von Gerd Kaiser
Jerzy Urban hat, wann immer das Blättchen anfragte, den Nachdruck eines Beitrags seiner Wochenzeitung Nie genehmigt, beispielsweise im Blättchen 9/2005. Kostenlos. Jetzt hat das Berufungsgericht in Warschau ein (nicht einstimmig gefälltes) Urteil des Wojewodschaftsgerichts vom Spätherbst des Vorjahres bestätigt. Darin war Urban zu zwanzigtausend Zl⁄oty Strafe verurteilt worden. Der Grund: Er habe nicht nur das Oberhaupt der katholischen Kirche, sondern auch das Oberhaupt des Vatikanstaats bewußt beleidigt. Die vorgeworfene Majestätsbeleidigung habe Urban mit einem Beitrag im August 2002 begangen. (Blättchen 6/2006).
Jerzy Urbans hier auszugsweise wiedergegebener Text über den »polnischen Papst«, den Heiligen Vater Johannes Paul II., lautete: »Die Menge katholischer Claqueure kann nicht verstehen, was ihr Idol murmelt. (…) Würden sie sich anders verhalten, (…) würden sie einen offenen Brief im Geiste christlicher Nächstenliebe unterzeichnen: ›Liebes Väterchen! Leg’ Dich ins Bett! Deck’ Dich mit einer warmen Decke zu! (…) Trink einen Kaffee, iß eine saftige Melba. (…) Mach’ aus Dir nicht ein gräusliches Schauspiel. (…) Laß’ ab von diesen Dopingmitteln für Greise, mit denen man Dich vollstopft, wie einen dieser Stiere, die an den Olympischen Spielen teilnehmen, damit Du Deine Beine für ein Stündchen bewegen kannst, und Deine Hände weniger zittern. (…) Ertrage Deine Krankheit mit Anstand, Du dahinscheidendes Väterchen«.
Wegen dieses offenen und offenherzigen Briefes hatte ihn die Jugendorganisation der jetzt regierenden Partei PiS der Gebrüder Kaczyn´ski bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und zugleich eine saftigen Denkzettel (zehn Monate Gefängnis) verlangt.
Jerzy Urban hatte zu seiner Entlastung vorgebracht, es habe ihm ferngelegen, den Papst zu mißachten. Er habe lediglich darauf hinweisen wollen, »daß man bei einem bestimmten Gesundheitszustand nicht mehr der Hauptdarsteller in einem Straßentheater sein sollte.« Als der Papst im Vorjahr starb, erinnerte sich Urban, sahen ihn Redakteure internationaler Zeitungen wegen seiner Warnung im Recht. Sie »vermuteten nun, daß ich jetzt triumphiere, weil ich voraussah, daß Wojtylas Umgebung den Greis gemeinsam mit dem Pöbel zu Tode peinigt«. Diese Vermutung sei Mumpitz. Er habe den inkriminierten Artikel geschrieben, »weil das Schauspiel einer Person, die weder gehen noch sprechen kann, mein ästhetisches Gefühl verletzte.« Ästhetische Gefühle wurden von den Warschauer Richtern nicht akzeptiert.
Die Professorin für Philosophie und Logik an der Warschauer Universität Barbara Stanosz gehört zum kleinen Häuflein Aufrechter, die sich öffentlich gegen das Dunkelmännerurteil wandten. Mehren sich doch seit Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die militante Gebrüderpartei PiS die Anzeigen wegen »Beleidigung« religiöser Gefühle wie Sand am Meer. Die Wissenschaftlerin: »Dieses Urteil ist eins von vielen Symptomen des konfessionellen Staatswesens. Diesen Charakter zwangen ihm Politiker auf, die ihre Karriere im Auge haben. (…) In diesem Urteil geht es gar nicht um die Verteidigung eines virtuellen Staatsoberhaupts, sondern um die devote Haltung gegenüber einer Person (…), die a priori als ›eine große Autorität‹ dargestellt wird. Die Tendenz, deren Symptom das Urteil ist, nimmt seit Jahren zu, und es ist vorherzusehen, daß sie auch künftig weiter anwächst.« Gegen die Verurteilung wandten sich auch der Schriftsteller Pawel Huelle und die Journalisten Katarzyna Chmielewska sowie Mil⁄osz Marczuk. Jerzy Domanski, Chef des Journalistenverbands der Republik Polen und die internationale Organisation Reporter ohne Grenzen, verteidigten das Recht auf Meinungsfreiheit ihres Berufskollegen Jerzy Urban. Er habe seine Meinung zu einem öffentlichen Vorgang öffentlich gemacht hat, und der Heilige Vater habe sich offensichtlich nicht beleidigt gefühlt, denn er habe keinen Strafantrag gestellt.
Mit dem Urteil gegen Jerzy Urban gilt dieser als vorbestraft. Vorläufig. Denn den Mund läßt sich der Journalist Jerzy Urban nicht verbieten. Er wird sein Recht auf freie Meinungsäußerung nun erst recht verfechten. Da es ihm in einem klerikal gelenkten Justizwesen seines Heimatlandes nicht möglich ist, wo die Regierungserklärung der PiS-Mannschaft jüngst exklusiv im Radio Maria des Paters Rydzik und bei dem ins gleiche Horn blasenden Fernsehsender Trwam (»Ich beharre«) verbreitet wurde, zieht Urban supra portam vor das internationale Gericht für Menschenrechte zu Straßburg.
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