von Heerke Hummel
Wer wünschte sich nicht einen Hauptgewinn in Frank Elstners Fernsehlotterie Ein Platz an der Sonne; etwa eine monatliche Sofortrente von 7500 Euro? Ach, so um die tausend Euro würden den meisten ja auch schon genügen. Das wird nun jedem, ob er mitspielt oder nicht, in Aussicht gestellt – jedenfalls wenn es nach dem Willen der rund dreihundert Teilnehmer des 2. deutschsprachigen Grundeinkommens-Kongresses geht, der Anfang Oktober an der Universität Basel veranstaltet wurde.
Organisiert wurde das Treffen von Akteuren aller politischen Parteien und sozialen Schichten – zu den Befürwortern der Grundeinkommensidee gehört der Gründer und Besitzer der Drogerie-Kette dm, Götz Werner, ebenso wie die Stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, Katja Kipping – von sogenannten Netzwerken Grundeinkommen sowie Attac-Arbeitsgruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Deren Bestreben ist es, allen »Menschen in einer Gesellschaft« einen »individuellen Rechtsanspruch« auf ein Grundeinkommen zu verschaffen, das existenzsichernd ist und bedingungslos, also »ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Arbeitsnachweis und ohne Arbeitsverpflichtung« ausbezahlt wird.
In Basel nun diskutierte man über das Grundeinkommen als Menschenrecht, über den Arbeitsbegriff sowie Menschenbild und das Grundeinkommen, über Entwicklungen im Arbeitsmarkt und bei der Beschäftigungspolitik und über Finanzierungsmodelle für Grundeinkommen.
Obwohl die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auf dem Vormarsch ist – die Kongresse, vor zwei Jahren in Wien und nun in Basel, belegen es –, sehen sich ihre Protagonisten mit heftigen Widerständen konfrontiert. Gerade die marxistische Linke, beklagte im Vorfeld der Baseler Veranstaltung Werner Rätz, Mitglied des deutschen Netzwerks Grundeinkommen, habe bisher systematisch auf die Rolle der Arbeit gesetzt. Eine andere Gesellschaft sei immer mit der Vorstellung verbunden gewesen, »daß aus der Erwerbsarbeit heraus verändert oder revolutioniert wird«. Das habe große Teile der Arbeiterbewegung über ein Jahrhundert geeint, und die Vorstellung, sich davon lösen zu müssen, sei natürlich für viele erstmal ungewohnt und schwierig.
Aber hat denn die marxistische Linke, so ist zu fragen, den Gedanken einer großen revolutionären Umwälzung nicht ohnehin längst über Bord geworfen? Und ging es ihr im Zusammenhang mit der Rolle der Arbeit vordergründig überhaupt darum? Für Friedrich Engels jedenfalls hatte die Arbeit eine viel grundsätzlichere Bedeutung, weil sie zur Menschwerdung des Affen beigetragen habe. Heute, da der Kreationismus, also die Lehre von der angeblich göttlichen Schöpfung des Menschen, sich wieder ausbreitet und sogar ins Schulwesen drängt, kann diese Engelssche Auffassung nicht genug verteidigt und beherzigt werden.
Denn das Elend der rund vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland – vor allem der Jugendlichen – besteht weniger darin, daß sie darben, als vielmehr, daß sie seelisch, moralisch und vielfach auch körperlich verkrüppeln, unter einer Sinnentleerung ihres Lebens leiden. Mit mehr Geld – so wünschenswert das wäre – hülfe man ihnen nicht grundsätzlich. Arbeit brauchen sie, jeder einzelne, eine sinnvolle Betätigung und ein ausgewogenes Pendeln zwischen Rechten und Pflichten, zwischen Schaffen und Konsumieren. Bezieher eines Grundeinkommens täten das von sich aus, meinen dessen Verfechter.
Von Ausnahmen abgesehen, scheint aber die heutige Wirklichkeit mit Millionen – wenn auch mehr schlecht als recht – bezahlten Arbeitslosen etwas anderes erwarten zu lassen. Und der Glaube, die Arbeit der so staatlich Versorgten würde die Wirtschaft nichts kosten, so daß Arbeitsplätze entstünden, trügt. Der Staat, die Gesellschaft als Ganze trüge die Kosten – zugunsten der (privaten) Wirtschaft und bei Aufgabe des Leistungsprinzips, bei allgemeiner Gleichmacherei.
Die Gesellschaft braucht die Teilnahme jedes einzelnen Individuums sowohl an der Schaffung als auch am Verbrauch des erzeugten Reichtums. Sonst funktioniert ihre eigene Reproduktion nicht. Die heutige Misere besteht ja gerade darin, daß die einen, die »Besserverdienenden«, gar nicht mehr in der Lage sind, ihren Verdienst zu konsumieren, während die anderen mit ihrem Einkommen nicht auskommen und sich verschulden müssen, damit der sachliche Reichtum, der erzeugt worden ist, verbraucht werden kann.
Andererseits steht Millionen Arbeitslosen ein gewaltiger Berg unerledigter Arbeitsaufgaben der Gesellschaft gegenüber. Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen gehören dabei zu den bedeutendsten Problemfeldern. Gewiß, im Osten liegen Jahrzehnte einer Realität hinter uns, in der »die Gesellschaft« alles, das Individuum aber wenig, oftmals nichts gelten sollte. Dieses System hat sich als nicht überlebensfähig erwiesen. Aber ist das ein Grund, ins gegenteilige Extrem zu verfallen und jedem Bürger ein grundsätzliches Recht zur Konsumtion auf Rechnung der Gesellschaft, ohne jegliche Pflicht zu gesellschaftlich notwendiger Arbeit, einzuräumen? Es dürfte sich bald als ein Trugschluß erweisen, daß die Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens ganz neue Potenzen der Individuen wie auch der Gesellschaft insgesamt freisetzt und letzterer sogar neue Impulse verleihen würde.
Wenn auf dem Kongreß beklagt wurde, die Menschen würden ihre Ansprüche zurückschrauben und aus Verzweiflung jede Arbeit annehmen (müssen), so ist doch zu fragen: Ja, wer soll uns denn die weniger attraktiven Aufgaben, die etwa bei der Gebäudereinigung anstehen, abnehmen – vielleicht Kulis aus Asien und Afrika? Auch denen stünde ein Grundeinkommen zu, wenn es sich tatsächlich um ein allgemeines Menschenrecht handelte. Warum aber sollten sie oder irgend sonst jemand dann für andere die Dreckarbeit – heute spricht man vornehm von »prekärer« Arbeit – machen?
Die gesellschaftliche Reproduktion wird nicht funktionieren, wenn jeder lernt und arbeitet, wann und wozu er Lust hat, denn sie erfordert ein Mindestmaß an Ordnung, Organisation und Disziplin. Eine sozial-utopische, individualistische Chaoswirtschaft wäre gegenüber anderen Zivilisationen nicht weniger überlebensgefährdet als seinerzeit die realsozialistische »Kommandowirtschaft« mit ihrem Mangel an Flexibilität infolge zu geringer Eigenverantwortung der Wirtschaftsorganisationen.
Aber zwischen beiden Extremen gibt es einen Mittelweg, der die heutige illusionäre Selbstvermehrung und realwirtschaftlich leistungslose Aufblähung des Finanzsystems zu überwinden hätte. Die Lösung der dringenden ökonomischen und sozialen Probleme der Gegenwart erfordert nicht die Gestaltung eines »Schlaraffenlandes« (das auch den weltweiten Migrationsdruck weiter erhöhen würde), sondern die Kontrolle und Regulierung des (internationalen) Finanzsystems durch die Gesellschaft. Auf diese Weise könnte und müßte ein gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden hin zu einer tatsächlichen Leistungsgesellschaft, in der – wie der jüngst verstorbene André Gorz gefordert hatte – jeder Mensch ein Recht auf ein anständiges Leben hat, das er per Beschäftigungs- und Mindestlohngarantie auch realisieren kann. Dazu bedarf es eines gesellschaftlichen Konsenses, der eine Aufklärung über das Wesen der heutigen (Finanz-) Gesellschaft voraussetzt. Wird diese Einsicht nicht durch Aufklärung erreicht, so werden die ökonomischen Realitäten mit ihren Verwerfungen sie früher oder später erzwingen.
Siehe auch: Heerke Hummel: Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum, Projekte-Verlag Halle 2005, 500 Seiten, 38,25 Euro
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