Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 26. Juni 2006, Heft 13

UNVERGESSEN All along The Watch Tower

von Gerhard Wolf

Es ist die erste Ausstellung von Hans Scheib, die ich sehe. Ich erinnere mich freilich an Ausstellungen, die er damals mit Freunden in der Raumerstraße 23 veranstaltete, und wie die heutige fiel sie aus jedem Rahmen, damals durch die Begegnung mit einer ganzen Gruppe von aus dem Rahmen fallenden Künstlern der Prenzlauer-Berg-Szene 1980/81, Wohnungen, wie sie Uwe Kolbe beschrieb:

Wir leben mit Rissen in den Wänden
ist es dir aufgefallen?
Wir leben auf sich entfärbenden Dielen
unter beweglicher Decke.
Das Fensterkreuz ist längst
von Fäulnis durchgefressen, es zieht
im Sommer schon die kalte Nachtluft
hindrungslos herein …

Ich weiß, daß mich damals von Hans Scheib vor allem die Figuren aus Holz erregten. Sie erinnerten an expressionistische Plastiken, die ich von Abbildungen kannte. Nur hier traten sie mir in ihrer Sperrigkeit zu den Figuren aus Ton, Stein und Marmor entgegen, die ich von den Bildhauern einer älteren Generation sah und schätzte. In Protest zu ihnen, plastische Form eines Aufschreis, wie wir ihn hier in der Tiergestalt Wenn die Nacht vom Himmel fällt von 1988 wieder vernehmen. Er selbst sagt, wie er zu diesen Figuren kam:
Ende der siebziger Jahre … wurde mir die Lächerlichkeit meines Vorhabens als »diplomierter Plastiker« bewußt: ein Hersteller von Gipsmodellen für Bronzeguß. Dabei gab es für meine Figuren ja gar keine Bronze. Die Werkstätten des Landes waren mehr als ausgelastet … Außerdem fehlte mir das Geld. So fand ich zu meinem Material: Ich entdeckte für mich das spröde Kiefernholz der Deckenbalken Berliner Abrißhäuser. Ich zeichnete mit dem breiten Pinsel darauf, ging dann mit Stechbeitel und Schnitzeisen, wenig später der Kettensäge auf die Balken los. Der Wechsel von Anzeichnen (-malen) und Abschlagen, der Wechsel von Farbe und Form ergab eine Synthese: die gewachsene Struktur farbiger Plastik …
In der Gruppe der Künstler, die Mitte der achtziger Jahre Wohnsitz und Arbeitsplatz von Ost- nach Westberlin verlegten und in der Ausstellung im Haus am Waldsee 1986 als Gruppe Malstrom ihren Durchbruch erzielten, von da an weithin bekannt und geschätzt, war es Hans Scheib, der unter den Malern Ralf Kerbach, Helge Leiberg, Cornelia Schleime, Reinhard Stangl mit diesen Figuren besonders auffiel, da – ich zitiere aus dem Katalog – »leuchteten Scheibs farbkräftig bemalten expressiven Holzskulpturen aus dem Halbdunkel hervor«.
Die Farbigkeit hat Scheib weiter vorangetrieben, grell bei den sich präsentierenden Damen vom Praterball, heiter in der seltsam vergnügten Bewegung seiner Frauenfigur in Gelb von diesem Jahr 2006.
Die zerklüftete Figur Der Animateur – Auch ein Künstlerleben – Arschloch von 1988 steigert sich ins Monumentale wie manche seiner Figurengruppen: ätzende Aggressivität, die wir auch den Blättern der Radierungen ablesen können, die dieses Thema angehen, da hört bei ihm, glaube ich, der Spaß auf.
Einen Kopf, den ich wie ein Selbstbildnis sehe, nennt er selbstbewußt Pygmalion. Pygmalion nach der griechischen Sage der Bildhauer, der sich in die von ihm geschaffene Mädchenstatue so verliebt, daß sie ihm von Aphrodite als Frau verlebendigt wurde.
Eine Lebendigkeit, wie sie mir aus Scheibs Darstellungen auf vielen Blättern von Mädchen und Frauen entgegenkommt, heitere und zugleich drastische Anmut, Gesten der Frauen, wie sie Scheib zu den Texten von Uwe Kolbe aufs Papier bringt. Scheibs Frauen und Mädchen haben nichts von einer glatten Schönheit modischer Modelle, aber auch nichts von aufdringlicher Darbietung bei aller Direktheit, Scheib-Pygmalion kennt sie, wie sie sind und zeichnet sie uns so auf.
Über den Zeichner Hans Scheib hat Katja Lange-Müller aus langjähriger Kenntnis und Freundschaft das Wesentlichste gesagt: daß Scheib am Zeichnen reize, seine Meinung auszudrücken, »zeichnend in Kontakt zu den Menschen, Tieren, Dingen, von denen er sich angezogen oder abgestoßen fühle« – das Unvergessene aufzeichnend, All Along the Watch Tower, entlang der Beobachtungs- und Grenztürme, die in seinem Blickfeld lagen, die ihn und unsere Zeit dominieren, im übertragenen Sinne bis heute.
Scheibs Zeitbilder gleiten nie in die Karikatur ab, so sehr sie, bis zur Satire, seine Sympathie und Antipathie auf das Blatt bringen. Man ist erstaunt über die Vielfalt der menschlichen Gesichter und Gestalten, die dem Zeichner – als der er sich selbst ins Bild setzt – dabei zur Verfügung stehen. Da gleicht kaum ein Blatt in der Struktur einem anderen. Vom einfachen Strich der Umrisse bis zur vielschichtigen Schraffur der Zeichnung wird, sozusagen, keine Möglichkeit des Metiers ausgelassen. Es entsteht ein Weltbild menschlichen Verhaltens in seiner Gestik, die schließlich die Grenzen, die er sich mit dem Motto der Ausstellung setzt, überspringt; überspringt, indem er sichtbar macht, zum Beispiel indem er grotesk die Risiken und Nebenwirkungen bei der Anfertigung gesellschaftlicher relevanter Kunststücke aufs Korn nimmt. Wie in den bis zum Comic travestierenden Tafeln zu Bernd Wagners Text Aus der Welt der Sage. Die dazu geschaffene Plastik – hier ein Eisenguß, der in der Struktur dem Modell aus Holz gleicht – ist allerdings von eindrucksvoller Grazie.
Ein Gedicht, daß Uwe Kolbe für Hans Scheib geschrieben hat, überträgt das, was ich auch sagen möchte, ganz auf die dichterische Ebene

Für Hans Scheib
Es ist eine Hölle,
im Schatten, das Zeichen
bestimmen zu wollen.
Es ist ein Versuch,
mit der Zeit
an ihrer Achse zu rechten.
Es ist ein Menetekel –
kein König, kein Deuter
berufen.
Es ist ein Gesicht,
wie nichts deutlich.
Das steht an der Wand.

Rede Gerhard Wolfs zur Eröffnung der Ausstellung; Galerie Forum Amalienpark, Berlin-Pankow, Breite Straße 2 (www.amalienpark.de), dienstags bis freitags 14 bis 18.30 Uhr, samstags 11 bis 16 Uhr, bis 7. Juli