von Ingrid Pietrzynski
Hans Pischner, Jahrgang 1914, war einer der wichtigsten Kultur-, insbesondere Musikpolitiker der DDR. Zwischen 1950 und 1954 Leiter der Hauptabteilung Musik im DDR-Rundfunk, von 1954 bis 1963 im Kulturministerium, ab 1956 als stellvertretender Minister tätig, war er dann über zwanzig Jahre, von 1963 bis 1984, Intendant der Deutschen Staatsoper Berlin. Als Kulturfunktionär war er leitend in den verschiedensten Gremien aktiv, unter anderem als Präsident des Kulturbundes und als Vizepräsident der Akademie der Künste, nicht zuletzt ab 1981 als Mitglied des SED-Zentralkomitees. Auch in internationalen Musikgremien betätigte er sich in exponierter Stellung, wie der Neuen Bach-Gesellschaft und dem Exekutivkomitee des Internationalen Musikrates. Darüber hinaus trat er als Cembalist auf vielen Konzertpodien der Welt als Solist auf.
Der heute 92jährige hat bereits einmal – am Ende seiner Berufstätigkeit – Memoiren vorgelegt: Premieren meines Lebens. Autobiographie, Berlin 1986. Der Herausgeber des vorliegenden Bandes, Ulrich Eckardt, langjähriger Intendant der Berliner Festspiele, gibt an, Teile des früheren Buches verwendet und eine Fortsetzung in Zusammenarbeit mit Pischner geschrieben zu haben. Vergleicht man beide Ausgaben miteinander, so läßt schon allein die unterschiedliche Seitenstärke kräftigste Striche ahnen. Eine »Fortsetzung« hingegen kommt nur marginal vor, denn Pischners aktive Zeit dauerte bis Ende der achtziger Jahre. Hier werden Nachwende-Erfahrungen, insbesondere mit der bundesdeutschen Kultur- und Musikpolitik geschildert, aus denen Kränkung über die mangelnde Anerkennung seiner beruflichen Lebensleistungen spricht.
Was unterscheidet nun beide Bände voneinander, die jeweils über nahezu vierzig Jahre DDR-Kultur- und Musikpolitik berichten? Gestrichen wurden fast alle historisch-politischen Einlassungen des Autors, die er 1986 über die deutsche Geschichte und die Weltlage von sich gegeben hatte, unter anderem über die Sowjetunion (Pischner war dort in der Kriegsgefangenschaft und in einem Antifa-Lager), über das Verhältnis zu Polen (er stammt aus Breslau) und über die Bundesrepublik und ihre vielfältige politische »Begleitmusik« der DDR-Entwicklung, unter anderem auch der revanchistischen Landsmannschaften. Pischner wuchs in einem humanistischen, atheistischen und musischen Elternhaus auf, in dem die Herrscher der NS-Zeit verachtet, aber nicht aktiv bekämpft wurden. Noch heute rechnet er sich das als größtes Versäumnis seines Lebens an. Damit begründet er auch sein aktives Engagement in der DDR. Allerdings sind in diesem Zusammenhang solche Sätze wie etwa die folgenden der heutigen Schere zum Opfer gefallen, in denen von Dankbarkeit die Rede ist: »Oft stand vor mir die Frage: Wie hatte ich überhaupt das Vertrauen dieser Menschen verdient? […] Es war sicher eine der größten politischen Leistungen der Partei der Arbeiterklasse, Menschen verschiedenster Richtungen und Herkunft, also auch Menschen meinesgleichen, in den gemeinsamen Aufbauprozeß zu integrieren und sie im festen Miteinander zu vereinen.«
Pischner hat als Intendant souverän und mit taktischem Geschick die Staatsoper zu internationaler Strahlkraft geführt, Tradition und Moderne in der Opernlandschaft miteinander verbunden und dabei manche Sträuße ausfechten müssen. Seine Auffassungen über zeitgemäße Operninterpretation, Musikgeschichte und realistisches Musiktheater werden ausführlich behandelt – nicht zuletzt, weil für ihn die Intendantenzeit seine besten Jahre waren. Um so mehr mußte es ihn kränken, als er 1984, als Siebzigjähriger, rüde aus dem Amt gedrängt wurde, wie es vor ihm schon seinen Vorgängern Ernst Legal und Max Burghardt ergangen war. Zudem war er in diesen Jahren vom MfS (und übrigens auch vom Verfassungsschutz) bespitzelt worden. Davon ist – natürlich – in der 1986er Ausgabe keine Rede. Sei es, daß ein Lektorat dies verhinderte, sei es, weil der Autor selbst die Schere im Kopf anwendete. Liest man in dem ersten Band zwischen den Zeilen, erkennt man jedoch, daß Pischner hier, unter anderem durch nahezu pathetische Würdigung seines früheren Chefs, des Kulturministers Johannes R. Becher, den kulturpolitischen Verhältnissen in der DDR der achtziger Jahre einen Spiegel vorhielt. Schade, daß einem Leser der aktuellen Ausgabe solche Feinheiten durch die Streichungen entgehen, ebenso wie etliche Weggenossen nicht mehr erwähnt werden, die in der DDR-Geschichte ein Rolle gespielt haben wie etwa Marie Torhorst oder Stefan Heymann. Demgegenüber taucht nun etwa Hans Mayer auf, von dem 1986 kein Wort zu lesen war.
Als den größten Mangel dieser neuen Ausgabe empfinde ich es aber, daß durch die »Striche« nachgewachsene Leser-Generationen nun ein sehr vereinfachtes, nicht mehr plausibles Bild davon präsentiert erhalten, wieso sich junge, ehrgeizige Menschen in dieser oder jener führenden Position in der DDR engagiert haben und daran auch festhielten – mit all den damit verbundenen Irrtümern und opportunistischen Verhaltensweisen. Solche Anpassungsstrategien an Verhältnisse und Zeitläufte haben ja durchaus etwas Zeitloses. Kritische Selbstbefragungen hierzu finden sich weder in der alten noch in der neuen Ausgabe.
Dies trifft insbesondere auf Pischners frühe Jahre als Musikchef im DDR-Rundfunk zu, als er seine Aufgaben noch nicht so souverän meisterte wie später, sondern eher verunsichert und »dankbar« zu Werke ging. Dies waren die Jahre der rüdesten stalinistischen Ausrichtung von Kultur und Kunst, und Hans Pischner war dabei nicht nur, wie geschildert, Beobachter, im Gegenteil. Zwar hat er schon 1986 Überspitzungen während der Realismus-Formalismus-Debatte konstatiert, das war in den achtziger Jahren allgemeiner Konsens; aber seine eigene Rolle ließ er bereits in der ersten Ausgabe weitgehend im dunkeln. Hier sprechen die Dokumente eine deutliche Sprache, unter anderem Manuskripte von seinen Rundfunk-Kommentaren, die im Deutschen Rundfunkarchiv lagern. Einer seiner schärfsten Kritiker war damals Bertolt Brecht, dessen Stand punkte er später für sein realistisches Musiktheater übernommen hat. In den frühen fünfziger Jahren wurden neben Paul Dessau, Hanns Eisler, Ernst Busch viele Musiker der Moderne im Rundfunkprogramm unter Pischners Leitung verhindert. Gerade für diesen Zeitabschnitt der Musikpolitik im frühen DDR-Rundfunk bleibt noch viel aufzuarbeiten, und diese Neuausgabe von Pischners Memoiren trägt dazu nur sehr wenig bei.
Hans Pischner: Tasten, Taten, Träume. Musik und Politik zwischen Utopie und Realität. Autobiographie, Herausgegeben von Ulrich Eckhardt, Henschel Verlag Berlin 2006, 240 Seiten, 24,90 Euro
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