Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 29. Oktober 2007, Heft 22

Es ging ums Leben

von Alfred Fleischhacker

Und das verlief zunächst ganz unspektakulär für den Autor. Geboren 1926, geliebt von den materiell sorgenfreien Eltern, verhieß jeder neue Tag ein wenig Sonnenschein. Das sollte mit den sich zuspitzenden Problemen in der Gesellschaft bald anders werden. Denn die Eltern waren alles andere als passive Beobachter der Verhältnisse. Politisch im linken Spektrum aktiv, wollten sie das Mögliche tun, um die Machtübernahme der Braunen zu verhindern.
Der Sohn Peter war gerade erst sechs Jahre alt, als Gerhard Weiss, ein Bekannter der Familie im Norden Berlins, wo auch sie wohnten und der wie sie der KPD angehörte, beim Plakatkleben von einem SA-Mitglied ermordet wurde. Wenig später übernahmen die Nazis die Reichskanzlei. Unmittelbare Folge: Der Prozeß gegen den Mörder von Gerhard Weiss geriet zur Farce. Der SA Mann blieb so gut wie ungeschoren. Das Auslöschen des Lebens eines Freundes der Familie wurde für den Heranwachsenden zu einem Grunderlebnis.
Für die Neuhofs brach mit dem 30. Januar 1933 eine andere Zeit an. Fortan waren sie doppelt stigmatisiert. Denn der Vater war nicht nur Kommunist, sondern auch Jude. Die materielle Sicherheit war perdu, und der November-Pogrom 1938 brachte neue Einschränkungen.
Rückblickend auf diese Phase schreibt Peter Neuhof über sich und seine Verwandten in Friedberg: »Unsere Eltern brauchen uns nicht zu sagen, wie wir uns jetzt verhalten müssen. Sie vertrauen uns. Sie sagen uns alles. So wachsen wir als Gegner der Nazis auf.« Peter wird noch einige Jahre zur Schule gehen und später anerkennend feststellen, daß er von den Lehrern nicht ein einziges Mal schlechter behandelt wurde als irgendein anderer Mitschüler.
Doch es trafen aus dem Hessischen in Berlin-Frohnau neue Hiobsbotschaften ein. Verwandte des Vaters aus Friedberg waren in der Pogromnacht abgeholt und in das KZ Buchenwald gesperrt worden. Im Juli 1940 hatte Peters Vater seinem Vornamen Karl den Namen »Israel« hinzuzusetzen. Zunächst mußte er in Berlin-Weißensee in der Farbenfabrik Warnecke und Böhm Zwangsarbeit leisten. Zusammen mit Hunderten von Leidensgefährten schufteten sie für einen Minilohn. In der Fabrikaktion Ende Februar 1943 wurden sie aus den Werkhallen Berlins in die Vernichtungslager der SS geschickt. Nur ganz wenige der bei Warnecke und Böhm damals Arbeitenden erlebten das Kriegsende.
Karl Neuhof war schon zwei Wochen früher als Mitglied einer Widerstandsgruppe der KPD von der Gestapo verhaftet worden; er blieb einige Monate in einem Berliner Gefängnis Untersuchungshäftling. Die Mutter und der Sohn ließen keine Möglichkeit aus, mit ihm in Kontakt zu bleiben. Die Mutter überwand ihre Angt und ging in die Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Straße, um Näheres über ihren Mann zu erfahren. Sie landete, ohne zu wissen, wer ihr Gegenüber war, bei Eichmann. Der brüllte sie an und gab ihr den höhnischen Rat, sich als »Arierin« beim nächsten Standesamt von dem Juden scheiden zu lassen.
In dieser Zeit hatte der Vater die Kraft zu Tagebuchaufzeichnungen, um der Familie aus der Zelle Ratschläge zur Bewältigung des Alltags zu geben und seine Gefühle und Eindrücke über Mithäftlinge mitzuteilen.
Durch Aussagen von Mitgefangenen des Vaters geriet auch die Mutter in die Fänge der Gestapo. Man schrieb bereits das Jahr 1944, als der Prozeß gegen sie stattfand. In dessen Verlauf sprach der Vorsitzende des Gerichts eher beiläufig von »dem inzwischen verstorbenen Ehemann« der Angeklagten. Die Mutter war bei diesen Worten dem Zusammenbruch nahe. Später erfuhren Ehefrau und Sohn, daß das Familienoberhaupt schon im Oktober l943 im KZ Sachsenhausen erschossen worden war, weil die deutsche Justiz zu diesem Zeitpunkt gegen Juden nicht mehr prozessierte. Die engsten Kampfgefährten der im ganzen Reich aktiven Widerstandsgruppe wurden wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet, Gertrud Neuhofs Bewährungsstrafe aufgehoben. Ihr nächster »Aufenthaltsort« war Ravensbrück.
Mutter und Sohn erlebten den Zusammenbruch des Hitlerregimes. Für Peter endete der Krieg Ende April 1945 unerwartet unspektakulär mit dem Einmarch der Sowjetarmee in Frohnau. Der Autor schildert, wie sich das zutrug. »Ich habe bärenstarke Sibiriaken und T34 erwartet. Doch statt dessen Pferdegespanne. Ein Rotarmist löst sich von seinem Wagen. Er deutet auf mein Handgelenk. Hat es jetzt eilig, sein Pferd ist mit dem Gespann schon ein Stück weiter gezogen. Und schon hat meine Uhr ihren Besitzer gewechselt. ›Mensch du kannst mir doch nicht die Uhr klauen!‹, mehr fällt mir nicht ein. Er kann es offensichtlich doch und zieht weiter, weiter in den Krieg. Bis zum Reichstag ist es noch ein langer Weg. Was ist da schon eine Uhr.«

Peter Neuhof: Als die Braunen kamen. Eine Berliner jüdische Familie im Widerstand, Pahl-Rugenstein Verlag Nachf. Bonn, 297 Seiten, 24,80 Euro