Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 15. Mai 2006, Heft 10

Mit George W. Bush in Indien

von Manfred Uesseler

Wir kamen zwar am selben Tage in der Hauptstadt Dehli an; doch zugegeben: Wir haben uns nicht gesehen. Ich habe ihn nicht gesehen, kaum ein Einwohner dieses volkreichen Staates hat ihn gesehen, allenfalls im Fernsehen. Doch so kannten sie ihn ja schon.
George W. hat auch kaum etwas von Indien, von Land und Leuten erfahren. Er war nicht zu sehen und doch allgegenwärtig. Die Einladung der indischen Regierung, das nur rund hundert Kilometer von seinem Luxushotel entfernte sagenhafte Taj Mahal in Agra oder andere weltberühmte Kulturdenkmale zu besuchen, nahm Bush nicht an. Er hatte (unter Ausschluß der Bevölkerung) gerade mal drei Auftritte: am Hanuman-Denkmal, an der Mahatma-Ghandi-Gedenkstätte und an der Universität in Hyderabad. Den Gastgebern wurde nicht einmal erlaubt, für die Sicherheitsvorkehrungen verantwortlich zu sein. Das führte zum Affront: Die eingeflogenen US-Sicherheitstruppen mit Spürhunden, Dedektoren und Sensoren zertrampelten in Dehli die Rabatten der Gedenkstätte Ghandis.
Wie muß sich ein Präsident eigentlich fühlen, dem nach neuesten Meinungsumfragen nur reichlich ein Drittel der Bevölkerung seines eigenen Landes noch das Vertrauen ausspricht? Von Indien gar nicht zu reden: Ich habe noch nie derartige Demonstrationen gesehen. Hunderttausende demonstrierten allein in der Hauptstadt Dehli. Die Bevölkerung war nicht nur den Aufrufen der Gewerkschaften und linker Parteien, sondern spontan, in einem selbst für Indien unvorstellbarem Maße zur Aktion gegen Bush gekommen. Ich konnte beobachten, daß sich viele Passanten diesen Protesten anschlossen. Selbstgefertigte Plakate bewiesen den Unmut und die krasse Abneigung gegen diesen Präsidenten: »Verschwinde«, »Beende den Krieg im Irak«, »Verbrecher«, »Volksmörder«, »Terrorist« und ähnlich hart und unnachgiebig waren die Hauptslogans in Hindi und in Englisch, die zu lesen waren. Dazu immer wieder Rufe, Sprechchöre gegen Bush und seine Politik, seinen Besuch in Indien. Puppen, die mitgeführt wurden, charakterisierten und karikierten George W. Bush. Bei Demonstrationen in einigen Städten des Landes gab es durch Einschreiten der indischen Sicherheitskräfte Verletzte, in Lucknow sogar drei Tote.
Die große Moslem-Minorität in Indien fühlte sich durch den Besuch besonders betroffen. Hatten die Moslems doch gehofft, daß die erst vor wenigen Monaten begonnene Aussöhnung mit Pakistan für sie ein wenig mehr Sicherheit und Ruhe in Indien bringen würde. Die erst seit knapp zwei Jahren nach den Wahlen neue gebildete Zentralregierung unter Führung der Kongreßpartei, die auch über die Unterstützung der beiden kommunistischen Parteien und weiterer Linksparteien verfügt, hatte Hoffnung erweckt, denn unter der Regierung der abgewählten hindunationalistischen BJP war es immer wieder zu Ausschreitungen und sogar Pogromen gegen Moslems gekommen. Im Jahre 2002 gab es allein in dem Teilstaat Gujarat über tausend Tote zu beklagen. Der BJP-Chiefminister (Ministerpräsident) Modi von Gujarat hält bis heute die Moslems in Unsicherheit und Angst. Erst vor wenigen Tagen wurde im Zentralparlament sein Rücktritt gefordert. Die Moslembevölkerung in Indien weiß, daß Bush für Indien, ganz besonders aber für sie selbst nichts Gutes bedeuten kann.
Das Unbehagen über die Annäherung der USA an Indien betrifft jedoch alle Schichten des Volkes. Allenfalls einige Militärs, einige Konzernchefs sowie einige Verblendete aus dem aufstrebenden Mittelstand erhoffen sich Vorteile. Die Arbeiter wissen, daß der angekündigte Kapitalfluß aus den USA für sie keine Vorteile bringen wird, keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen werden, ja sogar noch der Verlust von Arbeitsplätzen zu befürchten ist. Die Bauern, die jetzt schon zu Millionen an der Armutsgrenze, teils darunter ihr Leben fristen, wissen, daß durch die Einführung der Genbestimmungen für Saatgut ihr Kampf ums Überleben noch schwieriger werden dürfte. Hunderte, nach unbestätigten Zahlen sogar Tausende machen jedes Jahr aus Verzweiflung ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende; eine Abwanderung in die Großstädte des Landes wird auch nicht mehr als Lösung betrachtet, da sich ihr Los dort nicht verbessern kann. In den Großstädten schlafen schon Tausende auf den Gehwegen, auf der Straße; die meisten von ihnen finden keine Arbeit – ganz gleich welcher Art.
Bush braucht die Inder, nicht nur wegen der immer größeren Unsicherheit Moslems gegenüber, sondern auch als Gegengewicht, um moslemische Staaten besser in Schach zu halten. Selbst das moslemische Pakistan unter seinem US-freundlichen Präsidenten ist zu einem unsicheren Partner geworden. Einflußreiche Kräfte des Landes fordern eine andere, eigenständige Politik, sind gegen enge Bindungen zu den USA. Bush braucht Indien auch für seine Politik gegenüber dem Iran und möglicher militärischer Schritte, die er mit seinen Militärs und dem CIA vorbereitet. Er will Indien ebenfalls gegen China benutzen, das wirtschaftlich und politisch immer mehr zu einem Alpdruck wird. »Die bevölkerungsreichste Demokratie«, so lobhudelt George W. Bush seine indischen Gastgeber, und »die USA mit anderen Kräften der Freiheit … wir werden gemeinsam den Terrorismus besiegen«.
Nach Indien wird George W. Bush – von Angela Merkel herbeigebeten – im Juli nun den Wahlkreis der Kanzlerin an der Ostsee heimsuchen. Als wenn der Vogelgrippealarm nicht schon gereicht hätte …