von Holger Politt, Warschau
Der Stabilitätspakt, so meinen die Beobachter an der Weichsel fast einhellig, werde das Jahr nicht überleben. Aber er könnte ein erster Vorgeschmack darauf sein, was diejenigen, in deren Köpfen die sogenannte Vierte Republik ausgeheckt wurde, sich unter dem national-katholischen Block vorstellen, der dann das politisch-gesellschaftliche Leben entscheidend und nachhaltig bestimmen soll.
Erstes Opfer wäre demnach die Liga der Polnischen Familien (LPR), die nachgerade organisch in der PiS-Gemeinde aufgehen könnte. Der Samoobrona hingegen müßte der soziale Schneid abgekauft werden, denn alleine aus diesem heraus zieht die Lepper-Truppe noch jene Stärke, die aktuell ihr in den Umfragen das parlamentarische Überleben verheißt.
Und das will etwas bedeuten in einer Situation, in der neben der regierenden Recht und Gerechtigkeit (PiS) einzig noch die liberal-konservative Bürgerplattform (PO), teils sogar auf gleicher Augenhöhe mit der national-konservativen Konkurrenz, und Reste der Linken in den Umfragen auf zählbare Resonanz stoßen. Zwar hat Samoobrona-Chef Andrzej Lepper jüngst einen Kniefall vor dem Sprachrohr der großen Geschäftswelt gemacht, indem er im Magazin Puls Bisnesu meinte, er könne doch als einer der nun wirklich wohlhabenden Abgeordneten nicht unentwegt als antiliberal verketzert werden, und doch dürfte die Zukunft seiner Gruppierung im Rahmen des Stabilitätspaktes alleine davon abhängen, wieweit es ihr gelingen wird, die soziale Rhetorik der Marcinkiewicz-Regierung in Taten umzuwandeln. Alles andere an Instrumentarium der bisherigen Protestpartei würde dem PiS-Sog nicht standhalten.
Sollte aus Sicht der PiS-Strategen das Manöver – also Beseitigung der Konkurrenz im eigenen und im Lager der kleinen Landwirte und Kleinstadtbewohner – erfolgreich ausgehen, wäre die Pforte zur neuen Republik weit aufgestoßen. Der parteienverdrossene Bürger könnte sich mit Präsidialrepublik und Mehrheitswahlrecht glücklich schätzen. Parteien wären wie einst nach dem Ersten Weltkrieg unter Pil⁄sudski unwichtig und marginalisiert. Es gäbe Blöcke, Bewegungen und allgegenwärtigen politischen Klerikalismus.
Das alles könnte als pure Schwarzseherei abgetan werden, doch wenn berücksichtigt wird, daß die augenblicklich mit Abstand stärkste Gegenkraft, die Bürgerplattform, selbst versucht ist, sich dem Spiel solcher Blöcke hinzugeben, sieht die Sache sofort anders aus. Die Strategen der Bürgerplattform würden allzu gerne den Part der Liberalen spielen, so etwas in der Art der US-amerikanischen Demokraten. Daß die Bürgerplattform zutiefst konservativ und nur in Wirtschaftsfragen radikal liberal – neoliberal – ist, stört die Akteure bei der Maskerade herzlich wenig.
Kommt es vor Jahresfrist zum Deal zwischen PiS und Bürgerplattform, wäre das am Runden Tisch 1989 ausgehandelte Konstrukt politische Geschichte. PiS-Vorsitzender Jaroslaw Kaczyn´ski hat diese Botschaft vor einigen Tagen via Gazeta Wyborcza in seiner ihm eigenen – viele meinen: unverschämten – Art verblüffend einfach ausgedrückt: Die »Antistaatlichkeit« der Bürgerplattform bestehe darin, daß sie die geltende Verfassung auf ihre Weise auslege. Sie gerate damit in den Bereich des politischen Abenteurertums. Er argumentiert schon ganz vom Boden der angestrebten neuen Republik aus. Wer nicht in diese Richtung mitzieht, ist eben nicht mehr »staatstragend«.
Die Linke steht schlicht vor der Notwendigkeit eines Neuanfangs, für den allerdings und paradoxerweise die Zeit schon wieder wegzulaufen beginnt. Die bis voriges Jahr regierende SLD, obwohl in vielen Bereichen bereits ins politische Abseits gerückt, gilt noch immer als die finanzstärkste Partei Polens. Die Führungsspitze strebt eine Vernunftehe mit den Freidemokraten (PD) an, die das zweite Mal in Folge nicht ins Parlament gekommen sind. Diese Ehe wäre ein gefundenes Fressen für den PiS-Vorsitzenden: Die wesentlichen Kräfte des Runden Tisches, »Postkommunisten« und Solidarnosc-Liberale, die das unterzeichnete Papier noch immer als den Garanten für Polens Zukunft feiern, würden vor aller Öffentlichkeit ihre »Kungelei« von damals eingestehen müssen. Das Gegenargument, daß gerade seine Strategie die einstigen erbitterten Gegner zusammenführen müsse, dessen darf er sich mittlerweile sicher sein, wird ungehört verhallen.
In der Tat hätte dieses Bündnis gegenwärtig neben der puren Verteidigung der geltenden Verfassung nur ein – zugegeben wichtiges – inhaltliches Thema: Die offenkundig schwächste Seite der PiS-Formation ist die Haltung zu den bürgerlichen Freiheiten – insbesondere für jene Minderheiten, die nicht in das Bild einer Gesellschaft passen, die um die moralisch gefestigte, katholisch sich begreifende und patriotisch gesinnte Familie sich gruppieren soll. Doch dieser Part wäre in der neuen Republik bereits reserviert für die Bürgerplattform. Außerdem hat genau auf diesem Feld die SLD während ihrer Regierungszeit maßlos gesündigt. Ihre mutigen Streiter für durchgreifende Bürgerrechte und Säkularisierung hat sie ganz einfach und regierungsamtlich im Regen stehen lassen mit dem bestechenden Argument, es gebe wichtigeres zu tun.
Die Alternative zur augenblicklichen Option der SLD-Führung bestünde in der schnellen und durchgreifenden Zusammenführung mindestens zweier thematischer Bereiche – der Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit. Im zweiten Fall ist es den national-katholischen Rechten erfolgreich gelungen, die Hegemonie im öffentlichen Diskurs zu erobern. Sie werden das zu verteidigen wissen, solange zumindest, bis die Linke ihre soziale Glaubwürdigkeit wiederherzustellen in der Lage sich zeigt. Verständlich deshalb, daß viele Kräfte außerhalb der SLD skeptisch auf die Option des Zusammengehens mit der wirtschaftspolitisch streng neoliberal ausgerichteten PD reagieren. Das Angebot, gemeinsam die dritte Republik zu verteidigen, ist ihnen zu wenig. Und so scheint aus dem grauen Februar heraus es für die Linke auf die Alternative herauszulaufen, entweder die Quadratur des Kreises zu versuchen oder einen Olivenbaum in polnischen Farben zu pflanzen.
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