Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 30. April 2007, Heft 9

Ehrenbürger

von Ludwig Caputh

Das kleine Städtchen Lanskroun, gerade mal 10000 Seelen, gelegen am Fuße des Adlergebirges, hat Stadtväter (vielleicht sogar -mütter, wer weiß das schon so genau) hervorgebracht, die als Spitzensatiriker in die Geschichte eingehen werden, weil sie sich weigerten, Hitlers Ehrenbürgerschaft aus den Stadtannalen zu streichen. Begründung: Wir können die Geschichte nicht umschreiben! Sie selber werden vielleicht gar nicht wissen, wie heiter und fröhlich und selbstbewußt das ist. Wir Deutschen haben leider keinen Schwejk im Blut. Wir müssen Hitler tilgen, wo es nur geht, und durch würdigere Personen ersetzen wie beispielsweise Biermann, qua bierernstem Staatsakt und Urkunde auf rotem Samt, in den Sitzreihen alle Helden der friedlichen Revolution, die feierlich betreten dreinblicken wie Ulrich Mühe in Hollywood. Schließlich wurden mit Biermann ja auch wir geehrt.
Unser Stadtkomiker Wowereit hatte bei dieser Gelegenheit sein breitestes Wanderpokallächeln aufgelegt; aber das trägt er ja immer. Man muß wohl selber Komiker sein, um hinter diesem Lächeln die echte Verwunderung herauszulesen über das, was er da grade wieder mal tut. Jedoch: Er ist der Regierende, also auch echter Politiker, der weiß, wann man besser nicht lauthals herausplatzt. Von diesen Hemmungen sind wir zum Glück befreit. Wenn wir gerade mal nicht wiehern und uns auf die Schenkel klopfen, dann entlarven wir uns aber auch nicht durch Zukkungen der Körpersprache. Dann ist es wirklich ernst, wenigstens so lange, bis einer uns den Spiegel vorhält. Dann geht das Wiehern wieder los. Das ist dann unser Lachen – und nicht das Lachen der anderen.
Was Biermann anlangt, so hätte er wahrscheinlich auch lieber den Oscar gehabt. War er nicht mal Schauspieler? Oscar für die Lebensleistung wäre durchaus angemessen, oder? Wie wir von Fürst Donnersmarck gelernt haben, ist es offenbar gar nicht schwer, bei Verkündung des Preises echte Freude zu empfinden und angemessen euphorisch zu äußern. Das könnte Biermann auch. Auch er könnte überwältigt aus seinem Sitz aufspringen, dabei einen Salto schlagen mit eingedrehter Schraube und nicht wissen, wie wieder landen. Neben ihm Marie – die mit dem Brötchen – als Stützhilfe. Nachteil: Er würde sich nicht an die vorgeschriebenen neunzig Sekunden für seinen Auftritt halten. Er überzieht leider immer!
Der Vorschlag, die Stalinallee erneut umzubenennen in »Allee des Barden der Freiheit« ist ja noch nicht vom Tisch. Dann wäre Marx den Klotz endlich los. Wie aber machen wir dann aus dem baugeschichtlichen Denkmal auf dieser – schon von Speer geplanten Trasse – eine Sackgasse? Das erfordert schwere stadtplanerische Eingriffe. Wir müssen doch auch an kommende Generationen denken, oder? Wenn die in hundert Jahren vielleicht der Meinung sind, daß die Allee doch besser wieder anders hieße – dann müßten sie die Stadt erneut umbauen. Unzumutbar. Da ist die Ehrenbürgerschaft gefahrloser. Wenn man will, wird sie einfach gelöscht.
Einschub einer Reminiszenz, es geht um den Theo. Für die Ostler unter uns, die nie aus ihrem Mief-Kietz herausgekommen sind – anders als der weltläufige Biermann, der bald sogar Ehrenbürger eines Kibbuz wird und in Bagdad ein Denkmal erhält, gegossen aus nicht mehr benötigter Bronze, der sieben Sprachen spricht und demnächst Bob-Dylan-Texte ins Chinesische übersetzt – der Theo liegt in der Verlängerung von Bismarckstraße und Kaiserdamm, tiefstes Westend.
Er startete unter Bismarcks Sonne. Als die aber vorübergehend unterging, nannte man ihn Reichskanzlerplatz. Da konnten sich sogar die sozialdemokratischen Emporkömmlinge geehrt fühlen, die plötzlich hinter Bismarcks Schreibtisch in der Wilhelmstraße ihre fetten Bier-Hintern breitsaßen und mit Spa telefonierten. Als Hitler seinen Auftritt hatte, war es natürlich zu Ende mit diesem virtuellen Wechselrahmen, wenigstens für die nächsten tausend Jahre. Aber dann tat Hitler überraschend etwas wirklich Großzügiges. Anläßlich eines Staatsbesuches des Duce in der Reichshauptstadt übernamste er ihn an Mussolini. Der war zu Tränen gerührt: Der Führer – mir – seinen eigenen Platz? Überwältigend! Ob das noch realisiert wurde, weiß ich gar nicht, es war ja auch nicht mehr viel Zeit; aber als Berlin in Trümmern lag, war Schluß mit Hitler und Mussolini, sogar Reichskanzler gab es keine mehr und kein Reich. Mit Recht wollten die Insulaner jetzt ihre tiefe Verbundenheit mit der Bundesrepublik ausdrücken, gleichzeitig aber der lästigen Tatsache Rechnung zollen, daß Westberlin gefälligst seine Rolle als selbständige zoologische Einheit zu res pektieren hatte, wenn es sie schon nicht anerkennen konnte. Bundeskanzlerplatz ging also nicht. Bundespräsidentenplatz auch nicht. Hätte die Russen zu sehr gereizt. Für »Platz der Demokratie« war es noch zu früh. Das paßt auch nicht ins Westend. Aber Theodor-Heuss-Platz, das ging. So trägt der Theo also jetzt seinen Namen. Er ist nicht der letzte dieser alten Kette, sondern der erste einer neuen.
Noch mal kurz zu Biermann und der Allee: Vielleicht muß er noch warten damit, denn es gibt neue Kandidaten, absolute Komiker, eineiige Zwillinge und weltberühmt. Aber die sollen gar nicht geehrt werden, sondern deren Mutter. »Straße-der-Mutter-der-Lustration« soll sie heißen, ein Vorschlag von Uwe-Lehmann-Brauns. Marianne Birthler dachte schon, sie wäre gemeint.