von Armin Osmanovic, Johannesburg
Der Streik der Bergarbeiter in Südafrika geht weiter. Südafrikas größte Bergarbeitergewerkschaft, die National Union of Mineworkers (NUM), kämpft um ihre Rolle, denn immer mehr Bergleute wenden sich enttäuscht von ihr ab. Die Bergleute der Platinmine von Marikana werfen der NUM Verrat vor. Wütende Bergarbeiter hatten während des jüngsten dortigen Streiks, bei dem 34 Bergleute von Polizisten brutal niedergeschossen wurden, NUM-Mitglieder vertrieben und drei NUM-Vertreter getötet.
Die Gewerkschaft hatte den Streik nicht unterstützt, denn sie setzte statt auf Arbeitskampf weiter auf Lohnverhandlungen mit dem Unternehmen Lonmin. Enttäuscht von der NUM suchten die Bergleute Unterstützung bei der Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU), einer kleinen Gewerkschaft, die seit Anfang 2000 in den Minen aktiv ist. Für die NUM, die sich selbst nur durch harten Kampf gegen Konkurrenten und Unternehmen Anfang der 1990er Jahren als führende Gewerkschaft im Bergbau durchsetzen konnte, geht es um mehr als nur um eine lokale Auseinandersetzung mit einer kleinen Konkurrenzgewerkschaft. Die zentrale Rolle der NUM als wichtigste Vertreterin der Arbeitnehmer im Bergbausektor ist in Gefahr, denn schon zu Beginn des Jahres war es in einer unweit von Marikana gelegenen Platinmine des Unternehmens Impala Platinum Holdings Limited (Implats) zu einem wilden, sechs Wochen dauernden Streik gekommen, den die NUM nicht wollte, den sie aber nicht stoppen konnte. Heute stellt Implats alle Betriebsvereinbarungen mit der NUM in Frage, da deren Mitgliedsanteil unter den dortigen Beschäftigten auf nur noch 13 Prozent geschrumpft ist. Auch dort hatten sich Arbeiter von der NUM abgewandt, nachdem diese den Streik nicht unterstützt hatte. Geschlossene Vereinbarungen gelten in einem Unternehmen nur so lange, wie die Gewerkschaft mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer repräsentiert.
Für die NUM-Gewerkschafter vor Ort geht es um noch mehr, nämlich um ihr Leben, denn auch nach dem Ende des Streiks in Marikana geht das Morden an NUM-Gewerkschaftern weiter. Unbekannte erschossen Anfang Oktober einen ihrer Vertreter in Marikana. Zuvor hatte dieser noch als Zeuge zu den Vorgängen während des Streiks vor der von der Regierung eingesetzten Untersuchungskommission ausgesagt. Bereits eine Woche zuvor waren der örtliche Gewerkschaftschef und die Ehefrau eines weiteren Gewerkschaftsmitglieds, das dabei ebenfalls verletzt, umgebracht worden.
Die NUM beklagt seit Beginn der Auseinandersetzungen in Marikana, dass ihre Mitglieder gezielt attackiert werden. Als Drahtzieher dieser Angriffe beschuldigt die Gewerkschaft die Konkurrenz von der AMCU. Aber auch gegen NUM-Vertreter werden schwere Vorwürfe erhoben. So sollen Gewerkschafter am 11. August drei Bergleute erschossen haben, als aufgebrachte Kumpels auf die Büros der Gewerkschafter zumarschierten. Aufklärung erwarten sich die betroffenen Bergleute und die Gewerkschaften nun von der Regierungskommission. Vertreter der Kommission zeigen sich unterdessen höchst besorgt, angesichts der Ermordung eines der Zeugen.
Die Auseinandersetzungen in Marikana prägten auch den Gewerkschaftstag Mitte September des Congress of South African Trade Unions (COSATU), Südafrikas größtem Gewerkschaftsdachverband, der mit dem Afrikanischer Nationalkongress (ANC) und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) die Regierung bildet. Neben Solidarität für die NUM, COSATUs größter Einzelgewerkschaft, und Kritik an einer drohenden Spaltung der Arbeiterschaft durch neue kleine Gewerkschaften gab es auch viel selbstkritische Töne auf dem Kongress zu hören.
COSATU-Generalsekretär Zwelenzima Vavi beklagte die gewachsene Distanz zwischen Funktionären und den Arbeitern im Land. Viele Gewerkschaftsvertreter seien nur noch am eigenen Wohl interessiert. Die erbärmliche Lage vieler Arbeiter und ihrer Familien sei aus dem Blick geraten. Für einen Kurs „zZurück zur Basis“ und eine neue Radikalität in den gewerkschaftlichen Forderungen, darunter auch nach Nationalisierung des Bergbaus und nach einer radikalen Landreform, plädierte Vavi als Strategie für die Zukunft.
Unterstützt wird Vavi aber nur von einem Teil seiner Gewerkschafter. Vielen anderen ist der Kurs von Generalsekretär Vavi, der schon jetzt häufig der schärfste Kritiker der Regierung ist, zu radikal. Vor allem die Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung von Staatspräsident Jacob Zuma und an Korruption und Vetternwirtschaft im Land geht einigen in den Gewerkschaften zu weit, allen voran COSATU-Präsident Sdumo Dlamini, der als Zuma-Anhänger gilt. Diese Kräfte wünschen sich statt Konfrontation mehr Kooperation mit dem Bündnispartner ANC und Jacob Zuma
Angesichts des Patts an der COSATU-Spitze ist ein klarer Kurs, auch nach dem Gewerkschaftstag, nicht zu erwarten. Wie es die Gewerkschaften nun halten wollen mit dem Bündnispartner ANC, der „neoliberalen Wirtschaftspolitik“ Zumas und der Verquickung von ANC, Staat und Wirtschaft sowie der damit einhergehenden wuchernden Selbstbedienung durch „Tenderpreneurs“ , bleibt bis auf weiteres im Unklaren. „Tenderpreneurs“ werden in Südafrika jene Aufsteiger genannt, sie mittels staatlicher Aufträge Millionen scheffeln und einen luxuriösen Lebensstil pflegen. Vavi wird nicht müde, diese Schicht als Hyänen, die Staat und Wirtschaft als Beute genommen haben, an den Pranger zu stellen.
Insgesamt haben sich die Streiks im Bergbau in Südafrika unterdessen ausgeweitet. Betroffen ist neben dem Platinabbau, wo die Streiks Anfang 2012 begannen, nun auch der Gold-, Kohle- und Chromabbau. Derzeit befinden sich 75.000 Bergarbeiter, das entspricht 15 Prozent der Arbeiter im Bergbausektor, im Ausstand. Der letztliche Erfolg der Kumpels in Marikana hat andere Bergleute in ihren Forderungen bestärkt. Anfänglich forderten die Bergleute, die unter Tage in engen Schächten in großer Tiefe das Gestein herausbrechen, 12.500 Rand (1.250 Euro) monatlich. Nun reichen die Lohnforderungen bis zu 18.500 Rand (etwa 1.850 Euro). Doch es geht den Bergleuten nicht allein um mehr Geld, wie fast ausschließlich berichtet wird. Es sind auch die erbärmlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die die Arbeiter motivieren, in den Ausstand zu treten. Das besagt eine Studie der Bench Marks Foundation, die 2001 von Erzbischof Desmond Tutu ins Leben gerufen wurde, um die Praktiken der multinationalen Bergbauunternehmen in Südafrika zu untersuchen. Außer über die schlechten Unterkünfte, zumeist Wohnbaracken, wo die Bergleute in Stockbetten zu Dutzenden dicht an dicht hausen müssen, klagen die Beschäftigten, die als Wanderarbeiter von weit her in die Bergwerke kommen und häufig nur einmal pro Jahr zu ihren Familien fahren können, über die zunehmende Praxis von Leiharbeit. Statt mit festev Verträgen bei den Bergwerksbetreibern werden immer mehr Bergleute von Subunternehmern angestellt, die Extraprofite einstreichen und nach Belieben heuern und feuern.
Beim nördlichen Nachbarn Simbabwe sieht es zumindest in einigen der Platinminen überraschenderweise anders aus. Leiharbeit gibt es in den dortigen Minen nicht und statt Massenunterkünfte wurden dort von den südafrikanischen Unternehmen Implats und Aquarius, die auf beiden Seiten der Grenze Minen betreiben, anständige Häuser mit Wasser und Strom und Schulen für die Arbeiter und ihre Familien gebaut.
Wer ist verantwortlich für die Misere in und um Südafrikas Minen? Die Regierung verpflichtete die Unternehmen zu Verbesserungen, doch die Bergbaufirmen wussten sich mit Hilfe der neuen schwarzen Anteilseigner und deren politischen Verbindungen den Verpflichtungen zu entziehen. Zumeist setzten sie nur leicht erfüllbare Veränderungen um. Allerdings gab es auch spürbare Verbesserungen bei der Sicherheit unter Tage, wobei jedoch das Rsiko, in Südafrikas Minen zu sterben, immer noch weitaus höher als etwa in Australien ist. Die zugesagten sozialen Verbesserungen in den Siedlungen der Arbeiter wurden aber häufig nur unzureichend umgesetzt. So etwa in Marikana, wo eine der von Lonmin errichteten Wohnsiedlungen über Monate keinen Strom hatte.
Für die einfachen Arbeiter hat sich mit den neuen schwarzen Anteilseignern, wie Cyril Ramaphosa, Tokyo Sexwale und Patrice Motsepe, die mit Hilfe des Staates seit Anfang der 2000er Jahre in schwindelerrengenden Tempo zu Minentycoons aufgestiegen sind, kaum etwas geändert. Ramaphosa, einer der reichsten Geschäftsmänner Südafrikas und einst NUM-Generalsekretär sowie möglicher künftiger Vizepräsident Südafrikas, ist am Betreiber der Platinmine in Marikana beteiligt. Angesichts der erbärmlichen Lebensumstände vieler Bergleute steht denn auch der immense Reichtum von Ramaphosa und den anderen neuen schwarzen Bossen in der Kritik. Vor allem Julius Malema, geschasster Chef der ANC-Jugendliga, drischt auf die „schwarzen Puppen des weißen Kapitals“ ein und bekommt dafür viel Beifall.
Südafrikas Regierungschef Jacob Zuma, der im Dezember zum Parteichef des ANC wiedergewählt werden will, steht angesichts der Tragödie von Marikana, der Misere in den Minen und der sich ausweitenden Streiks, die neben den Minen inzwischen auch den Transportsektor und die öffentliche Verwaltung ergriffen haben, vor einem Scherbenhaufen. Der südafrikanische Platinbergbau, der der Goldgewinnung in den vergangenen Jahren den Rang abgelaufen hat, sollte eigentlich mit zum neuen Aufschwung Südafrikas und dem Aufstieg in die Liga der großen Schwellenländer des Südens sowie im Rahmen der BRICS-Staaten, zu denen das Land neben Brasilien, Russland, Indien und China seit vergangenem Jahr zählt, beitragen. Nun droht nicht weniger als die Paralyse großer Teile der südafrikanischen Volkswirtschaft angesichts der Welle von Streiks.
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