden von den Baptisten geführt.
Frei Betto informierte sich auch über die Lage der über siebzig Castro-Gegner, die 2003 verhaftet und zu teils sehr hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. »Alle sind inzwischen wieder frei, einige gingen ins Ausland. Die gesamte Gruppe wurde bei ihrer Konspiration von Diplomaten der US-Vertretung in Havanna gesteuert. Das wurde entdeckt, die Gruppe wurde verhaftet. Ich habe darüber mit Havannas Kardinal Jaime Ortega gesprochen, der die Strafen für übertrieben hielt. Doch auch der Kardinal betonte, die Gruppe sei bei der Konspiration von US-Diplomaten gesteuert worden.«
Wie hoch religiöse Fragen auf der Insel im Kurs stehen, läßt sich laut Frei Betto auch am Erfolg von Fidel und die Religion ablesen. Von dem Weltbestseller seien allein in Kuba bei einer Bevölkerung von elf Millionen Bewohnern bis heute 1,3 Millionen Exemplare verkauft worden. »Das Buch hat bewirkt, daß die Vorurteile der Kommunisten gegenüber der Religion sowie die Angst der Christen beseitigt wurden.«
Ab 1987 durften sich daher erstmals auch Gläubige der KP anschließen. »Ich fragte später einen Parteiführer, ob denn viele Christen eingetreten seien. Er sagte mir, nicht gerade viele – aber es ist etwas Unerwartetes passiert. Viele Kommunisten haben bekannt, schon immer an Gott zu glauben. Zuvor sei es nicht empfehlenswert gewesen, das offen zu sagen.«
Frei Betto nennt die soziale Lage Kubas weit besser als die Brasiliens. Nicht zufällig befinde sich Kuba auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung auf dem 52. Platz – und damit in der Spitzengruppe der Länder mit hohem Entwicklungsniveau. Brasilien rangiere dagegen auf dem 72. Platz, unter den Staaten mittleren Niveaus. Ein Vergleich zwischen Kuba und Rio de Janeiro drängt sich auf – wegen der annähernd gleichen Bevölkerungszahl. Wie ist das mit den Slums hier und dort, werden auf Kuba, gar in Havanna beinahe täglich Menschen lebendig verbrannt wie in Rio de Janeiro? Der Grüne Fernando Gabeira, einst im Westberliner Exil, stellt immer wieder heraus, daß es in Rio geheime Friedhöfe gibt, Felsenhöhlen fürs Lebendig-Verbrennen, alles gar nicht so weit von den Touristenstränden entfernt.
Zum achtzigsten Geburtstag Castros veröffentlichte Befreiungstheologe Leonardo Boff eine Zeitungskolumne. Die beginnt mit dem Satz: »Was ich hier schreibe, wird alle jene irritieren oder schwarz ärgern, die Kuba oder Fidel Castro nicht mögen.« Boff erinnert daran, wie Castro Frei Betto und ihn regelrecht verpflichtete, Regierung und Parteiführung Kurse über Religion und Christianismus zu geben. Castro habe erklärt: »Ich bin mehr und mehr überzeugt, daß keine lateinamerikanische Revolution wahrhaft, populär und siegreich sein kann, wenn sie nicht das religiöse Element enthält.« Leonardo Boff wollte über seine Gespräche mit Castro ebenso wie Frei Betto ein Buch veröffentlichen. »Ich hatte vier große Hefte über unsere Dialoge vollgeschrieben. Doch dann habe ich alles beim Überfall auf meinen Wagen in Rio de Janeiro verloren – sie haben alles mitgenommen.«
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