Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 10. Juli 2007, Heft 14

Präsident Abbas retten

von Uri Avnery, Tel Aviv

Ehud Olmert ist der Gegenpart von Midas, dem König von Phrygien. Alles, was der König berührte, wurde zu Gold. So erzählt es die griechische Sage. Alles, was Olmert berührt, wird zu Blei. Und dies ist keine Sage. Nun berührt er Mahmoud Abbas. Er lobt ihn in den höchsten Tönen. Er verspricht ihm, ihn zu »stärken«. Er will sich mit ihm treffen. Wenn ich Abbas einen Rat geben könnte, würde ich ihm zurufen: Renne, renne um dein Leben! Die Berührung von Olmerts Hand wird dein Schicksal besiegeln!
Kann Abbas gerettet werden? Ich weiß es nicht. Einige meiner palästinensischen Freunde sind verzweifelt. Sie sind mit der Fatah aufgewachsen, und die Fatah ist ihre Heimat. Sie sind säkular und nationalistisch eingestellt. Sie wollen in ihrem Land wirklich kein islamistisches Regime. Aber im aktuellen Konflikt sind sie für die Hamas. Sie hören die Worte von Präsident Bush, von Olmert und dem ganzen nachplappernden Chor der israelischen Politiker und ihrer Journalisten und ziehen daraus den unweigerlichen Schluß: Die Amerikaner und die Israelis bemühen sich sehr, Abbas zu einem Agenten der Besatzung und die Fatah-Bewegung zu einer Miliz des Besatzers zu machen.
Jedes Wort, das jetzt aus Washington und Jerusalem kommt, bestätigt diesen Verdacht. Jedes Wort vertieft die Kluft zwischen der palästinensischen Gesellschaft und der Palästinensischen Behörde in der Westbank. Die neue »Notstandsregierung« in Ramallah wird von einer Person geleitet, die bei den letzten Wahlen nur zwei Prozent der Stimmen erhalten hat, als die Liste von Abbas selbst von der Hamas haushoch geschlagen worden war – nicht nur im Gazastreifen, sondern auch auf der Westbank.
Falls Abbas überhaupt gerettet werden kann, dann gibt es nur einen Weg: Sofort mit zügigen und ernstzunehmenden Verhandlungen über ein Friedensabkommen zu beginnen – und zwar mit dem erklärten Ziel, einen palästinensischen Staat in allen besetzten Gebieten zu errichten, mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt. Nicht weniger.
Doch genau das ist es, was die Regierung Israels nicht zu tun bereit ist. Olmert hätte verhandeln können, nachdem Sharon die politische Bühne verlassen hatte. Er hätte es mit der palästinensischen Einheitsregierung tun können, die unter der Schirmherrschaft der Saudis zustandegekommen war. Sie haben es nicht getan. In den Augen Sharons und seiner Nachfolger, war Abbas gefährlicher als Hamas, die von den Amerikanern als terroristische Organisation bezeichnet wurde.
Es ist unmöglich, die letzten Entwicklungen zu verstehen, ohne auf den »Trennungsplan« – die Auflösung der Siedlungen im Gazastreifen – einzugehen. In dieser Woche wurden in Israel sensationelle Enthüllungen publik. Sie bestätigen den Verdacht, den wir von Anfang an hatten: Daß die Trennung nichts anderes als ein Trick war, Teil eines Programms mit einer verborgenen Agenda. Sharon hatte einen Gesamtplan, der aus drei Elementen bestand: a) den Gazastreifen abzutrennen, zu isolieren und von der Hamas führen zu lassen; b) die Westbank in ein abgetrenntes Gebilde unter Führung der Fatah zu verwandeln und c) beide Gebiete unter der Herrschaft des israelischen Militärs zu belassen.
Dies erklärt, warum Sharon auf einem »einseitigen« Rückzug bestand. Zunächst erschien dies unlogisch. Warum nicht vorneweg mit der palästinensischen Behörde darüber reden? Warum sich nicht über die ordentliche Machtübernahme durch Mahmoud Abbas absichern? Warum keine Übergabe der intakten Siedlungen an die Behörde mit allen Gebäuden und Gewächshäusern? Warum nicht die Grenzübergänge weit öffnen? Und warum nicht wirklich den Palästinensern den Flughafen wieder eröffnen und einen Seehafen bauen lassen?
Wenn es tatsächlich das Ziel gewesen wäre, ein Friedensabkommen zu erreichen, dann wäre all dies geschehen. Aber da genau das Gegenteil gemacht wurde, kann vermutet werden, daß Sharon genau das wollte, was jetzt geschehen ist: der Kollaps der palästinensischen Behörde im Gazastreifen, die Machtübernahme des Gazastreifens durch die Hamas, die Trennung des Gazastreifens von der Westbank.
Das ist keine neue Politik. Das Abtrennen des Gazastreifens von der Westbank ist seit vielen Jahren ein militärisches und politisches Ziel der israelischen Regierungen gewesen. Der Artikel IV der Oslo-Prinzipienerklärung stellte eindeutig fest: »Beide Parteien sehen die Westbank und den Gazastreifen als eine einzige territoriale Einheit an, deren Integrität während der Übergangsphase erhalten werden soll.« Ohne diesen Passus hätte Arafat dieses Abkommen nicht akzeptiert. Später erfand Shimon Peres den Slogan Gaza zuerst. Die Palästinenser weigerten sich unnachgiebig. Letzten Endes gab die israelische Regierung nach, und 1994 wurde das Abkommen Gaza–Jericho zuerst unterzeichnet. Die Ausgangsbasis, die der Palästinensischen Behörde in der Westbank auf diese Weise gegeben wurde, sicherte so die Einheit beider Gebiete.
Im selben Abkommen versprach Israel eine »sichere Passage« zwischen dem Gazastreifen und der Westbank. Und nicht nur eine, sondern vier Passagen, die auf einer Karte eingezeichnet waren, die als Anhang dem Abkommen beigefügt worden war. Kurz darauf wurden sogar entlang der Westbankstraßen Straßenschilder mit der arabischen Aufschrift »nach Gaza« aufgestellt. Aber während der dreizehn Jahre, die seitdem vergangen sind, ist die Passage nicht einen Tag lang geöffnet gewesen. Als Ehud Barak sich auf den Sessel des Ministerpräsidenten setzte und seine Politik absteckte, phantasierte er vom Bau der größten Brücke der Welt zwischen dem Gazastreifen und der Westbank – etwa vierzig Kilometer lang. Wie viele andere von Baraks Blitzideen starb auch diese schon vor der Geburt. Die Passagen blieben hermetisch verschlossen.
Die im Augenblick stattfindende Operation, Abbas zu »stärken«, ist ein Teil dieses Plans. In Jerusalem haben manche das Gefühl, daß ihre Träume nun endlich wahr werden: Die Westbank ist vom Gazastreifen abgetrennt, in mehrere Enklaven von einander und von der Welt abgeschnitten wie die Bantustans im früheren Südafrika. Die israelischen Medien beschreiben schon schadenfroh, wie die hungrigen Bewohner des Gazastreifens voller Neid auf die wohlgenährten, aufblühenden Bewohner der Westbank schauen. Sie werden gegen die Hamas-Regierung rebellieren, so daß auch dort ein Quisling im Dienste Israels eingestellt werden kann. Die Menschen in der Westbank werden mit Hilfe von amerikanischen und europäischen Geldern gemästet, und sie werden glücklich sein, den Gazastreifen und dessen Probleme loszusein.
Kein Palästinenser wird mit der Abtrennung des Gazastreifens von der Westbank einverstanden sein. Eine Partei, die sich darauf einließe, würde von der palästinensischen Gesellschaft ausgestoßen, und eine Führung, die solch eine Situation akzeptieren würde, würde beseitigt werden. Israels Politik ist hin und her gerissen zwischen zwei mit einander im Konflikt stehenden Wünschen: zu verhindern, daß sich die Ereignisse im Gazastreifen auf der Westbank wiederholen, wo eine Machtübernahme durch die Hamas viel gefährlicher wäre – aber auch zu verhindern, daß Abbas einen so großen Erfolg erzielt, daß die Amerikaner Olmert zwingen könnten, wirklich zu verhandeln. Wie gewöhnlich praktiziert die Regierung das Prinzip »nicht Fisch und nicht Fleisch«.
Gegenwärtig sind alle Aktionen Olmerts für Abbas und die Fatah-Bewegung gefährlich. Sein Kuß ist ein Todeskuß.

23. Juni 2007, aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, von der Redaktion gekürzt