von Wolfgang Beutin
Ins laufende Jahr 2006 fielen und fallen mehrere literarische Jubiläen: in den Februar Heinrich Heines 150. Todestag; auf den 18. November der 100. Geburtstag von Klaus Mann. Dieser zählte in der Weimarer Republik zur intellektuellen Linken, wirkte zum Beispiel mit Kurt Hiller und seiner Gruppe Revolutionärer Pazifisten zusammen. Im französischen Exil wurde er zum Opfer des bekannten unterkittigen Angriffs von Gottfried Benn, der ihm – vom Reich aus – vorwarf, die Zeichen der neuen (NS-)Zeit zu verkennen. Karl Kraus (in Wien) verteidigte ihn und erteilte dem Angreifer eine glänzende Abfuhr. Im Vorfeld von Klaus Manns 100. Geburtstag, vor einem Halbjahr (am 11. Oktober 2005) dann etwas Unerwartetes: Die FAZ präsentierte ihn als Kronzeugen – weshalb, in welcher Sache?
Es erschien ein Artikel von Alexander Gallus, betitelt: Einen Augiasstall kann man nicht beschmutzen. Was im Blatt stand, drang ins ganze Land: Die »Weltbühne« und ihr Drang, allen die Wahrheit zu sagen. Es ist die Besprechung einer Ausstellung in Rheinsberg zur Zentenarfeier der Schaubühne (gegründet 1905, später umgetauft in Weltbühne). Darin Erneuerung einiger ranziger Vorwürfe, primär: »Der ›Weltbühnenradikalismus‹, so Gustav Radbruchs treffende Bezeichnung, entsprang Gesinnungsethik und trug utopische Züge. … Nicht nur den Autoren der ›Weltbühne‹, sondern im intellektuellen Milieu der Weimarer Republik überhaupt fehlte das klare Bewußtsein für die Scheidung zwischen demokratischem Verfassungsstaat auf der einen Seite und Extremismus sowie Diktatur auf der anderen. So konnte die Weimarer Republik im Spiegel linker Publizistik rasch zur Diktatur oder zur ›negativen Monarchie‹ mutieren.« Was die Ausstellung unzureichend dokumentiere: Weder kenne sie Rudolf Augsteins Verdikt, die »Weltbühne« sei »Totengräber« der Republik gewesen, noch dasjenige Hans-Ulrich Wehlers, der sie der »Aushöhlung und Auflösung der Weimarer Republik« bezichtigte. Seinerseits ruft Gallus den Schriftsteller Klaus Mann als Zeugen auf, weil in dessen Person der Linkspostille mit ihrem »Drang, allen die Wahrheit zu sagen«, ehemals doch ein honoriger Wahrheitsager von links entgegengetreten war. Dessen Satz in seinen eigenen verwebend, formuliert er: »›So sägten die linksgerichteten Intellektuellen mit selbstgefälligem Kichern‹, bemerkte Klaus Mann 1951 in seiner Erinnerungsschrift Der Wendepunkt spitz, ›den dürren Zweig ab, auf dem sie gerade noch sitzen durften. Wer sich ins Fäustchen lachte, war der Doktor Goebbels.‹« Ein Lehrbuchbeispiel für das Absägen des Astes, worauf man selber sitzt – folglich: »Die meisten Autoren der ›Weltbühne‹ fielen nach 1933 dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer.«
Kleinlich, Einzelheiten zu beanstanden? Etwa: Klaus Mann ist 1951 nicht imstande gewesen, Obiges zu »bemerken« – denn: Er war bereits 1949 verstorben. Oder: »Die meisten Autoren« seien Terroropfer – denn: Trifft maximal auf zwei der von Gallus aufgelisteten sieben Autoren zu, von denen einer ermordet, ein anderer in der KZ-Haft schwer mißhandelt wurde. Kaum kleinlich ist aber der nachdrückliche Hinweis: Die kluge FAZ gibt Rätsel auf, inwiefern? Weil die zitierte Äußerung von Klaus Mann gegen die Weltbühne – nicht existiert …
Sucht man nämlich in dem von Gallus herangezogenen Lebensbericht (so der Untertitel) Der Wendepunkt (Frankfurt am Main 1963, S. 223), findet sich dieser Passus: »Es war peinlich, das masochistische Schmunzeln zu sehen, mit dem jüdische Kritiker die Bekenntnisse nationalsozialistischer Finsterlinge als ›wertvolle Zeitdokumente‹ priesen. Die Autobiographie des Rathenau-Mörders Ernst von Salomon, zum Beispiel, machte Sensation im Feuilleton nicht-arischer Gazetten. Die ›Frankfurter Zeitung‹, die der selige Hitler als ›jüdische Hure‹ zu bezeichnen pflegte, lobte das Mordbuch über den grünen Klee; auch Ernst Jünger wurde dort bewundert (welche Dynamik! Was für Intuitionen!), während man Bruno Franks schöne und wichtige Briand-Novelle gelangweilt abtat. So sägten die linksgerichteten Intellektuellen mit selbstgefälligem Kichern den dünnen Zweig ab, auf dem sie gerade noch sitzen durften. Wer sich ins Fäustchen lachte, war der Doktor Goebbels.« (Die Briand-Novelle ist Bruno Franks Politische Novelle, 1928.)
Fazit: Nicht die geringste Spur einer Kritik von Klaus Mann an der Weltbühne, wohl jedoch Kritik, von der die Redensart will, daß ›sie sich gewaschen hat‹, an (Möchtegern-)linksgerichteten Intellektuellen, die einigen schriftstellernden Rechten, Wegbereitern der NS-Herrschaft, Vorschub leisteten. Sie waren aber nicht Mitarbeiter der Weltbühne, sondern der Frankfurter Zeitung, der Ahnfrau der klugen Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Klaus Mann zielte auf die Ahnfrau? Seine Attacke wurde umgebogen, selbst sie ließ sich noch gegen links verwerten: Man hebe den Pfeil Klaus Manns auf, lege ihn auf den Bogen und treffe – die ungeliebte Weltbühne.
Nur hätte sich danach niemand finden dürfen, der im Wendepunkt nachschlägt. Dann hatte man sich den Ast abgesägt, worauf …
Und war beim Runterfallen blamiert, und zwar bis auf die Knochen.
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