von Klaus Hart, São Paulo
Gemäß einer neuen internationalen Studie ist Brasilien das korrupteste Land Lateinamerikas. Bestechung ist gängige Praxis selbst im Musiksektor – und man spricht auch ganz offen darüber. Multinationale Musikkonzerne und Plattenfirmen zahlen an die verantwortlichen Redakteure und Chefs von Radio- und Fernsehstationen hohe Summen, schenken ihnen Luxusreisen, Autos und Häuser, damit bestimmte Musiktitel so lange gespielt und angepriesen werden, bis sie zum Verkaufshit avancieren.
Diese Art von Korruption heißt in den USA Payola, in Brasilien Jabaculè. Der Besitzer eines großen brasilianischen Jugendradios sagt, daß er für das Lancieren einer einzigen Sängerin eine Million Dollar bekommen habe. In Hitparaden liegen jene Titel vorne, für die am meisten bezahlt wird.
Der Musiker und Produzent Rodolfo Stroeter aus São Paulo komponierte einst mit dem heutigen Kulturminister Gilberto Gil und kennt Jabaculè sehr genau. »Die Plattenfirmen kaufen unter der Hand einfach Sendezeiten – und das ist Korruption, moralisch absolut verwerflich. Von einem Tag zum anderen hört man einen Titel in fast sämtlichen Radio- und Fernsehstationen. Da wird den Leuten Musik regelrecht aufgedrängt, man kann ihr nicht entfliehen. Mit meinen CDs passiert das Gegenteil – da habe ich hier in São Paulo nur im Universitätsradio und in einem kleinen Kultursender eine Chance. Wegen der Jabaculè-Abmachungen in den großen Radios bin ich dort regelrecht ausgesperrt.«
Das gilt auch für den oft durch Europa tourenden Avantgardisten Tom Zè, der einst mit Gilberto Gil zur künstlerischen Erneuerungsbewegung Tropicalismo gehörte. Tom Zè hat stets volle Konzerte, doch im Radio hört man ihn nur höchst selten. »Wir haben viel Wegwerfmusik in Brasilien. Man muß sich nur anschauen, was das Fernsehen an Titeln aus Rio de Janeiro, Bahia oder São Paulo anpreist – soviel Mist und Schrott.«
Bei Kulturminister Gilberto Gil lief es seit jeher anders. Seine Kompositionen wurden von den brasilianischen Sendern stets rauf und runter gespielt. Nach Gilberto Gils Amtsantritt rückte Andre Midani, zwischen den sechziger und neunziger Jahren einer der mächtigsten multinationalen Musikmanager Brasiliens, Mitte 2003 ganz überraschend mit der Sprache heraus: »Ich habe damals Jabaculè bezahlt, damit Gilberto Gil in den Radios gespielt wird.« Laut Midani sind auch andere bekannte Namen des Bossa Novas, des Tropicalismos und des brasilianischen Rocks nur deshalb groß herausgekommen. Als Zahlungsmittel seien in der Branche auch Rauschgift und Prostituierte üblich gewesen.
Die Enthüllung schlug in der Musikbranche entsprechend ein. Viele benachteiligte Künstler fordern Kulturminister Gil auf, wie versprochen diese Art von Korruption endlich energisch zu bekämpfen. In den USA, so die Kulturkritiker, habe der Musikkonzern Sony-BMG 2005 wegen solcher Praktiken eine Strafe von zehn Millionen Dollar zahlen müssen – warum folge man in Brasilien nicht diesem Beispiel?
Nicht etwa der Minister, sondern ein Abgeordneter formulierte schließlich einen Gesetzentwurf gegen Jabaculè. Doch ob und wann darüber abgestimmt wird, ist nicht bekannt. Gilberto Gil äußert sich ausweichend, hält nichts davon, Jabaculè zur Straftat zu erklären, will noch mehr öffentliche Diskussion. »Wir alle wissen, wie schwierig es ist, Absichten und Worte in die Realität umzusetzen. Besonders in der öffentlichen Verwaltung. Die Kulturindustrie dieses Landes braucht mehr Kapitalismus, einen regelrechten Kapitalismus-Schock, um dynamischer zu werden, ihr Potential vollauf zu nutzen und die kulturelle Diversität zu fördern.«
Der Minister erklärte sich vor den Präsidentschaftswahlen gegenüber der brasilianischen Presse mit der Regierung ausdrücklich »zufrieden«, die immerhin gleich von mehreren Korruptionsskandalen heimgesucht worden war. Er glaube nicht, daß Jabaculè zu stoppen sei.
Daher gründeten zahlreiche Künstler eine Bewegung gegen Bestechung, den Movimento Jabasta. Sie werfen Gilberto Gil öffentlich vor, den Ministerposten zur persönlichen Bereicherung zu nutzen. Seine Konzertgagen hätten sich verdreifacht. Der brasilianische Raubtierkapitalismus, die Musikmultis und Jabaculè sorgten andererseits dafür, daß hunderte oder gar tausende von talentierten Musikern keinerlei Chance hätten. Im Gegensatz zum gelernten Betriebswirt Gilberto Gil.
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