von Angelika Leitzke
Oberschöneweide? Für alle Nicht-Berliner: Oberschöneweide liegt einige Breitengrade unterhalb des Brandenburger Tors und 52,27 Grad nördlich des Äquators. Der westliche Teil Köpenicks im Südosten von Berlin war einst eine der größten Industrieansiedlungen Deutschlands, bevor nach 1990 die den Planwirtschaftlern nachfolgenden »Marktwirtschaftler« dem heruntergekommenen Viertel endgültig den Garaus machten.
Dank in- und ausländischer Investoren, welche die Bundeshauptstadt zunehmend im Griff haben, soll nun zwischen Wilhelminenhofstraße und Spree ein neues Zentrum für Gegenwartskunst entstehen. Das Grundstück erwarben ein Berliner Galerist und ein Rechtsanwalt für zehn Millionen Euro. Dieselbe Summe wollen die beiden für die Errichtung der Schauhallen bereitstellen. Galerien, Dependancen des Frankfurter Museums für Moderne Kunst und des New Yorker Whitney Museums of American Art sowie zwei private Kunstsammlungen werden einziehen. Nobel wird es nun hier, und wahrscheinlich denken weitere Investoren schon an die Errichtung eines Einkaufszentrums mit Cafés und Restaurants und an die medizinische Versorgung der anreisenden Gäste mittels eines Top-Klinikums für Klimainfarktgeschädigte.
Nun sollte man meinen, daß Berlin schon genügend Orte für zeitgenössische Kunst hat. Etwa das Museum Hamburger Bahnhof, die Neue Nationalgalerie oder die Berlinische Galerie in Kreuzberg. Ganz zu schweigen von den diversen Privatgalerien, die in der Auguststraße in Berlin-Mitte sowie rund um den Kudamm um ihr Überleben kämpfen. Hinzu kommt noch Wowereits Traum von einer temporären Kunsthalle am sogenannten Humboldt-Forum neben der Museumsinsel, wo in einigen Jahren das superteure Plagiat von Schlüters Stadtschloß die Augen entzücken wird.
Die beiden Bauherren von Oberschöneweide meinten es sicherlich gut, dachten sie vielleicht, daß nun auch die ollen Köpenicker, die lediglich durch den Schuhmachersohn Wilhelm Voigt, der 1906 als strammer Hauptmann das Rathaus besetzte, berühmt geworden sind, mal etwas vom Glanz der Epoche mitbekommen sollen. Id est: den Anschluß an die Achse New York – London – Paris erhalten. Vermutlich schwammen die Investoren auch auf einer Wellenlänge mit Angela Merkel, die anläßlich der Hängung von Jörg Immendorfs Schröder-Porträt in der Ahnengalerie des Kanzleramtes verkündete, daß Kunst zur Demokratie beitrage. Als promovierte Physikerin hätte sie vielleicht auch sagen können: Demokratie = Kunst hoch 2.
Meist erfordert das weniger künstlerisches Talent als Geld, weniger Kunst- als Demokratieverständnis. Kunst ist für alle da, basta! Dieser Devise huldigte 1998 die Bundesregierung mit ihrem Kunst-am-Bau-Programm, als sie ihre Neubauten an der Spree inklusive des Reichstages mit Werken zeitgenössischer Künstler ausstaffieren ließ. Für die Öffentlichkeit auch zugänglich, sollten sie auf die besondere Geschichte Berlins wie des historischen Ortes direkt an der Mauer Bezug nehmen. Noch fehlt ein amtliches Generalstatement bezüglich der Reaktion der – demokratischen – Abgeordneten auf all die Gerhart Richters, Baselitze oder Mattheuers, die nun Foyers und Kantinen, Innenhöfe und Treppenhäuser zieren. Sie möge doch demokratisch ausfallen, indem alle rufen: Kunst ist für alle da, basta!
Gründerzeit und Wilhelminischer Kunstgeschmack hatten fast ein halbes Jahrhundert lang einen repräsentativen konservativen Historismus protegiert, der das Deutsche Kaiserreich in Bildhauerei, Male rei und Architektur verherrlichen sollte. Der Denkmalskult boomte. Heute boomen in Berlin die moderne Kunst und ihre Präsentationstempel, egal ob die Kunst deutsche Politik reflektiert oder das metaphysische Magengrimmen des Künstlers. Unsere Demokratie muß daher nach Merkelscher Logik stetig wachsen, gerade in der Hauptstadt. Fragt sich nur, für wie lange? Da nimmt man doch die nicht reparierten Schlaglöcher in den Straßen der Stadt, die mangels Senatsgelder stillgelegten Schwimmbäder oder die Einbetonierung potentieller Grünflächen gerne in Kauf, oder?
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