Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 20. August 2007, Heft 17

Mit Che in Bolivien

von Uli Brockmeyer

Ein junger Offizier des militärischen Geheimdienstes Kubas erhielt im März 1963 einen ungewöhnlichen Auftrag. Im Zusammenhang mit streng geheimgehaltenen Plänen des Che – Comandante Ernesto »Che« Guevara – zur Vorbereitung einer Rebellenbewegung in Südamerika sollte Ulises Estrada unter drei jungen Argentinierinnen eine auswählen, die in Bolivien die politischen und militärischen Bedingungen für eine künftige Guerilla-Bewegung auskundschaftet und die notwendigen Vorbereitungen trifft.
Che Guevara hatte im mexikanischen Exil mit Fidel Castro vereinbart, daß er nach dem Sieg der Revolution auf Kuba freie Hand für die Weiterführung der Rebellion im Süden des Kontinents erhalte. Ches Traum war, die von Simon Bolívar und anderen Revolutionären begonnene Befreiung des südamerikanischen Kontinents weiterzuführen und letztlich auch für seine Heimat Argentinien die Bedingungen für eine Entwicklung zum Sozialismus zu schaffen. In enger Abstimmung mit Fidel und mit dessen Unterstützung begann er mit diesen Vorbereitungen bereits wenige Wochen nach der Einnahme Havannas. Eine kleine Gruppe kubanischer Geheimdienstleute arbeitete an den Details seiner Pläne, die unter dem Namen Operation Fantasma geführt wurden.
Für die Residentur in Bolivien wurde schließlich eine junge Frau ausgesucht, die erst zwei Jahre zuvor aus der DDR nach Kuba gekommen war. Ihre Eltern Nadja und Erich Bunke waren zu Beginn der dreißiger Jahre aus Deutschland nach Argentinien geflohen, weil sie Kommunisten waren. In Buenos Aires war 1937 ihre Tochter Tamara geboren worden, die im Land des Exils ihrer Eltern wie eine Argentinierin aufwuchs. 1952 war die Familie in die Heimat zurückgekehrt – in ihre neue Heimat, die Deutsche Demokratische Republik. Tamara wurde Mitglied der FDJ und begeisterte sich für den jungen Staat. Mit ihren Gedanken und ihrem Herzen jedoch war sie weiterhin in Lateinamerika, fühlte sie sich ihrer ersten Heimat, Argentinien, eng verbunden. Sie interessierte sich für die dortige revolutionäre Bewegung, sammelte jede noch so kleine Nachricht. Nach dem Sturz Batistas reiste sie im Mai 1961 nach Havanna und übernahm Aufgaben in mehreren Institutionen der jungen Revolutionsmacht.
Es war kein Wunder, daß Tamara schließlich für die Operation Fantasma ausgewählt wurde. Schon bei ihrem ersten Gespräch mit den kubanischen Offizieren erklärte sie sich bereit, jede Aufgabe für die Revolution zu übernehmen. Dafür sei sie schließlich nach Kuba gekommen, sagte sie ohne Umschweife.
Es begann eine gründliche Ausbildung durch die Fachleute des Geheimdienstes, die dabei selbst noch zu lernen hatten. Im vergangenen Jahr erstmals freigegebene Dokumente belegen, mit welchen Problemen sich die jungen Leute herumschlugen. Ulises Estrada, Tamaras Ausbildungsoffizier, der eigentlich Dámaso Lescaille hieß und kaum älter als sie war, berichtet zum ersten Mal aus seiner Sicht über den Weg der jungen Frau mit argentinisch-deutschem Hintergrund zur Untergrundkämpferin. Estrada beschreibt Tamara im Gespräch als eine bildschöne junge Frau mit dunkelblondem Haar und blauen Augen, die stets die Uniform der kubanischen Milizionäre trug, mit einer sowjetischen Pistole Makarow am Gürtel.
Tamara wählte als »nombre de combate« den Namen »Tania«, den Decknamen der sowjetischen Komsomolzin Soja Kosmodemjanskaja, die als Partisanin gegen die deutschen Faschisten gekämpft hatte und von ihnen umgebracht worden war.
Nach ihrer Ausbildung auf Kuba ging »Tania« zuerst nach Prag, um von dort aus Reisen nach Westeuropa zu unternehmen, die der Festigung ihrer Legende und der Vorbereitung ihres neuen Lebens in Bolivien dienen sollten. In La Paz angekommen, gelang es Tania, dort sehr rasch Fuß zu fassen und viele wichtige Kontakte bis in höchste Kreise herzustellen. Auf dieser Grundlage konnte schließlich eine Gruppe von Kämpfern aus verschiedenen Ländern unter Ches Führung nach Bolivien einreisen und den bewaffneten Kampf aufnehmen.
Der Verlauf des kurzen Guerillakriegs ist bekannt. Aus verschiedenen Gründen gewann die Rebellentruppe nicht den notwendigen Rückhalt im Volk. Ulises Estrada nennt dazu in unserem Gespräch vor allem das Zerwürfnis zwischen Che und dem damaligen Generalsekretär der bolivianischen KP, der zwar die Führung der Rebellen übernehmen, jedoch nicht unmittelbar mit ihnen kämpfen wollte und daher den Kämpfern die Unterstützung der Partei entzog. Speziell dafür ausgebildete bolivianische Kämpfer wurden gehindert, sich der Truppe Che Guevara anzuschließen, berichtet Estrada mit deutlicher Verbitterung.
Tania hatte von Beginn an den Wunsch, am militärischen Kampf teilzunehmen. Eher widerwillig fügte sie sich Ches Befehl, in der wichtigen Funktion der Kontaktperson in der Hauptstadt zu bleiben. Bei der Erfüllung eines Auftrags wurde sie jedoch enttarnt, so daß sie doch in eine der Rebellengruppen aufgenommen werden mußte. Die Umstände der Enttarnung werden auch in den jüngsten Schilderungen noch nicht klar dargestellt. Bekannt ist nur, daß Tania an der Seite ihrer Genossen am 31. August 1967 in einem Hinterhalt am Rio Grande fiel.
Ulises Estrada, heute 73 Jahre, hat eine Reihe von bisher unbekannten beziehungsweise nicht veröffentlichten Details und Zusammenhängen in einem Buch zusammengefaßt, das vor wenigen Wochen auch auf Deutsch erschienen ist. Er räumt ein, daß in früheren Veröffentlichungen einige Namen und Daten bewußt falsch angegeben worden seien, um bestimmte Zusammenhänge geheimzuhalten. In seiner neuen Arbeit nennt Estrada erstmalig alle Namen und Daten korrekt.
Das Besondere an diesem Buch ist nicht zuletzt, daß Dámaso Lescaille während Tanias Zeit auf Kuba ihr Lebensgefährte war, derjenige, von dem sie ihren Eltern in einem Brief schrieb, daß sie ihn nach Erfüllung ihres Auftrages heiraten und mit ihm Kinder haben wolle. Ulises’ Augen leuchten noch heute mit jugendlicher Begeisterung, wenn er in warmen und herzlichen Worten von seiner Tania spricht …
Es ist ein äußerst bemerkenswertes Buch geworden, dessen Untertitel allerdings in der deutschen Ausgabe ein wenig mißglückt ist, ebenso wie einige Details in der deutschen Übersetzung etwas gelitten haben. Für alle, die sich für diesen Teil der kubanischen Geschichte und vor allem für den unvergleichlichen Lebensweg der »Tania la Guerrillera« interessieren, gibt es keine bessere und wahrhaftigere Quelle.

Ulises Estrada: Tania. Undercover mit Che Guevara in Bolivien, Atlantik Verlag Bremen 2007, 280 Seiten, 20 Euro