Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 23. Juli 2007, Heft 15

Heynowski, Vorgeschichte

von Günter Agde

Bei einer Präsentation seines Erinnerungsbuches kürzlich zeigte Walter Heynowski mit Stolz die Nullnummer einer Jugendzeitschrift von 1948, die er gemacht hatte – Der Fuchs. Dieses Probeexemplar sollte sein Eintrittsbillett in eine neue Zeit sein, die so radikal wie möglich mit allem brechen sollte, was er bisher erlebt hatte. Sie wurde es, nur auf andere Weise als gedacht. Er kam nach Ostberlin und wurde Publizist im weitesten Sinne dieses Berufes: Mitbegründer der Satirezeitschrift Eulenspiegel, dann Programmdirektor des noch jungen ostdeutschen Fernsehens (und setzte sich vehement für die DEFA-Filmsatiren-Reihe Stacheltier ein), schließlich langjähriger Filmemacher, 66 Filmtitel zählt sein Oeuvre. Seit 1956 machte er Dokumentarfilme, vor allem über restaurative Erscheinungen der Adenauerzeit. Von 1969 bis 1982 leitete er zusammen mit Gerhard Scheumann das Studio H&S (das Kürzel bezeichnet die beiden Protagonisten, Scheumann verstarb 1998). Ihre wichtigsten Filme setzten sich mit dem Vietnamkrieg, mit Chile unter Allende und dann unter Pinochet, mit dem Pol-Pot-Regime auseinander. Von alledem ist in seinem Buch nicht die Rede. Darüber muß! er in seinem zweiten Buch schreiben, das viele nun dringlich von ihm erwarten.
Er ist der Sohn eines Kaufmanns und späteren NS-Sonderführers »im Osten«, absolviert im Fränkischen Oberschule mit Kommunion, wird Pimpf, will zur Flieger-HJ. Er unternimmt erste publizistische Versuche mittels Leserbriefen an das »Nationalsozialistische Jungenblatt« Pimpf, die wohlwollend aufgenommen und gedruckt werden. Kein Geringerer als Herbert Reinecker, damals Kriegsberichter bei der Waffen-SS und Hauptschriftleiter der HJ-Zeitschrift Junge Welt (nach 1945 versierter Autor der Kriminalserien Derrick und Der Alte), lädt ihn kameradschaftlich zur Mitarbeit ein, Berufsziel: Kriegsberichter in jenen NS-Propaganda-Spezialtruppen, die per Wochenschau, Zeitungen und Illustrierten die massenmediale Mobilisierung der Deutschen für die Kriegsziele multiplizieren sollten. Heynowski wird nicht angenommen, wegen seines »nichtgermanischen« Aussehens. Das kränkt den Ehrgeizigen sehr. Bis Kriegsende gehört er dann als Luftwaffenhelfer zu einer Geschützmannschaft. In seiner Kriegsgefangenschaft erlebt er das schlimme Dahinvegetieren in den Camps der Alliierten in den Rheinwiesen. Nach seiner Entlassung beginnt er, in seiner Heimat publizistisch zu arbeiten, 1948 geht er nach Ost-Berlin.
Ist sein Erinnerungsbuch also ein weiteres Beispiel von Zeugenschaft aus der sogenannten Flakhelfer-Generation, nun aus Nach-DDR-sozialisierter Sicht, und so gesehen eine »ostdeutsche« Einmischung in eine aktuelle »westdeutsche« Diskussion, angestoßen durch Grass’ Bekenntnis und befördert von dessen Echo?
Heynowskis Beschreibungen sind sehr präzise. So gestochen genau kann einer nur erzählen, dem diese Erlebnisse ins Leben gebrannt bleiben. Da steht er Grass (Beim Häuten der Zwiebel) nicht nach. Und mit Grass – und mit anderen, die über solche Erlebnisse berichteten – setzt er sich fortlaufend in Beziehung. Der recherchegewandte und formulierungsfreudige Dokumentarist mäandert durch die deutsche Geschichte in Kriegs- und Nachkriegszeit, zu Leuten und Episoden, zum Münchner Verleger Helmut Kindler, zum Spielfilmregisseur Bernhard Wicki, zum Architekturhistoriker Bruno Flierl, zu Mitgefangenen und Historikern. So entsteht ein Geschichts-Montage-Lesebuch mit Anspruch.
Eher beiläufig erwähnt er, daß auch er geschossen und folglich seine Toten hat. Das Empfinden seiner Schuld infolge Irre-Geleitet-Seins ist nicht zu überlesen. Heynowskis knappe, lakonische, eher kalte und gar nicht ironische Beschreibung offenbart dieses Trauma seines Lebens. Da er es nun benennen kann und benennt, will er es bezwingen, indem er es schriftlich bannt. Da ist er Grass – bei allen erheblichen Unterschieden – ziemlich nahe.
Im eigenartigen Kontrast dazu steht sein (ebenfalls lakonisches) Staunen, daß er maßgebliche politische Funktionäre der DDR in der Flakhelfer-Generation wie Joachim Herrmann wiederfindet, anfangs rühriger Journalist, später Ideologie-Monopolist und Honecker-Vertrauter dogmatischsten Zuschnitts. Er und Heynowski und die anderen haben nie »darüber« geredet und nie ihre Traumata beschrieben, solange sie in politicis miteinander zu tun hatten (und das war lange!), auch nicht über ihre Toten. War dies Beschweigen ihre Grass-Zwiebel, die zu häuten sie nicht vermochten, ein Verdrängungs-Druck nach Art der DDR? Was wäre anders geworden in Heynowskis Leben und Werk, wenn eine frühe, redliche Offenlegung von Erlebnis und Trauma erfolgt wäre?

Walter Heynowski: Der Film meines Lebens, Zerschossene Jugend, Verlag Das neue Berlin 2007, 330 Seiten, 19,90 Euro