Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 24. Juli 2006, Heft 15

Bücherregale

von Ove Lieh

In son Leben sammelt sich was an. Inne Stube, un im Koppe och«, sagt Esau Matts Großmutter in der Verfilmung von Strittmatters Roman Der Laden. Bücherregale hatte sie nicht und deshalb auch nicht im Sinn. Aber auch da sammelt sich was an, und man staunt, was so alles friedlich nebeneinander stehen kann. Allerdings hatten die Bücher keine Wahl, sie müssen dort stehen, wo ich sie hingestellt habe. Das ist so ähnlich wie bei der Geschichte: Ein Ereignis steht zwischen den gleich-, vor- und nachzeitigen, die es sich kaum aussuchen kann und das Ganze ergibt dann irgendwie Geschichte, von der keiner weiß, wie sie wirklich war, besonders , wenn man alle Ereignisse kennt. Der Streit ist am größten, wenn sich die beteiligen, die an den Ereignissen teilhatten. Nun wollen wir mal sehen, wozu sich die Geschichte in meinen Bücherregalen gefügt hat. Im mittleren stehen oben vier Bände Brockhaus, drei Deutsche Wörterbücher und ein Englisches. Daneben, dieses Jahr besonders passend, aber auch sonst dort stehend, Heinrich Heine: Sämtliche Werke in einer schönen Kassette. Rechts davon Das Kapital, Band 1 bis 3 von Karl Marx, nebst Bänden 40 und 42 der Marx-Engels-Werke. Wer kein Kapital anhäuft, sollte wenigstens dieses haben.
Darunter steht Klemperer, den ich sehr gern lese, mit seinen Tagebüchern und dem Curriculum vitae neben der Sphärentrilogie von Sloterdijk, mit der ich mich sehr schwertue. Ehe die Reihe mit der Kritik der zynischen Vernunft (Sloterdijk) endet, hat sich Volker Braun mit zwei Bändchen dazwischengeschmuggelt (Das Wirklichgewollte, Wir befinden uns soweit wohl), dabei unterstützt von Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen.
Es sind große Regale, und es sind volle Regale, die zudem zweireihig bestückt sind und ich muß zugeben, einige Ossis sind, wie im wirklichen Leben, in die zweite Reihe gerückt worden wegen der Neuankömmlinge aus dem Westen. Im vierten Fach die Bibliothek der Süddeutschen Zeitung. Davon viel noch ungelesen. Aber darüber steht Kurt Tucholsky mit zehn Bänden von rororo. Daneben Robert Merle mit seinen Frankreich-Romanen. Zwei wahrhaft blutvolle Kerle nebeneinander. Die Reihe klingt aus mit einem Osang (Ankunft in der neuen Mitte) zwischen zwei Dieckmanns (Das wahre Leben im falschen, My Generation) und schließlich Douglas Adams: Per Anhalter durch die Galaxis bis Lachs im Zweifel. Manchmal muß man eben mal raus, über den Tellerrand schauen, auch wenn der Teller in diesem Fall das Universum ist. Bleiben noch zwei bunte Fächer, deren eines von der Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts über 100 Jahre DFB (ein Geschenk!), Thomas Mann (Erzählungen, »Die B.«), ganz toll, Marianne Krüll: Im Netz der Zauberer, Schreckliche Bilder und Noch schrecklichere Bilder vom Eulenspiegel-Verlag, Das große Loriot-Buch, Das dicke Schmitt-Buch, Das Tier lacht nicht (mit Der Hase im Rausch) Heinz Jankowsky, später auch noch das dicke Buch von ihm, dazwischen Uli Stein, daneben ein Hochlicht (highlight): Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm mit Illustrationen von Werner Klemke, mit Goldschnitt, Kunstleder und Kassette (Kinderbuchverlag 1963, hier die 18. Auflage), vor fast 25 Jahren auf der Hochzeitsreise für 240 tschechoslowakische Kronen in Bratislava gekauft, es gab ja nichts in der DDR, und zum Ausklang Das alte Ägypten. Das ist ein Fach! Na ja, unten dann Geschichte, deutsche in zwei, Weltgeschichte in 10 Bänden.
Eigentlich wollte ich jetzt noch von dem anderen Regal erzählen, in dem Tendriakow und Aitmatow stehen, die man lesen sollte, wenn man wissen will, warum das mit dem Sozialismus nichts werden konnte, und Kuczynski, bei dem man erfährt, warum es auch hätte klappen können, Konrad Wolf, der das ganze gefilmt hat und dann, welch Zufall, Günter Schabowski neben dem Märchen Klein Zaches von E.T.A. Hoffmann. Paßt! Wollen Sie die anderen Namen noch wissen? Goethe, Eckermann, Ossietzky, Diderot, Voltaire, Hannes Hegen, Ensikat, Dieter Hildebrandt, Wolfgang Held, Strittmatter, Wolfgang. Engler, Christa Wolf, Günter Görlich, Alfred Wellm, Brigitte Reimann, Maxi Wander, Johannes Bobrowski, Stefan Heym, Werner Mittenzwei, Stanislaw Lem, 21 Spektrum-Bändchen aus dem Verlag Volk und Welt, … ach, ich höre jetzt auf, erwähne nur noch die Indianerbücher von Cooper und Welskopf-Henrich. Damit ist das Regal noch nicht zu Ende; aber ich schäme mich nun doch ein wenig wegen des Durcheinanders. Ich hätte es gern ein wenig geordneter, übrigens in meinem Leben auch, aber alles steht, wie es hingestellt wurde. Habe ich eigentlich Kafka erwähnt?