Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 25. Juni 2007, Heft 13

Mindestlohndebatte

von Ove Lieh

Mit der Entscheidung, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, tun sich die Deutschen schwerer als mit der, in den Krieg zu ziehen. Ein Krieg ist eben nicht so schädlich für die Wirtschaft. Die Crux am gesetzlichen Mindestlohn ist, politisch gesehen, daß er die Regierung erpreßbar macht, weil immer der gewählt wird, der seine Erhöhung verspricht. Wohin diese Erpreßbarkeit führt, kann man deutlich an den USA sehen, die inzwischen von einem tollkühnen Abenteuer in das nächste trudeln, weil ihre Regierungen diesen blöden Mindestlohn im Nacken haben.
Das wollen wir natürlich nicht. Und wir wollen auch nicht, daß der Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet. Dieser Effekt ist zwar empirisch schwer nachzuweisen, Studien belegen sogar das Gegenteil; aber wer sagt uns, daß es nicht gerade in Deutschland andersherum kommt als woanders? Gerade wir im Osten wissen, daß es vielleicht gerade dann andersherum kommt, wenn keiner mehr damit rechnet. In der DDR stand das Thema nicht so auf der Agenda. Es gab dazulande so etwas wie unterste Lohngruppen, die nicht unterschritten werden durften, allenfalls Aushilfslöhne und Handwerkerpreise waren verhandelbar. Bei letzteren ging es aber nicht um Mindestlöhne, sondern eher um Höchstgebote – das war so eine Art Ebay ohne Internet.
Aber wenn es um die einheimische Währung ging, verloren Summen ohnehin ihren Sinn, weil es bekanntlich nichts zu kaufen gab. Irgendwie erscheint einem die DDR geradezu als biblisches Land: Sie hatten nichts, sie kriegten nichts; aber sie lebten doch.
Nach langem Ruhen des Themas ist nun geradezu ein Wettlauf um den Mindestlohn entbrannt, in dem es vor allem darum geht, wer die tollsten, klügst klingenden und listigsten Auslassungen hervorzubringen vermag: Löhne, die niedriger sind als Hartz IV, sollen verboten werden (SPD). Die Unternehmerverbände betrachten das als Schritt in die richtige Richtung, der allerdings nicht weit genug geht. Aus ihrer Sicht sollten Löhne überhaupt verboten werden. Die Linke reklamiert für sich ein gewisses Urheberrecht an der Debatte, sie will den Stachel in das dicke Fell der SPD getrieben haben; aber wer weiß schon, ob unter dem Fell der SPD überhaupt noch Fleisch ist, das Schmerzen fühlen könnte.
Und die Union ist gespalten. Aus der CDA kommt Zustimmung; die ist aber nicht so robust wie die Ablehnung aus Führungskreisen. »Beim Mindestlohn wird die SPD auf den entschiedenen Widerstand der Union treffen und sich daran die Zähne ausbeißen.« So CDU-Generalsekretär Pofalla. Wovon redet der Mann, welche Zähne denn um Gottes Willen? Falls die SPD irgendwo noch Zähne haben sollte, trägt sie die in der Tasche und nicht im Mund.
Mindestlohnverdächtig auch die Äußerungen des wirtschaftspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion, Laurenz Meyer: »Wir haben die klare Position, daß wir achten müssen, daß wir Konstruktionen finden, die Löhne zu verhindern, die von moralischen Kategorien her völlig verfehlt sind (er meint damit natürlich nur das untere Ende der Skala – O.L.), aber gleichzeitig aufpassen, daß Arbeitsplätze auch für die entstehen, die von ihrer Produktivität her nicht so große Produktivität bringen und damit auch nicht so hohe Löhne.« Das ist nur der Sprecher, was glauben Sie, was wir zu hören bekommen, wenn sich erst die Denker zu Wort melden!
Angela Merkel jedenfalls lehnt den gesetzlichen Mindestlohn ab. Kein Wunder, denn ihr als Naturwissenschaftlerin ist die Problematik relativ fremd, Mindestlöhne kommen in der Natur kaum vor. Oder hat man schon mal gehört, daß Elektronen erst ab 7,50 Euro die Stunde ordnungsgemäß um den Kern kreisen wollen? Außerdem regeln Elektronen und Kerne ihre Beziehungen sowieso ohne Geld, und daran könnten sich die Damen und Herren Arbeitnehmer mal ein Beispiel nehmen. Es muß Schluß sein mit dieser maßlosen Geldgier, die in der Forderung gipfelt, in der Arbeitsstunde eine bestimmten Geldbetrag verdienen zu wollen. Dabei ist sich die Wissenschaft ja noch nicht einmal sicher, ob es ökonomisch vertretbar ist, überhaupt in jeder Arbeitsstunde etwas zu verdienen. Unternehmer zum Beispiel verdienen nicht in jeder Stunde etwas, sondern verlieren auch einmal, an der Börse etwa, woran sich vorbildliche Arbeitnehmer nun immer öfter beteiligen (T-Aktie), sowie im Casino und in geplanten wie ungeplanten Konkursen.
Es wird bei der Darstellung der Zustände aber auch maßlos übertrieben. Nehmen Sie zum Beispiel die Friseusengehälter. Die sind nicht zu niedrig, die müssen so sein, weil es sich sonst der Arbeitslose nicht leisten kann, sich drei Wochen vor dem neuen Job noch richtig chicmachen zu lassen. Oder die Reinigungskräfte, die haben doch einen anständigen Tarif, arbeiten aber oft noch zu langsam, um auf einen guten Stundenlohn zu kommen. Wenn dann eine deutsche Reinigungskraft einen ganzen Tag in einem dreistöckigen Schulgebäude verbummelt, für das sie drei Stunden gehabt hätte, und am Ende noch nicht einmal die Fenster geputzt sind, dann kann man nichts machen. Wie das ist mit den deutschen Arbeitern, sieht man ja beim Spargelstechen. Das schaffen nur Polen. Allerdings zeigen die jetzt gerade mal den deutschen Spargelbauern, wie es ist, wenn Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, in dem Fall aber durch die Arbeitnehmer, während der Arbeitgeber mit seinem Spargel fest in der deutschen Heimaterde steckt. Sonst ist das ja immer andersrum.
Und überhaupt, was ist denn die Aufgabe eines Friseurs? Was macht der? Die Antwort auf diese Frage ist doch nicht: Eine Familie ernähren! Nicht mal ein bis ins Gehirn gepiercter Hauptschulabbrecher würde auf die Frage, warum er Friseur werden will antworten: Ich will Friseur werden, um eine Familie zu ernähren. Daß das nicht geht, weiß der auch ohne Mathe.
Die Debatte wird wie so viele andere von mächtigem Geschrei und Gezeter begleitet. Aber ein Aufschrei fehlt. Wenn der Staat beim Kombilohnmodell Zuschüsse zum Lohn zahlen will, weil der Unternehmer nicht mehr zahlt, dann wird er doch vorher prüfen, ob der wirklich gibt, was er kann! Oder? Und um das festzustellen, wird der Staat festlegen müssen, wieviel der Betreiber eines Niedriglohnbusiness für sich behalten darf. Dreimal so viel wie jeder seiner Beschäftigten, oder fünfmal oder genauso viel wie alle zusammen? Oder steht ihm zu, was man für ein menschenwürdiges Leben braucht? Dieser Satz dürfte ja in Deutschland geregelt sein. Gäbe es eine solche Kontrolle, dann hätte es den fehlenden Aufschrei längst gegeben: Eingriff in die unternehmerische Freiheit, Sozialismus gar, aber nicht als Forderung, sondern als Vorwurf und schließlich Untergang des Abendlandes, das bekanntlich nur existieren kann, wenn sich der Unternehmer/Manager wenigstens tendenziell nehmen kann, so viel er will.
Unser klarer Standpunkt zu der Frage nach einem Mindestlohn ist ganz eindeutig: Ich brauche mindestens zwei, denn ich lebe schon jetzt über meine Verhältnisse, aber noch lange nicht standesgemäß!