von Wolfgang Sabath
Ich dachte, mich trifft der Schlag: In der Süddeutschen Zeitung referierte am 20. Juni der seit Jahrzehnten hierzulande als profunder Deutschlandkenner und als demokratischer Freigeist gehandelte und landauf, landab auf die Podien geladene Polityka-Journalist Adam Krzeminski (seit 1973, also schon seit »Kommunezeiten« – wie heutzutage Polens Nationalkonservative lautmalerisch zu formulieren pflegen – bei dieser Wochenzeitung tätig) über die derzeitigen sogenannten polnisch-deutschen Irritationen. Und in diesem langen Artikel kam ein Satz vor, den ich diesem Autor, der wahrlich als »lupenreiner Demokrat« gelten kann (um – zugegeben leicht bösartig – ein Altkanzlerwort zu mißbrauchen …) nicht zugetraut hätte. Nachdem er etliche Defizite westeuropäischer Politiker in ihrem Verhalten und ihrem Verhältnis zu Polen aufgelistet hatte (»In Polen ist weder Chiracs arroganter Spruch von 2003 vergessen, die Polen hätten eine Chance vertan, den Mund zu halten, noch Schröders Gleichgültigkeit, als sein lupenreiner Demokratenfreund aus Moskau ihn und den französischen Präsidenten, nicht aber einen Polen und Litauer [also die beiden unmittelbaren Nachbarn] zur 750-Jahr-Feier von Kaliningrad einlud.«) trifft Adam Krzeminski die wohl eher rhetorisch gedachte, aber mich so irritierende Feststellung: »Wir sollten nicht so nachtragend sein!«
Was daran irritiert? Es ist nur das kleine Wörtchen »wir«.
An anderer Stelle des Beitrages beklagt er: »In der Konfrontation mit restaurativen Tendenzen in Rußland sieht sich Polen von der EU im Stich gelassen. Für sein Engagement (im Namen der EU!) während der ukrainischen Revolution 2004 wurde es von Putin gemaßregelt, die EU ließ das gleichgültig.« Auch hier schimmert unverkennbar ein polnisches Wir-Gefühl durch (mal ganz abgesehen davon, daß »restaurative Tendenzen« derzeit ja nun wahrlich nicht nur in Rußland auszumachen sind …).
Ich hätte jedenfalls in zwar nicht umfassender, aber doch ausreichender Kenntnis bisheriger Äußerungen Adam Krzeminskis in deutschen Zeitungen und auf deutschen Podien nie vermutet, daß der sich auch nur partiell auf eine Stufe stellen könnte mit den hochhackigen Zwillingsbrüdern, die derzeit die Geschicke Polens lenken. Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Polen …?
Ach, es kommt ja, nun diesseits der Oder, noch schlimmer: Als hätten sie nur darauf gewartet, die lästige verordnete Polenfreundschaft endlich ablegen zu können, überschlagen sich deutsche Kommentatoren und Schlagzeilenschmiede – beifällig vom deutschen Stammtisch und deutschen Politikern assistiert – in Antipolnischem. Viel zu lange hatten sie sich ihre ererbten und ihre neu erworbenen Ressentiments verkniffen (nur Harald Schmidt durfte schon früher gelegentlich vorausreiten); doch nun – denken sie – dürfen sie! Erwartungsgemäß übernahm der Spiegel die Führerschaft: Die ungeliebten Nachbarn. Wie die Polen Europa nerven.
Die Diktion ist es, die den eigentlichen Skandal ausmacht. Natürlich gehören Erpressung und Pokern – zumal wenn es um richtig viel EU-Gelder geht – zum politischen Geschäft, und zwar zum Geschäft aller EU-Staaten. Aber: Die Polen nerven? Kaum vierzehn Tage später soll ich mich solidarisch mit Angela Merkel erklären und ich soll mich quasi mitbeleidigt fühlen, weil das Magazin Wprost die deutsche Kanzlerin barbusig auf den Titel brachte, an ihren Brüsten lagernd der polnische Präsident und sein Bruder, der Premier. Wenn sich polnische Medien über eine Tagesspiegel-Karikatur ereifern (das absurde »Quadratwurzel«-Verfahren war darin um die Variante erweitert worden, bei dieser Rechenoperation auch die Kriegstoten zu berücksichtigen) und sich deutsche nun wegen des Wprost-Titels künstlich aufplustern – geht mich das alles nichts an. Sollen etwa auch wir plötzlich alle Deutsche sein und keine Parteien mehr kennen? Ohne mich! Unsereins läßt sich weder von Kaczynskihochzwei noch von deutschen Schreihälsen seine deutsch-polnischen Freundschaften kaputtschwadronieren! Vom ich zum Wir? Mit mir nicht (mehr).
Wenn in Deutschland von Polen die Rede ist, gibt gewöhnlich auch Markus Meckel Laut, SPD-Bundestagshinterbänkler und Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe. Diesmal nun (angesichts des Wprost-Titels) äußerte er sich »fassungslos«: »Polen hat in den letzten Wochen und Monaten viele Freunde verloren. Das Land sollte sich in Zukunft verstärkt Gedanken machen, wie es wieder Verbündete und Freunde gewinnt.«
Auch Wolfgang Thierse räusperte sich zum Thema, warnte vor antipolnischen Ressentiments und brachte dabei – auch nicht unerwartet – vermeintlich antipolnische DDR-Politik in Erinnerung. Doch das kannten wir schon, aber es war im Laufe der Jahre nicht richtiger geworden. Was es auch immer in den nächsten Wochen und Monaten an deutsch-polnischem Trara geben wird, eigentlich bleibt hier nur, den Generalissimus unselig zu paraphrasieren: Die Kaczynskis kommen und gehen, aber das polnische Volk … und so weiter. Und wenn das »polnische Volk« nicht will, daß sie »gehen«? Dann ist das ausschließlich seine Sache.
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