Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 5. Februar 2007, Heft 3

Briefwechsel

von Klaus Lederer und Wolfgang Sabath

Auf den in der Nr. 26/2006 veröffentlichten Beitrag von Wolfgang Sabath (»Wirtschaftlich agieren«) schrieb uns Klaus Lederer, Berliner Vorsitzender der Linkspartei.PDS:

Sehr geehrter Herr Sabath,
sehr geehrte Redaktion des »Blättchen«,

die Waffe der Kritik einzusetzen, meinethalben auch hart und zugespitzt, ist gewiss eine Notwendigkeit, wenn die Linke sich politisch weiterentwickeln und in die gesellschaftlichen Verhältnisse zugunsten sozialerer und demokratischerer Verhältnisse eingreifen will. Das Mittel der Verdrehung von Äußerungen, das Mittel der Denunziation und Herabsetzung zu wählen, ist der beste Weg, die Linke dort verharren zu lassen, wo sie viel zu lange war und leider oft genug auch heute noch ist: in ihrem eigenen Saft, mit Bauchbespiegelung beschäftigt, mit der Selbstzerlegung. Ohne jeden Effekt für irgendwas und irgendjemand, wohl aber mit der immer richtigen Position und dem immer besseren Wissen, was richtig und was falsch ist.
Manche Dinge muss man ertragen. »Wer gegen den Wind pisst, nässt sich die Hosen« sagt ein gutes, altes Sprichwort. Wer sich auf ein Amt einlässt, wie ich es innehabe, der muss damit leben, dass es nicht immer fair zugeht. Politische Gegner und Konkurrenten sind nicht zimperlich, da zählen nicht die Maßstäbe, die man sich wünscht oder selbst an sein Handeln anlegt.
Über manche Dinge soll man hinweggehen. Es lohnt einfach nicht. Deshalb reagiere ich auf die »Linke Zeitung« im Internet schon lange nicht mehr. Auch das journalistische Handwerkszeug der »Jungen Welt« ist, zumindest in einer Reihe ihrer Redaktionsstübchen, etwas verkommen – wenn die »Linie« stimmen muss, nimmt man, was die Realität hergibt. Und gibt sie nichts her, so prügelt man sie unter die »Linie«. Leider hat offenbar auch Sie, Herr Sabath, eine Form des Rückstaus erfasst, die zur Explosion drängte. Und sie drängt ins Blättchen.
Bei manchen Dingen muss man widersprechen. Zum Beispiel bei Ihrem Artikel, Herr Sabath. Ihre Kenntnis der Vorgänge ist offenbar groß: Sie wissen genau, dass es bei uns zugeht wie weiland bei Konni Naumann. Hier wird noch durchgezogen, Widerspruch findet nicht statt, weil der Kadavergehorsam der SED-Parteidisziplin noch funktioniert. Fein, wenn die Weltbilder so schlicht sind. Und von falschen Prämissen ausgehend, lässt sich ja bekanntlich ohnehin jede Konklusion ziehen. Das hat ja auch etwas erleichterndes, wenn man sich nicht auseinander-setzen muss, wenn man nicht zweifeln muss, vor allem nicht an sich selbst. Nicht wahr?
Sie denunzieren hier all diejenigen, die es sich mit ihren Entscheidungen der vergangenen Monate entschieden schwerer gemacht haben als Sie sich mit Ihrer Meinungsbildung und Recherche. Aber ich kann Sie verstehen: wozu Meinungsbildung und Recherche, wenn man schon eine ganz genaue Vorstellung hat, wie die Dinge laufen und wie der Artikel auszusehen hat. Wenn das eigene Interesse an der Wahl einer Regierung sich darauf beschränkt, wer wohl so ganz heimlich, als es keiner sah … Was mich interessiert: bekommen Sie diesen Text eigentlich bezahlt? Dann hätte die ganze Sache ja wenigstens noch einen sozialen Nutzen gehabt. Denn von irgendetwas muss der Mensch ja schließlich leben, und sei es nur eine unglaublich kantig, unglaublich kritisch daherkommende Selbstinszenierung …
Nun haben Sie ja dankenswerter Weise der Weltöffentlichkeit endlich die – ja angesichts der oben aufgeführten Medien überhaupt nicht erforderliche, weil so neu ist dieses Mantra nicht – Entlarvung geliefert, die fällig war. Nämlich, dass es sich bei den »Jung- und Mitteljung-PDSlern« ausnahmslos um neoliberale Emporkömmlinge handelt, die nicht einmal Konvertiten sind, sondern wahrscheinlich »nie etwas anderes kennengelernt« haben. Die von Ihnen in Bezug auf mich zitierten »Kernsätze« sind ein Ausschnitt aus der Frage: Wie weiter mit den Preisen der Berliner Wasserbetriebe. Sie sind eine im Rahmen eines Interviews gegebene Antwort auf die Frage, was letztlich die Diskussion um ein neues Preismodell veranlasst hat.
Was ich dabei »offensichtlich« meinte oder nicht, erschließt sich aus dieser Antwort allerdings überhaupt nicht. Denn die Frage der Preisgestaltung bei einem öffentlichen Unternehmen hat zunächst einmal mit Neoliberalismus überhaupt nichts zu tun. Genauso wie die Frage der Geschichte des »Munizipalsozialismus«, die Herr Sabath korrekt, aber mehr kurz und oberflächlich als substanziell tiefer schürfend, anreißt, um zu belegen, dass  … ja, was eigentlich?
Es wäre ja nicht schlecht gewesen sich die Frage zu stellen, welche öffentlichen Leistungen denn »früher« – um die kapitalistische Reproduktion zu sichern – mit Zuschüssen versehen worden sind und welche nicht. Welche Leistungen auch zu Beginn des Jahrhunderts mit Steuerzuschüssen betrieben worden sind und bei welchen die vollkommene Umlage erfolgt ist. Wasser gehört zu letzteren. Und das ist – wir sind ja, wie richtig bemerkt wurde, in Berlin weder bei der UNO, noch bei der EU, noch der Verfassungs- und Gesetzgeber des Bundes, sondern eine schlichte Provinz- respektive Kommunal-Regierung – im Übrigen gebührenrechtlich vorgeschrieben. Sorry, dass wir hier nicht alles aushebeln und umkrempeln (können) … Schließlich ist es auch durchaus sinnvoll, gerade die großen Unternehmen der Industrie den Preis mittragen zu lassen, die sich Brunnen bauen und damit der Finanzierung der Infrastruktur zu Lasten derjenigen entziehen können, denen außer dem Wasserhahn in der Wohnung nur noch das teurere Flaschenwasser von Nestlé bis Vittel als Ausweg bleibt. Was für eine unglaubliche »Staats- und Kommandowirtschaft«, die kleinen Haushaltskunden im Interesse der »Sozialschwachen« zu schützen, damit diese »ein Leben auf zivilisatorischen Mindeststandards« führen können. War das nicht der postulierte, eigene Anspruch, Herr Sabath?
Leider ganz und gar an der Sache vorbeiargumentiert. So genau wollen wir das aber nicht nehmen. Denn auf die Sache selbst kam es ja auch gar nicht an, oder? Hand auf´s Herz, Herr Sabath!
Eine gänzlich andere Frage ist die, wer alles etwas davon hat – und welcher Logik es mittlerweile folgt –, dass am Ende »kostendeckend« kalkuliert wird. Und um diese Frage habe ich mich in dem Interview nicht gedrückt, sondern sie wurde mir schlicht und ergreifend nicht gestellt. Und der journalistische Betrieb in der kapitalistischen Gesellschaft bringt es selbst bei einer sozialistischen Tageszeitung mit sich, dass nicht immer die Informationen über den Tresen wandern, die der Gefragte gern noch loswerden würde. Allerdings hätte Herr Sabath, der ja ausweislich des Fotos in der »Utopie kreativ« mit dem Computer umzugehen versteht, sich diese Information beschaffen können – wenn sie ihn denn interessiert hätte.
Da er – ohne Anflüge von Selbstzweifeln oder dem Bekenntnis, nicht allumfassend schlau zu sein – keinerlei weitere Informationsbedürfnisse hat, war es völlig unnötig, vielleicht einmal im Netz zu schauen, was die jungen (pfui), nicht einmal konvertierten (abermals pfui!) Neoliberalen (pfui, pfui, pfui!) sonst so zu sagen haben zur Frage der öffentlichen Unternehmen und der neoliberalen Privatisierungs- und Kommodifizierungsoffensive, etwa auf: http://www.klauslederer.de/arbeit/
Schließlich muss man, so sehe ich das, unglaublich alt und mit dem gekommenen Alter unglaublich frustriert worden sein, um anderen permanent und dauerhaft ihre Jugend vorzuwerfen. Der ganze Artikel strotzt davon. Aber das sei geschenkt.
Schade, Blättchen! Dich kauf´ ich mir gewiss nicht mehr. Man muss nicht an jeder Mülltonne schnuppern. Da nutze ich die Zeit doch lieber, um ein bisschen im »Kapital« zu schmökern. Das ist gewiss lehrreicher als Sabaths Kommentare zum Zeitgeschehen.

Beste Grüße & frohes »Vor sich hin-Agitieren« (Sabath)

Klaus Lederer, Die Linkspartei.PDS Landesverband Berlin

*

Sehr geehrter Herr Lederer,

Ihre Reaktion auf meinen Artikel wurde hier ohne Verwunderung zur Kenntnis genommen – außerdem: Wer austeilt, muß auch einstecken können. So denn also hat alles seine Richtigkeit.
Allerdings möchte ich mir nicht versagen, zwei Punkte Ihrer Mail zu monieren: Ihre Zeilen erwecken den Eindruck, als gingen Sie davon aus, »Das Blättchen« sei in irgendeiner Weise Ihrer Organisation verbunden und benähme sich darum mit dem Abdruck des Sabath-Artikels quasi etwas daneben, weil es den Zwist unter Linken befördere. Zwar verstehen wir uns durchaus als Linke, meinen allerdings, daß Linkssein ja nicht zwangsläufig etwas mit einer oder mit Ihrer Partei zu tun haben muß; ich zum Beispiel war bis auf ein Intermezzo, das vom 17. März 1990 (vielleicht sagt Ihnen dieses Datum etwas …) bis zum Regierungsseintritt der Berliner PDS dauerte, zeitlebens parteilos und bin demzufolge – zum Beispiel – auch ohne Ihren »Konni« Naumann ausgekommen. Aber das nur nebenbei.
Aber wirklich gewurmt hat mich hingegen Ihre Frage, ob ich für den Artikel Geld erhalten habe. Zwar vermute ich, daß das eine sozusagen rhetorische, eine Propagandaformulierung war (zu der ich an Ihrer Stelle vermutlich auch gegriffen hätte), bin mir eben nicht ganz sicher. Deshalb Ihnen zur Kenntnis – und es wäre gut, wenn Sie das verbreiteten: »Blättchen«-Redakteure und »Blättchen«-Autoren erhalten nicht einen müden Euro.
Da wir uns als Zeitschrift als öffentliche Angelegenheit verstehen und ungern öffentliche Angelegenheiten intern regeln und bereden, möchten wir Ihren Brief gern drucken und fragen hiermit an, ob Sie damit einverstanden wären.

Es grüßt Sie –

Wolfgang Sabath, parteilos, aber Mitglied der »Solidargemeinschaft der Gebührenzahler« (Lederer)