von Hermann-Peter Eberlein
Nun ist er endlich öffentlich zugänglich: der Vertrag des Landes Berlin mit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom 20. Februar dieses Jahres, um dessen Zustandekommen und Inhalte es bereits einigen Rummel gab. Wobei sich die Kritik vor allem an zwei Punkten festmachte: an den hohen finanziellen Zuwendungen des Landes an die Landeskirche und an der im Schlußprotokoll zu Artikel 5 festgeschriebenen Verklammerung des Faches Ethik mit dem Religionsunterricht durch »insbesondere unter thematischen Gesichtspunkten festgelegte gemeinsame Unterrichtsphasen, Projekte und Lerneinheiten« in den Klassen 7 bis 10. Hier werden in der Tat Dinge zusammengebracht, die prinzipiell inkompatibel sind: Der Ethikunterricht geschieht vollständig in staatlicher Verantwortung, der Religionsunterricht hingegen »wird erteilt in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Evangelischen Kirche« und »setzt eine kirchliche Bevollmächtigung (Vokation) voraus« (Art. 5,2).
Doch die – ansonsten offengelassene – Frage nach dem Religionsunterricht ist längst nicht das einzig Interessante an diesem Kirchenvertrag. Es gibt einige sinnvolle praktische Vereinbarungen etwa zum Denkmalschutz oder zum Friedhofswesen, wo ein klares öffentliches Interesse an der Nutzung kirchlichen Eigentums besteht; die erheblichen Staatsleistungen »für Pfarrbesoldung und kirchenregimentliche Zwecke« beruhen – so ärgerlich sie sein mögen – offenbar auf Rechtstiteln und treten »anstelle früher gewährter Dotationen« und Zuschüsse (Art. 16,1).
In den meisten Artikeln aber wird kirchlicher Einfluß zementiert: In »Krankenhäusern, Heimen, Justizvollzugsanstalten, Polizeieinrichtungen und sonstigen Einrichtungen der öffentlichen Hand« hat die Kirche das Recht, »Gottesdienste und religiöse Veranstaltungen abzuhalten sowie seelsorgerlich und diakonisch tätig zu werden. Dafür wird die kostenfreie Nutzungsmöglichkeit geeigneter Räume gewährleistet« (Art. 15,1).
So kulant sind kirchliche Körperschaften und Träger untereinander selten: Eine Kirchengemeinde, die in einem kirchlichen Altersheim mit anderer Rechtsform einen Gottesdienst feiern will, zahlt selbstverständlich Miete. In dieselbe Richtung einer offensichtlichen Bevorzugung zielen die Befreiung von Verwaltungsgebühren und die besondere Rücksichtnahme bei Planungsverfahren und Enteignungen.
Und die finanzielle Unterstützung kirchlicher Erwachsenen- und Jugendbildung nach dem Subsidiaritätsprinzip trägt das Janusgesicht dieses der katholischen Soziallehre entsprechenden Gesellschaftsmodells: Der öffentlichen Hand käme es zwar teurer, wenn sie diese Aufgaben in ihrer Hoheit behielte; aber die Kirche hat das Sagen.
Besonders heikel ist die Bestandsgarantie für die Evangelisch-theologische Fakultät der Humboldt-Universität – und zwar nicht deswegen, weil an der Fakultät Schleiermachers und Harnacks Unsinn gelehrt würde, sondern weil ein Verständnis von Theologie festgeschrieben wird, das unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr entspricht: daß Theologie institutionell in konfessionellem Rahmen betrieben zu werden hat. Nach diesem Verständnis ist eine theologische Fakultät eben vor allem »für die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen« einer Konfessionskirche zuständig (Art. 3,1). Konsequent wird dieser Konfessionskirche dann auch weitgehender Einfluß auf Prüfungsordnungen »nach dem Maßstab der kirchlichen Lehre« (Art. 3,5) und die Besetzung von Professuren zugestanden: »Werden Bedenken geäußert, die sich auf Lehre und Bekenntnis beziehen und im einzelnen begründet werden, wird die zuständige Senatsverwaltung diese Stellungnahme beachten« (Art. 3,4). Was konkret bedeutet: »Hält die Kirche ihre Bedenken aufrecht, wird eine Berufung nicht vorgenommen, es sei denn, die Wissenschaftsfreiheit würde ernsthaft gefährdet« (Schlußprotokoll dazu).
Letztere Bemerkung klingt wie der verzweifelte Versuch, das Ideal einer freien Wissenschaft unter Umständen aufrechtzuerhalten, unter denen sie nicht angesiedelt sein kann: nämlich unter konfessionellen Vorzeichen. Eine konfessionelle Wissenschaft ist eben keine freie Wissenschaft. Evangelische Theologie ist es genauso wenig wie es gewerkschaftliche Ökonomie oder christsoziale Politologie wären.
Hier wird ein Theologieverständnis einfach deshalb fortgeschrieben, weil es institutionalisiert ist und kirchlichen Ausbildungsinteressen dient. Andere Modelle von Theologie, die auch im Protestantismus Tradition haben, Theologie als Kultur- oder Religionswissenschaft etwa, werden so verhindert. Dabei könnten sie zu neuen Formen führen: so zur Einbringung der theologischen Fächer in konfessionsfreie religionswissenschaftliche Abteilungen wie in England. Auch in englischen Universitäten werden Geistliche ausgebildet – nicht schlechter als bei uns.
Festschreibung, weil es (noch) so ist, und damit es auch in Zeiten des großen demographischen Wandels so bleibe: Diesen Charakter trägt der Kirchenvertrag über weite Züge. Den Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften genießen die Kirchen ja nicht etwa deshalb, weil sie der Definition solcher Körperschaften entsprächen – nämlich hoheitliche Aufgaben mit hoheitlichen Mitteln wahrzunehmen –, sondern weil sie immer schon als solche behandelt wurden.
Damit steht dieser Vertrag in der Tradition der besonderen deutschen Tradition, wie sie sich in den Sätzen der Präambel spiegelt: daß nämlich »das Verhältnis von Staat und Kirche gleichermaßen von Unabhängigkeit und Kooperation geprägt ist« – daß der Staat »religiös und weltanschaulich neutral« sein und zugleich »die kulturelle, diakonische und Bildungstätigkeit der Kirche« fördern könne. Diese Tradition war immer schon ein Hinken auf zwei Seiten und hat weder Staat noch Kirchen gutgetan. Für die Bewältigung der Zukunft in einer multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft ist sie völlig untauglich.
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